Israel / Netanjahu bildet Notstandsregierung – Weitere Luftangriffe auf Gaza
Angesichts des Kriegs gegen die radikal-islamische Hamas bildet Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Notstandsregierung. Darauf einigten sich Netanjahu und der Chef der zweitgrößten Oppositionskraft unter dem früheren Verteidigungsminister Benny Gantz, wie das von Gantz angeführte Bündnis, die Partei der nationalen Einheit, am Mittwoch mitteilte. Einem sogenannten Kriegskabinett solle neben Netanjahu und Gantz auch Verteidigungsminister Joaw Galant angehören. Oppositionsführer Jair Lapid und seine Partei Jesch Atid sind demnach nicht eingebunden.
Nach dem Großangriff der Hamas auf Israel vom Samstag setzte das Land seine Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen vor einer möglichen Bodenoffensive fort. Israel bombardierte nach eigenen Angaben vom Mittwoch mit Dutzenden Kampfflugzeugen in der Nacht mehr als 200 Ziele in einem Viertel von Gaza-Stadt, das die Hamas für ihre Angriffswelle am Samstag genutzt habe. Nach Angaben beider Seiten starben zahlreiche Palästinenser, während Israel weitere Opfer des Hamas-Angriffs barg. Israel ließ Panzer nördlich des Gazastreifens auffahren und forcierte die Ausgabe von Waffen an berechtigte Bürger. Auch an Israels Nordgrenzen und im Westjordanland kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. US-Präsident Joe Biden sprach eine Warnung an mögliche Unterstützer der Hamas aus. International wuchs die Sorge um die Geiseln der Hamas. Weitere Länder kündigten an, ihre Staatsangehörigen aus Israel auszufliegen.
Das israelische Militär tötete nach eigenen Angaben seit Samstag mindestens 1.000 Palästinenser, die aus dem Gazastreifen in sein Staatsgebiet eingedrungen waren. Das Gesundheitsministerium des Gazastreifens erklärte, bei den Luftangriffen auf das dicht bewohnte Gebiet seien seit Samstag 1.055 Menschen getötet und 5.184 verletzt worden. Israel zählte nach eigenen Angaben seit Samstag auf seiner Seite 1.200 Tote und mehr als 2.700 Verletzte. Bei den Opfern handelt es sich zum größten Teil um Zivilisten, die in ihren Häusern, auf Straßen und auf einem Tanzfestival von Hamas-Kämpfern umgebracht worden waren. Die Bergung der Toten dauerte an. Darunter waren auch Ausländer. In Aschkelon im Süden Israels wurde ein Krankenhaus von Raketen aus dem Gazastreifen getroffen.
180.000 Obdachlose im Gazastreifen
Bei den israelischen Luftangriffen in der Nacht zum Mittwoch wurden Hamas-nahen Medien zufolge Häuser in Gaza-Stadt, in der südlichen Stadt Chan Junis und Unterkünfte im Flüchtlingslager Bureidsch im Zentrum des Gazastreifens getroffen. Bewohner des Gazastreifens berichteten von zahlreichen eingestürzten Gebäuden und baten in sozialen Medien um Hilfe. In dem Gebiet mit 2,3 Millionen Einwohnern wurden nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) mehr als 180.000 Menschen obdachlos. Ein städtisches Gebäude, das als Notunterkunft diente, wurde getroffen. „Kein Ort im Gazastreifen ist sicher“, sagte Ala Abu Tair (35) der mit seiner Familie in Abassan Al-Kabira nahe der Grenze Zuflucht gesucht hatte. Seit Samstag haben die israelischen Angriffe nach Angaben des palästinensischen Außenministeriums mehr als 22.600 Wohnungen und zehn Gesundheitseinrichtungen zerstört, 48 Schulen wurden beschädigt. Medien der Hamas zufolge fiel am Mittwoch der Strom aus, weil das einzige Kraftwerk im Gazastreifen den Betrieb einstellen musste. Israel hatte eine völlige Abriegelung des Gebiets angekündigt, einschließlich Lebensmittel- und Treibstofflieferungen.
Israels Verteidigungsminister Joaw Galant hatte am Dienstagabend eine Ausweitung der Angriffe angekündigt. „Wir haben die Offensive aus der Luft begonnen, später werden wir auch auf dem Boden vorgehen“, sagte Galant. Die Offensive werde verstärkt. Israel hatte seine Truppen 2005 nach 38 Jahren aus dem Gazastreifen abgezogen. Die Hamas hatte dort 2007 die Herrschaft übernommen.
Biden verurteilte in einer Fernsehansprache am Dienstagabend den Angriff der Hamas und sagte Israel weitere Unterstützung zu. Er richtete eine Warnung an Organisationen oder Länder aus, die möglicherweise die Lage ausnutzen wollten: „Tut es nicht.“ Dies wurde auch als Warnung an den Iran verstanden, der traditionell aufseiten der Hamas steht. Die USA haben einen Flugzeugträger in Richtung Israel entsandt. Der russische Präsident Wladimir Putin beschuldigte die USA, damit den Konflikt anzuheizen. Dies diene nicht der Lösung des Problems. Putin hatte die jüngste Eskalation des Konflikts bereits als Paradebeispiel für ein Scheitern der Nahostpolitik der USA bezeichnet.
Der britische Außenminister James Cleverly reiste nach Israel. Dort wolle er seine Solidarität mit dem israelischen Volk bekunden, erklärte sein Ministerium. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich für weitere humanitäre Unterstützung der Palästinenser aus. „Dennoch ist es wichtig, dass wir unsere finanzielle Unterstützung für Palästina sorgfältig überprüfen. EU-Gelder sind nie und werden nie an die Hamas oder eine terroristische Vereinigung gehen.“
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte die israelischen Vergeltungsschläge. „Menschen ihrer Grundbedürfnisse zu berauben und Häuser zu bombardieren, in denen Zivilisten leben, kurzum sich jedes schändlichen Mittels zu bedienen – das ist kein Krieg, das ist ein Massaker“, sagte Erdogan. Anders als die EU oder die USA stuft die Türkei die Hamas nicht als terroristische Organisation ein. Sie unterstützt die Palästinenser, hat zuletzt aber auch versucht, die angeschlagenen Beziehungen zu Israel zu kitten.
Beschuss aus Libanon und Syrien
Im Norden Israels wurde nach Angaben des Militärs eine seiner Stellungen vom Süden des Libanons aus angegriffen. Die radikale Hisbollah-Miliz im Libanon reklamierte den Raketenangriff für sich. Aus libanesischen Sicherheitskreisen verlautete, die Hisbollah habe zwei Präzisionsraketen auf Israel abgefeuert. Das israelische Militär reagierte nach eigenen Angaben mit Gegenangriffen auf Ziele im Libanon. Auch von syrischem Gebiet aus wurde Israel nach Militärangaben mit Raketen beschossen. Welche Gruppe dafür verantwortlich war, blieb zunächst offen. Im Westjordanland und in Ost-Jerusalem erschoss die israelische Polizei zwei Palästinenser, nachdem diese Sicherheitsbeamte mit Feuerwerkskörpern angegriffen hätten. In dieser Region wurden nach amtlichen Angaben seit Samstag 21 Palästinenser bei Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften getötet.
Nach Evakuierungsflügen der vergangenen Tage kündigten weitere Länder an, Staatsangehörige aus Israel auszufliegen. Die Lufthansa soll Insidern zufolge mit mehreren Sonderflügen am Donnerstag und Freitag Deutsche aus Israel holen. Die Bundesregierung ließ Außenministerin Annalena Baerbock zufolge 17 Schulklassen aus Israel ausfliegen.
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