Großbritannien / Rüstungsunternehmen bangen um ein Prestigeprojekt
Alarmstimmung bei der britischen Rüstungsindustrie: Ausdrücklich hat sich der neue Premier Keir Starmer geweigert, dem Prestigeprojekt des neuen Kampfjets Tempest (Sturm) eine Bestandsgarantie zu geben.
Das größte Rüstungsvorhaben der kommenden Jahre stelle ein „wichtiges Programm“ dar, das seinem Land „bedeutende Vorteile“ bringen könne, sagte der Labour-Regierungschef am Montag auf der Flugschau im südenglischen Farnborough. Doch stünden sämtliche Vorhaben des Verteidigungsministeriums MoD unter dem Vorbehalt einer gründlichen Prüfung.
Dem vom britischen Industriegiganten BAE Systems angeführten „Team Tempest“ gehören auf der Insel auch Triebwerkbauer Rolls-Royce sowie der Lenkwaffenspezialist MBDA UK an. Für die internationale Komponente sorgen der italienische Konzern Leonardo sowie Japans Industriegigant Mitsubishi. Solche Partnerschaften seien „in diplomatischer Hinsicht höchst bedeutend“, sagt Sophy Antrobus vom Freeman-Luftfahrtinstitut am Londoner Kings College.
Besonders auf die Teilnahme des asiatischen G7-Partners sind die Briten stolz, vergrößert die japanische Technik- und Finanzbeteiligung doch die Absatzchancen des Milliarden-teuren Fliegers auf dem asiatischen Wachstumsmarkt. Gespräche mit Schweden sowie Saudi-Arabien über eine Beteiligung führten zu keinem Ergebnis.
Das Tarnkappenflugzeug soll mit Drohnenschwärmen kooperieren und die Reichweite der Royal Air Force erhöhen. Ein in Farnborough vorgestelltes Modell beeindruckte durch seine Länge von 24 Metern, was ungefähr einem Tennisplatz entspricht; bestehende Kampfjets wie der Eurofigher Typhoon oder das US-Flugzeug F-35 messen hingegen lediglich 16 Meter. „Wenn das Design gelingt und der Jet wirklich wie geplant 2035 ausgeliefert werden kann, stellt dieses Flugzeug eine Herausforderung für das vergleichbare US-Modell dar“, glaubt die erfahrene Kampfjet-Pilotin Antrobus.
Die Einschränkung ist berechtigt. Nicht nur auf der Insel haben Rüstungsvorhaben die leidige Gewohnheit, viel später und zu deutlich höherem Preis Wirklichkeit zu werden als ursprünglich versprochen. Schmerzhaft erfahren dies die EU-Partner Frankreich und Deutschland mit ihrem Konkurrenzplan eines zukünftigen Kampfjets samt Drohnenschwarm und Combat Cloud: Das Future Combat Air Systems (FCAS) sorgt seit Jahren für Streit zwischen den Herstellerfirmen Dassault und Airbus sowie dem technisch und finanziell weniger bedeutenden Unternehmen Indra Sistemas aus Spanien.
Bessere Koordination angemahnt
Das Tempest-Programm hat schon bisher knapp zwei Milliarden Pfund (2,4 Mrd. Euro) verschlungen. Die Entwicklungskosten über die kommenden zehn Jahre werden derzeit mit 12 Milliarden Pfund (14,3 Mrd. Euro) beziffert. Wäre da nicht eine Verschmelzung mit dem FCAS-Vorhaben angezeigt – ein Schritt, der zudem die von Starmers Regierung versprochene Wiederannäherung an Europa symbolisieren könnte?
Beim renommierten Londoner Strategieinstitut IISS mahnen die Experten seit Jahrzehnten zu besserer Koordination europäischer Rüstungsprojekte. „Das fehlende Geld treibt uns zusammen“, argumentierte der mittlerweile zum IISS-Chef aufgestiegene deutsche Politologe Bastian Giegerich schon vor 15 Jahren. Doch bis heute bleiben nationale Eifersüchteleien sowie die Sorge um heimische Arbeitsplätze allemal wichtiger als alle Finanzüberlegungen. Bei den seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts diskutierten Plänen für den neuen Kampfjet kam die französisch-deutsche Skepsis gegenüber dem Schlingerkurs des Brexit-Landes hinzu.
Die Labour-Regierung hat von ihren konservativen Vorgängern eine Regierungsdoktrin (integrated review) zur Außen- und Sicherheitspolitik geerbt. Sie beschwört die hohe Bedeutung nationaler Ressourcen wie leistungsfähiger Waffenhersteller. Daran dürfte sich auch in Zukunft wenig ändern, sichert die Rüstungsindustrie, allen voran BAE, doch Zehntausende von Arbeitsplätzen nicht zuletzt in traditionellen Labour-Wahlkreisen Nordenglands.
Unerfreuliche Fakten
Mit der strategischen Bestandsaufnahme (strategic review) hat Verteidigungsminister John Healey einen seiner Labour-Vorgänger, den hoch angesehenen späteren NATO-Generalsekretär George Robertson, beauftragt. Kenner der Materie geben sich skeptisch über den Neuigkeitswert der Studie, die zehn Monate in Anspruch nehmen soll. Die unerfreulichen Fakten sind weitgehend bekannt: Schon im existierenden Zehn-Jahres-Beschaffungsprogramm der britischen Streitkräfte besteht Unklarheit über die immense Summe von 16,9 Milliarden Pfund (20,1 Mrd. Euro). Die unsichere Lage der Volkswirtschaft, der verheerende Zustand des Gesundheitssystems NHS, die wachsenden Sozialausgaben lassen zusätzliche Investitionen in Rüstungstechnik kaum zu.
„Das beste Argument für den Review“, lästert der Militärhistoriker Max Hastings in der Times, sei der Zeitgewinn: Im kommenden Frühjahr wisse die Welt, wer im Weißen Haus amtiert; die Briten hätten ausreichend Gelegenheit, sich mit den europäischen Verbündeten über die gemeinsame Verteidigung des Kontinents zu verständigen, falls die USA unter dem möglichen Präsidenten Donald Trump nicht mehr die Hauptlast schultern wolle.
- Sandy Artuso macht mit „Queer Little Lies“ Esch zum queeren Kultur-Hotspot - 26. November 2024.
- Gewerkschaften und Grüne kritisieren „Angriffe der Regierung“ auf Luxemburgs Sozialmodell - 26. November 2024.
- Sozialwohnungen statt Leerstand: Was die „Gestion locative sociale“ Eigentümern bieten kann - 26. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos