Parteitag in Edinburgh / Schottische Nationalisten zerkriegen sich über ihre Haltung zu Israel und Gaza
Wenn Angus Robertson nicht gerade über die Verfassung nachdenkt oder Kulturschaffende als wichtigen Wirtschaftsfaktor preist, empfängt der schottische Minister gern Ausländer. Das hat mit dem dritten Teil seines Ressorts zu tun: Der 54-Jährige zeichnet in der Edinburgher Regionalregierung der nach Unabhängigkeit strebenden Nationalistenpartei SNP nicht nur für die Verfassung und die Kultur, sondern auch für „externe Angelegenheiten“ verantwortlich.
Auf X lässt sich nachvollziehen, mit wem der 54-Jährige gerade wieder das Vergnügen hatte. Mal ist es die neue US-Generalkonsulin in Edinburgh, mal kommt die argentinische Botschafterin aus London angereist. Neulich war der österreichische Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher zu Gast bei Robertson – insofern eine besondere Freude, als der Sohn einer Deutschen und eines Schotten lange Jahre in Wien gelebt hat. Beglückt promovierte die Londoner Botschaft der Alpenrepublik den Gastgeber zum „Außenminister“ seiner Region, die konstitutionell eher mit Niederösterreich oder Baden-Württemberg vergleichbar ist.
Ein denkwürdiges Zusammentreffen mit einer Ausländerin Anfang August hingegen ließ die schottische Regierung merkwürdig unkommentiert. So war es die israelische Vize-Botschafterin Daniela Grudsky, die mit vier Tagen Verspätung ihren Termin bei Robertson öffentlich machte. Zwischen Israel und Schottland gebe es „einzigartige Gemeinsamkeiten“ und schöne Kooperationsmöglichkeiten auf den Feldern von Kultur und Technik. Außerdem habe man die „dringliche Notwendigkeit“ betont, die 115 verbliebenen Hamas-Geiseln nach Hause zu holen.
Prompt brach ein gewaltiger Shitstorm über den Minister herein. Denn kaum eine andere Partei Großbritanniens hat sich nach dem Hamas-Massenmord vom vergangenen Oktober so kompromisslos auf die Seite der Palästinenser gestellt wie die SNP. Das hatte von Anfang an auch eine besondere emotionale Komponente: Die aus Palästina stammenden Schwiegereltern des damaligen Ministerpräsidenten Humza Yousaf befanden sich auf Verwandtenbesuch im Gazastreifen, als die israelische Offensive begann. Anders als die britische Labour-Party unter dem heutigen Premierminister Keir Starmer forderten SNP-Vertreter einen sofortigen Waffenstillstand.
Die Schwiegereltern sind längst wieder wohlbehalten im Land. Beim SNP-Parteitag an diesem Wochenende gäbe es eine Vielzahl wichtiger Themen zu besprechen. Der frühere Generalsekretär Peter Murrell steht unter Anklage wegen Unterschlagung, seine Frau Nicola Sturgeon, einst die strahlende SNP-Galionsfigur, gehört zum Kreis der Beschuldigten. Yousaf stolperte im April nach nur 13 Amtsmonaten über seine eigene Inkompetenz. Unter seinem Nachfolger im Partei- und Regierungsamt, John Swinney, wurde die sieggewohnte Partei bei der Unterhauswahl Anfang Juli verheerend gerupft und fiel auf 30 Prozent Stimmanteil zurück. Statt zuvor 45 sitzen nur noch neun Nationalisten im ungeliebten Londoner Parlament.
Zudem zeigt die seit 2007 amtierende Regierung schwere Verschleißerscheinungen. Viele Fähren zu den Inseln vor der Westküste sind unzuverlässig, neue Boote lassen auf sich warten. Großzügige Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst haben den fiskalischen Spielraum verringert, den an soziale Wohltaten gewöhnten Schotten drohen harte Einsparungen. Eine vermeintlich fortschrittliche Transgender-Politik scheiterte ebenso am Einspruch Londons wie der Wunsch nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum.
Hochemotionale Debatte
Viele Aktivisten aber diskutieren am liebsten über Gaza, und Robertsons Treffen mit Grudsky bot einen willkommenen Anlass, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Eilig beteuerte der Minister, er habe die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand erneuert und die „Gräueltaten“ in Gaza verurteilt. Zudem sei Swinney vorab eingeweiht gewesen. Alles vergebens: Nach tagelangem Trommelfeuer der empörten Basis musste sich Robertson demütig entschuldigen und jedem weiteren Kontakt abschwören. Sein Parteitagsauftritt am Sonntag verspricht interessant zu werden.
Außenpolitische Themen würden die Briten selten sonderlich interessieren, analysiert Evie Aspinall, Chefin des Thinktanks British Foreign Policy Group. „Wenn aber doch, dann überwiegen sehr klare, gegensätzliche Meinungen. Und die Leute sehen nicht ein, warum es so wichtig ist, mit den Beteiligten zu reden.“
Mit dieser Attitüde stehen die Schotten nicht allein. Im benachbarten Irland forderte schon kurz nach dem Hamas-Massaker die Oppositionsführer Mary Lou McDonald von Sinn Féin – einst politischer Arm der Terrortruppe IRA – lautstark die Ausweisung der israelischen Botschafterin. Die Große Koalition unter Premier Simon Harris trat nicht nur frühzeitig für einen bedingungslosen Waffenstillstand ein; im Mai erkannte Irland auch im Einklang mit Spanien und Norwegen Palästina als souveränen Staat an. Seit dieser Woche bleiben israelische Unternehmen von irischen Militäraufträgen ausgeschlossen. Die Grüne Insel hat im vergangenen Jahrzehnt Drohnen sowie Bodenradar-Geräte im Wert von 8,5 Millionen Euro aus Israel gekauft.
In Großbritannien bleibt die hochemotionale Debatte um die richtige Haltung zum Gaza-Konflikt nicht auf die SNP beschränkt. Entgegen dem Trend verloren Anfang Juli mehrere Labour-Parlamentarier ihre Sitze an muslimische Aktivisten. Führende Parlamentarier vom linken Flügel der Regierungspartei Labour gehören regelmäßig zu den Rednern der Gaza-Solidaritätsdemos in der Hauptstadt, ebenso wie ihre einstige Galionsfigur Jeremy Corbyn, der mittlerweile als parteiloser Abgeordneter dem Unterhaus angehört. Viele Veranstaltungen am Rande des Labour-Parteitags Ende September sind dem schwierigen Thema gewidmet.
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