/ Schwierige Mehrheitsfindung nach der Wahl: Hält die Mitte?
Bisher verfügten Konservative und Sozialdemokraten gemeinsam über eine klare Mehrheit im Europaparlament. Doch nach der Wahl am Sonntag dürfte es damit vorbei sein. Das liegt auch an wachsendem Misstrauen gegenüber der Demokratie und den Eliten.
Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel
Noch ist das Rennen zwischen Manfred Weber und Frans Timmermans nicht gelaufen. Noch buhlen die Spitzenkandidaten der beiden großen europäischen Parteienfamilien – EVP und S&D – um Wählerstimmen. Doch auf ein Novum stellen sich Weber und Timmermans schon jetzt ein: Ohne eine dritte Partei, vermutlich Grüne oder Liberale, werden sie im neuen EU-Parlament keine Mehrheit erringen. Die Mitte schrumpft, die bisher stabile Mehrheit aus Konservativen und Sozialdemokraten ist dahin. Dies zeigen alle Umfragen und Hochrechnungen für die Abstimmung am Sonntag. So weist die letzte Projektion des Europaparlaments von Mitte April nur noch 149 Sitze für die Timmermans S&D und 180 für Webers EVP aus. Das macht zusammen 329 – zu wenig für eine Mehrheit, die bei 376 Sitzen liegt.
Die Verluste gehen nicht nur auf das Konto der Rechtspopulisten und Nationalisten, die erneut zulegen dürften. Besonders viele Stimmen könnten die Etablierten an neue, bisher weitgehend unbekannte Parteien verlieren, denen stolze 62 Sitze vorhergesagt werden. Gelbwesten, Piraten, Tierschützer oder die deutsche Satire-PARTEI sind im Aufschwung – und tragen zur Zersplitterung bei. Für Franziska Schröter von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ist das keine Überraschung. Sie untersucht bereits seit 2006 die Veränderungen in der gesellschaftlichen Mitte Deutschlands.
Die letzte „Mitte-Studie“, die Anfang Mai veröffentlicht wurde, sorgte für Streit. Denn sie brachte nicht nur eine hohe Zustimmung zur EU zu Tage, sondern auch weitverbreitete Vorurteile gegenüber Ausländern und einen Verlust demokratischer Orientierung. Immerhin 86 Prozent der Befragten möchten, dass der Zusammenhalt in der EU gestärkt wird. Doch gleichzeitig wurden große Vorbehalte gegen über der Demokratie und den Eliten deutlich. „Wir haben eine generell kritische Haltung zu den Eliten und zum Funktionieren der Demokratie festgestellt“, sagt Schröter, die die Studie („Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“) herausgegeben hat.
Aufklärungs- und Werbekampagnen
Dies schlage sich auch in der Haltung zu Brüssel und zur Europawahl nieder, so die Expertin. Brüssel sei zu weit weg, ein Gefühl der Machtlosigkeit breite sich aus. „Die demokratischen Kräfte müssen hier für Lösungen sorgen“, warnt Schröter. Sonst werde das Misstrauen in die Demokratie weiter wachsen. In Großbritannien könne man jetzt schon beobachten, wie der demokratische Prozess zerstört wird – und welche absurden Folgen dies für die EU hat.
Das Europaparlament versucht, mit Aufklärungs- und Werbekampagnen („Diesmal wähle ich“) gegenzusteuern. Doch ob dies die Wahlbeteiligung erhöht und die Demokratie in Europa stärkt, bleibt abzuwarten. Die Wahl am Sonntag könnte auch eine Patt-Situation bringen – mit ungefähr gleichstarken Fraktionen von EVP und S&D. Auf jeden Fall wird es diesmal nicht so reibungslos gehen wie vor fünf Jahren, als die Sozialdemokraten dem Wahlsieger Jean-Claude Juncker ihre Unterstützung zusagten.
Timmermans hat angekündigt, dass er eine „progressive Mehrheit“ ausloten möchte – mit Liberalen, Grünen und Linken. Doch das braucht Zeit und es könnte in einem Showdown mit Weber und den Konservativen münden. Am Ende könnten sogar wieder die Staats- und Regierungschefs das Ruder übernehmen. Je mehr die Mitte schrumpft, desto größer dürfte die Versuchung sein, sich über das Wahlergebnis hinwegzusetzen – im Namen der Stabilität.
- US-Präsident Trump will erneut das Pariser Klimaschutzabkommen kündigen - 20. Januar 2025.
- Eine Familienangelegenheit: Fels sichert sich zum vierten Mal die Coupe FLBB - 20. Januar 2025.
- Brand bei Goodyear: Feuerwehr vor Ort – alle Mitarbeiter evakuiert - 20. Januar 2025.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos