Coronavirus / Weltweit herrscht keine Einigkeit um den AstraZeneca-Impfstoff
Einige Menschen in Europa sind gestorben, nachdem sie mit dem Vakzin von AstraZeneca geimpft wurden. Mehrere europäische Länder benutzen den Stoff deshalb vorerst nicht mehr. Darunter Luxemburg. Ob es einen Zusammenhang gibt, wird derzeit noch untersucht. Am Donnerstag soll ein Ergebnis vorliegen.
Während mancherorts im Akkord geimpft wird, kommt man in Westeuropa nicht richtig voran. Nun haben unter anderem Deutschland und Frankreich die Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca vorübergehend ausgesetzt. Luxemburg hat sich dieser Entscheidung angeschlossen. Laut einer Mitteilung der Regierung handelt es sich dabei um eine „Vorsichtsmaßnahme, während man das Ergebnis der Untersuchungen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zu einer Reihe von Blutstörungen abwartet, die bei Personen aufgetreten sind, welche mit dem Impfstoff von AstraZeneca geimpft wurden“.
Was war passiert? Laut der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA sind bei „einer sehr kleinen Anzahl von Personen“, nachdem sie den Impfstoff erhalten haben, Blutgerinnsel aufgetreten. Einige davon hatten ungewöhnliche Merkmale, wie z.B. eine niedrige Anzahl von Blutplättchen, wie die Behörde schreibt. Eine Untersuchung wurde eingeleitet. Ein Blutgerinnsel (auch Thrombus) ist ein Pfropfen, der ein Blutgefäß verstopft. Dadurch werden Organe nicht mehr richtig durchblutet und mit Sauerstoff versorgt, was schlimme Folgen haben kann. Ein Blutgerinnsel im Kopf kann zum Beispiel die Ursache eines Schlaganfalles sein.
Bislang ist die Untersuchung nicht zu einem Ergebnis gekommen. Dass zwei Ereignisse nacheinander eintreten, bedeutet nicht unbedingt, dass das erste Ereignis die Ursache des zweiten ist. Die EMA schreibt: „Viele Tausende von Menschen entwickeln in der EU jährlich aus unterschiedlichen Gründen Blutgerinnsel. Die Anzahl der thromboembolischen Ereignisse insgesamt scheint bei geimpften Personen nicht höher zu sein als in der Allgemeinbevölkerung.“
„Auffällige Häufung“
Anders sieht es das Paul-Ehrlich-Institut – das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen verantwortlich ist – und redet von einer „auffälligen Häufung“ dieser speziellen und seltenen Art von Blutgerinnseln im Gehirn, die in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff aufgetreten sind. Bis die EMA mit ihrer Untersuchung fertig ist, wurden die Impfungen mit AstraZeneca in Deutschland ausgesetzt. Das Institut rät Patienten, die sich mehr als vier Tage nach der Impfung mit dem Vakzin unwohl fühlen (z.B. starke und anhaltende Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen haben) sich „unverzüglich in ärztliche Behandlung zu begeben“. Der Präsident des Institutes, Klaus Cichutek, sagte gegenüber der ARD, bei der Anzahl der Geimpften dürfte man etwa einen Fall erwarten, bislang zähle man allerdings bereits acht Fälle. Damit liege man „statistisch signifikant über dem Background“. Im Klartext: Er sieht Anzeichen für einen ursächlichen Zusammenhang.
Entwickelt wurde der Impfstoff vom Pharmaunternehmen AstraZeneca mit Hauptsitz in Cambridge. In der Impfstrategie des Vereinigten Königreiches spielt er eine entscheidende Rolle. Laut BBC hat die britische Regierung mehr als 400 Millionen Dosen der sieben aussichtsreichsten Impfungen bestellt. Davon sind nur drei in Großbritannien zugelassen: AstraZeneca (100 Mio. Dosen), Pfizer (40 Mio.) und Moderna (17 Mio.). Das britische Gesundheitsministerium bleibt überzeugt: „Es wurde nicht bestätigt, dass die Berichte über Blutgerinnsel durch den Covid-19-Impfstoff von AstraZeneca verursacht wurden. Menschen sollten sich dennoch ihren Covid-19-Impfstoff holen, wenn sie dazu aufgefordert werden.“
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) glaubt an den Nutzen des Impfstoffs und versucht zu beschwichtigen. Bei umfangreichen Impfkampagnen sei es für die Länder Routine, mögliche unerwünschte Ereignisse nach der Impfung zu melden, schreibt die WHO. Dies bedeute nicht unbedingt, dass die Ereignisse mit der Impfung selbst in Verbindung stehen. Allerdings sei es gut, sie zu untersuchen. Es zeige auch, dass das Überwachungssystem funktioniert und wirksame Kontrollen vorhanden sind.
Impfanstrengungen ausgebremst
Einige Akteure argumentieren, dass die Gefahr, die vom vorläufigen Stopp des AstraZeneca-Impfstoffes ausgeht, viel größer ist als die, die mit den Nebenwirkungen des Impfstoffes einhergeht. Durch das zeitweise Aussetzen von AstraZeneca werden die Impfanstrengungen in Deutschland, Frankreich und Luxemburg gebremst. Viele Menschen erhalten ihre Dosis dadurch erst später. In der Zwischenzeit können sie sich immer noch mit dem Virus infizieren und es weitergeben.
Die Vorsitzende der EMA, Emer Cooke, betonte ihre Position, dass die Vorteile von AstraZeneca im Kampf gegen das Coronavirus die Risiken der Nebenwirkungen bei Weitem aufwiegen. Phil Bryan, der beim britischen Gesundheitsministerium für Impfungen zuständig ist, wird auf der Internetseite des Ministeriums in ähnlicher Weise zitiert: „Der Nutzen des Impfstoffs zur Vorbeugung von Covid-19 und dem damit verbundenen Risiko von Krankenhausaufenthalten und Tod überwiegt bei Weitem die Risiken von Nebenwirkungen. Menschen sollten sich den Covid-19-Impfstoff verabreichen lassen, wenn sie dazu aufgefordert werden.“
Der Impfstoff von AstraZeneca steht – gelinde gesagt – nicht unter einem guten Stern. Es gab mehrere Unwegsamkeiten. Dem Impfstoff haftet der Ruf an, ein Vakzin zweiter Klasse zu sein, weil seine (auf eine Zahl heruntergebrochene) Wirksamkeit mit 82 Prozent angegeben wurde und damit niedriger liegt als die Impfstoffe anderer Hersteller. Zum anderen bestand Verunsicherung, ob der Stoff bei Menschen über 64 Jahren wirkt. Die deutsche Ständige Impfkommission (Stiko) hatte das Vakzin zunächst nicht für ältere Patienten in Deutschland empfohlen, weil ihrer Einschätzung zufolge nicht genügend statistische Daten vorlagen, um eine Wirkung bei dieser Altersgruppe zu bestätigen. Anfang März empfahl die Stiko den Impfstoff dann für alle Altersgruppen. Auch die „Haute autorité de santé“ (HAS) in Frankreich verfuhr so.
Laut AstraZeneca selbst wurden in der Europäischen Union und Großbritannien bereits 17 Millionen Menschen mit dem Stoff geimpft. Dem Unternehmen lagen eigenen Aussagen zufolge bis zum 8. März Berichte über 15 Fälle von tiefer Venenthrombose und 22 Fälle von Lungenembolie vor. Dies sei sogar deutlich weniger, als man in einer Bevölkerung dieser Größenordnung vermuten würde, und ähnlich wie bei anderen zugelassenen Covid-19-Impfstoffen, schreibt AstraZeneca.
Die zuständige Kommission der EMA wird ihre Untersuchung voraussichtlich am Donnerstag, dem 18. März abschließen und eine Empfehlung abgeben.
Wo ‚die Welt‘ doch über alles andere einig ist, ist das natürlich bedauerlich.