Deutschland / Wie die Grünen die schlechte Stimmung gegen sie drehen wollen
Die Grünen stehen in Umfragen schlecht da. Bei der Brandenburg-Wahl dürften sie die nächste Klatsche einfahren. Nun feilen sie an einer Strategie, wie sie sich bis zur Bundestagswahl aus dem Tal herauskämpfen wollen.
Robert Habeck badet im Jubel der Menge. Der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler genießt sichtlich die Begeisterung und den Applaus, der ihm aus dem voll besetzten Kinosaal in Potsdam entgegenschlägt. Es ist der 3. September, knapp drei Wochen vor der Landtagswahl in Brandenburg. Habeck ist in die Landeshauptstadt gekommen, um seiner angeschlagenen Partei auf den letzten Metern vor der Wahl Mut zu machen. „Wahlkampf kommt von kämpfen. Und wie die Amerikaner sagen: Wenn man gewinnen will, dann muss man auch kämpfen“, ruft Habeck in den Saal, in dem vor allem Gleichgesinnte sitzen. „Also, reißen wir uns zusammen, hängen wir uns rein, sorgen wir dafür, dass wir am Wahlsonntag am 22.9. ein richtig fettes, starkes grünes Ergebnis bekommen.“ Das Publikum jubelt, Habeck reckt kampfeslustig die Fäuste in die Luft.
Ein fettes grünes Ergebnis, das ist ein frommer Wunsch. Die Grünen kratzen in jüngsten Brandenburg-Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde und bangen um den erneuten Einzug in den Landtag. Das Ergebnis von 10,8 Prozent bei der Landtagswahl 2019 liegt in weiter Ferne. Umso mehr setzen sie darauf, erneut ein Direktmandat zu holen. 2019 hatte Marie Schäfer im Wahlkreis Potsdam 1 das erste ostdeutsche Direktmandat für die Grünen gewonnen – gegen die heutige Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD. Ein Coup für die Bündnispartei. Gelingt das den Grünen diesmal auch, würden sie dank der Grundmandatsklausel wieder in den Landtag kommen, auch wenn sie unter fünf Prozent landen.
Solche Kalkulationen sind Ausdruck des desolaten Zustands, in dem sich die Grünen befinden. Auf Bundesebene sieht es kaum besser aus. In Umfragen steht die Partei bei rund elf Prozent. Höhenflüge auf bis zu 25 Prozent von Mitte 2022 gehören einer fernen Vergangenheit an. Seither ging es für die Grünen langsam, aber stetig bergab.
Habeck zögert
Und mehr noch, die Grünen sind für viele regelrecht zum Feindbild geworden, gerade in den ostdeutschen Bundesländern. Daran hat nicht nur, aber besonders die Union fleißig mitgewirkt, etwa wenn CDU-Chef Friedrich Merz die Grünen einst „Hauptgegner“ nannte oder CSU-Chef Markus Söder, der Schwarz-Grün kategorisch ausschließt, Umweltministerin Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“ bezeichnete. Gepaart mit dem schlechten Ansehen der Ampel-Regierung, bei dem sich die Grünen nicht aus der Verantwortung nehmen können, ist das ein giftiges Gemisch für die Partei.
Das ist die Ausgangslage für die Grünen wenige Tage vor der Brandenburg-Wahl und rund ein Jahr vor der Bundestagswahl. Sie ist einer der Gründe dafür, warum Habeck zögert, seine Kanzlerkandidatur für die Grünen offiziell zu machen. Nachdem Außenministerin Annalena Baerbock ihren Verzicht erklärt hatte, richten sich alle Augen auf den Vizekanzler. Ein anderer Grund für Habecks Zurückhaltung: Intern wird noch immer hin und her überlegt, ob man tatsächlich einen Kanzlerkandidaten aufstellen oder nicht besser von einer Spitzenkandidatur sprechen sollte, um angesichts schlechter Werte nicht anmaßend zu wirken.
Bei den Grünen wird daher diskutiert, erst mit einer Spitzenkandidatur zu starten. Sollten sich die Umfragen bis etwa Ostern 2025 für die Grünen merklich verbessern, könnte man immer noch zu einer Kanzlerkandidatur wechseln. Bis spätestens Mitte November jedenfalls soll die Entscheidung fallen: Beim Parteitag der Grünen in Wiesbaden soll Habeck offiziell gekürt werden.
Welche Machtoption?
Schwieriger noch ist für die Grünen die Frage, mit welchen Machtoptionen sie in den Bundestags-Wahlkampf ziehen. Für eine Fortsetzung der Ampel zu werben, steht außer Frage. Für Rot-Grün reicht es nach aktuellem Stand bei Weitem nicht aus. Und die Union steht einer Koalition mit den Grünen sehr skeptisch gegenüber.
Die Grünen werden daher sicherlich nicht mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen. Sie wollen sich auf die eigene Botschaft konzentrieren. In einer Zeit von Krisen, Kriegen und Schwarzmalerei soll über allem die Zuversicht stehen. Hört man Habeck dieser Tage bei seinen Auftritten zu, kann man beobachten, wie er an seiner Erzählung feilt: Von lösbaren Problemen ist dann etwa die Rede, von gelingender Transformation der Wirtschaft, von einem starken Land und der Kraft seiner Menschen. Habeck testet sein Narrativ in der Praxis.
Da ist es kein Zufall, dass Habeck beim Auftritt in Potsdam den Blick in die USA richtet und an den Spruch der Amerikaner erinnert: „Wenn man gewinnen will, dann muss man auch kämpfen.“ Die Grünen sollen sich den Wahlkampf der US-Demokraten zum Vorbild nehmen. Ihnen ist es gelungen, mit Kamala Harris an der Spitze gute Laune und Freude („You brought back the joy“) zu vermitteln. Ob das bei den Grünen auch funktioniert? Fraglich. Denn Robert Habeck schlägt derzeit nicht sehr oft Jubel entgegen.
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