/ Beispielhafte Entwicklungshilfe: Die Gemeinde Roeser feiert ihre langjährige Partnerschaft mit den Kolla
Am Donnerstag traf eine fünfköpfige Delegation der Kolla-Indianer aus dem Nordwesten Argentiniens zu einem zehntägigen Besuch in Roeser ein. Anlass war die seit mehr als 25 Jahren bestehende Partnerschaft der kleinen Südgemeinde mit dem indigenen südamerikanischen Volk. Eine einmalige Partnerschaft übrigens, was Luxemburg angeht. Und eine, die den Kolla bisher viel gebracht hat.
Kann eine winzige luxemburgische Kommune mit wenigen tausend Einwohnern in einem riesigen Land wie Argentinien für ein politisches Umdenken sorgen und die Staatsführung so unter Druck setzen, dass sie einer über Jahrzehnte unterdrückten indigenen Volksgruppe (zumindest teilweise) ihre Rechte zurückgibt? Ja, sie kann! Bestes Beispiel dafür – aber leider auch das einzige im Großherzogtum – ist dasjenige der Gemeinde Roeser.
Vor etwas mehr als einem Vierteljahrhundert ging diese eine Partnerschaft mit den Kolla-Indianern aus der Provinz Salta, genauer mit den Dörfern Rio Blanquito de Santa Cruz, Los Naranjos de San Andrés und Angosto del Paraní ein, deren Einwohner infolge der langjährigen Unterdrückung in einer Art Reservat leben mussten, das sie nicht verlassen durften. Die Ländereien, die sie für karge Löhne bewirtschaften mussten, gehörten einst ihren Vorfahren. Doch die Landesoberen hatten sie enteignet. Schon 1946 gab es deswegen einen ersten Protestmarsch – zu Fuß – zum 2.000 Kilometer entfernten Buenos Aires.
Wie David gegen Goliath
Doch alle Bemühungen sollten erfolglos bleiben. Ändern sollte sich dies erst nach der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im brasilianischen Rio de Janeiro im Jahr 1992. Roeser war eine der ersten luxemburgischen Gemeinden, die als Folge dieses Gipfels dem internationalen Klima-Bündnis beitraten. Schon einige Jahre zuvor, 1989, war in der Kommune die „Solidaresch Hëllef Réiserbann“ gegründet worden.
Gründungspräsident war damals der Roeser Schöffe Raymond Becker. Später folgte Francis Klein, der bis 2001, als er verstarb, der ONG vorstand. Heute leitet Bürgermeister Tom Jungen die Vereinigung, durch die es im Anschluss an den brasilianischen Umwelt- und Entwicklungshilfegipfel zur Partnerschaft mit den argentinischen Kolla kam. Er blickt heute positiv auf die an den Kampf David gegen Goliath erinnernden Bemühungen der Gemeinde und der ONG gegen die Unterdrückung der Indigenen aus Salta zurück, die schließlich von Erfolg gekrönt werden sollten!
Auch das Europaparlament befasste sich mit dem Thema
Noch 1992 kam es zu einem ersten Besuch einer Delegation der Kolla in Roeser. Dabei erklärten die Indianer ihren neuen Partnern die Lage und trugen ihre Anliegen vor. In der Südgemeinde begann man sofort, alles in die Wege zu leiten, um den Kolla bei ihren Bemühungen behilflich zu sein. Man gewann die für Entwicklungshilfe zuständigen staatlichen Stellen in der Hauptstadt für dieses Unterfangen, konnte mit den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln unter anderem Anwälte bezahlen, die in Argentinien für die Kolla vor Gericht zogen. Und man erreichte es sogar, dass sich das Europaparlament mit der Thematik befasste.
Im „Geméngebuet“ (Ausgabe Juli/August 2019) kann man hierzu unter anderem lesen: „In Roeser verfolgt man von weitem die Lage in Argentinien, mit dem Gedanken, die dortigen Senatoren und den Präsidenten positiv zu beeinflussen. Der Rechtsanwalt der Kolla, Eulogio Frites, hatte schon im Januar (1993, Anm. der Red.) vorgeschlagen, die Unterstützung des Europaparlamentes zu erhalten. Ben Fayot, damals Vizepräsident der sozialistischen Gruppe im Europaparlament, wird um Hilfe gebeten. Zusammen mit Raymond Becker und Francis Klein setzt er einen Text für einen Beschluss zugunsten der Kolla auf. Dieser Beschluss wird schnell angenommen, dies im Rahmen des Jahrzehnts der Eingeborenenvölker. Der Text trägt die Nummer B3 1130-93 und wird am 28. September an die Presseagentur ’Prensa Eucuménica‘ gesandt. Die Journalistin Alicia Vasquez veröffentlicht den Text in Buenos Aires, noch bevor er in den offiziellen Publikationen der EU auftaucht.“
Empfang durch den argentinischen Präsidenten
Der Einsatz sollte schlussendlich fruchten! Der damalige Präsident Argentiniens, Carlos Menem, empfing gar eine Delegation der Kolla aus Salta und nach und nach konnten die Indianer den größten Teil ihrer Ländereien zurückerhalten. Auch im Kampf gegen die Abholzung der Urwälder der Region – Erinnerungen an das, was derzeit in Brasilien passiert, werden wach – konnte die Kolla-Gemeinschaft nicht zuletzt durch die Hilfe aus Roeser Erfolge feiern.
Doch noch ist in den Dörfern Rio Blanquito de Santa Cruz, Los Naranjos de San Andrés und Angosto del Paraní alles so, wie es eigentlich sein sollte. Das liegt auch daran, dass es Anfang der 2000er zu Streitigkeiten innerhalb der Kolla kam. Ursache war eine geplante Gasoberleitung, die bei den einen auf Wohlwollen, bei den anderen auf starken Protest stieß. Letztere warnten vor der Gefahr von Erosion, die durch das Vorhaben einer Multinationalen entstehen könnte, Erstere sahen durch das Projekt positive Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Partnerschaft zeitweise auf Eis gelegt
Recht behalten sollten schließlich die Kritiker: Es kam zur erwarteten Erosion, zu Explosionen und schlussendlich wurden die Arbeiten eingestellt. Die Gemeinde Roeser indes legte, wie Bürgermeister Jungen dem Tageblatt in einem Gespräch erklärte, während der Dauer der Streitigkeiten ihre Partnerschaft mit den Kolla auf Eis. „Schließlich sollten sich beide Gruppen dann doch noch wieder zusammenfinden, sodass einer Wiederaufnahme der Partnerschaft nichts mehr im Wege stand.“
Ab heute wird nun eine Delegation aus zwei Frauen und drei Männern aus der Provinz Salta in Roeser zu Gast sein, um über weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu diskutieren. Auf dem Programm stehen unter anderem auch ein Empfang durch den Großherzog und eine eigens einberufene Gemeinderatssitzung, um eine Resolution über die künftigen Projekte zu verabschieden. Wir werden darüber berichten.
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