Uni Luxemburg / Das Schweigen brechen: Internationale Studientage zum Zweiten Weltkrieg in Luxemburg
Die wissenschaftliche Aufbereitung des Zweiten Weltkrieges war hierzulande lange Zeit kein Thema. Mit den Gesetzen von 1950 und 1967 über die Entschädigungen für die Kriegsopfer hatte man sich politisch ein gutes Gewissen gegeben. Dazu kam eine offizielle Geschichtsschreibung, die uns gerne alle als unfreiwillig Beteiligte darstellte und einzelne Aspekte nicht näher hinterfragte. Das macht die moderne Forschung anders. Eine internationale Studientagung der Uni Luxemburg hat sich mit der Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsschichten aus der Gesellschaft befasst.
Späte Einsicht
Während sich in unseren Nachbarländern nach den spektakulären Filmwerken von Claude Lanzmann („Shoah“, 1985) und Steven Spielberg („Schindlers Liste“, 1993) die Forschung rund um die Shoah verstärkte, brauchte Luxemburg bis in die 2000er Jahre, um sich mit der eigenen Vergangenheit näher auseinanderzusetzen. Die ersten historischen Erforschungen und Auswertungen der Geschichte waren bis dahin größtenteils Privatinitiativen einzelner Historiker oder direkt Betroffener, wie dem Journalisten und Europabeamten Paul Cerf.
Bei seiner Gründung 2016 hat das Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) an der Uni Luxemburg die jüngere Zeitgeschichte in den Mittelpunkt seiner Arbeiten gestellt. Jetzt ist es eine jüngere Generation, die an einzelnen Aspekten arbeitet, Emotionen sind dabei weniger im Spiel.
Die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Regierung und der jüdischen Gemeinschaft am vergangenen 27. Januar hat weitere Forschungsgelder bereitgestellt. Wie groß die internationale Beachtung der bisherigen Arbeiten ist, beweist nicht zuletzt die Beteiligung an den internationalen Studientagen, wo 25 Wissenschaftler ihre Arbeiten vorgestellt haben.
„Déposséder – dépossédé“, Enteignung und Enteignete. So lautete der Titel einer Studientagung, die Anfang Juli vom Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C²DH) und dem Luxemburger Literaturarchiv abgehalten wurde. Das Thema lässt aufhorchen. Wem wurde während des Zweiten Weltkrieges was weggenommen? Der Blick der Historiker geht dabei auf das Schicksal der Juden, die ab 1940 immer mehr aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden, aber auch auf die Künstler, deren Werke nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als entartet galten, auf die Umgesiedelten, deren Besitz nach ihrer zwangsweisen Abreise zerstückelt wurde. „Auf alle Menschen, denen das Recht auf ihre Kreativität und ihre Identität abgesprochen wurde“, so die Referenten.
Nach dem Kriegsausbruch am 10. Mai 1940 und der Besetzung unseres Landes ging es Schlag auf Schlag. Der am 25. Juli 1940 als Chef der Zivilverwaltung eingesetzte Gauleiter Gustav Simon wollte mithilfe der in Deutschland bereits erprobten restriktiven Regelungen die jüdische Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit aus dem Land vertreiben. Am 24. September galten bereits die sogenannten Nürnberger Gesetze, Luxemburg war damit das erste Land in Westeuropa, wo sie in Kraft traten. Ein klarer Beweis für die Absicht, es nicht nur zu annektieren, sondern dem nationalsozialistischen Reich regelrecht einzuverleiben.
Enthebung aus den offiziellen Ämtern, Berufsverbot für Freiberufler, Einfrieren des Vermögens, Schulverweis für die Kinder, Boykott der jüdischen Geschäfte, Viehdiebstahl und Arbeitsverbot in den Schlachthöfen. Streichung des Kinder- und Schulgeldes. Mit den Verordnungen vom 12. Dezember 1940 wurde die jüdische Gesellschaft aus dem wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen. Anfangs sollte sie lediglich zur Emigration angehalten werden, die Gestapo-Soldaten begleiteten sogar die ersten Züge nach Frankreich. Doch sehr schnell wurde der Knoten enger gezogen.
Die in Luxemburg verbliebenen Menschen mussten aus ihren Häusern, wurden in Judenhäusern gruppiert, später ins Altersheim im Kloster Cinqfontaines verfrachtet, immer mit der Absicht, sie zu kontrollieren, zu isolieren und später zu deportieren.
Schätzungsweise wurden bis 1942 rund 1.300 Wohnungen aufgelöst, 600 Bankkonten gesperrt, Aktien im Wert von sechs Millionen Reichsmark verkauft. 29 Millionen Reichsmark wurden dabei beschlagnahmt, über 20 Millionen davon konnte der Gauleiter Gustav Simon frei verfügen.
Verkannte Werte
Ein weiterer bislang wenig analysierter Aspekt des Zweiten Weltkrieges sind der Kunstraub und die damit einhergehende Würdigung oder Ächtung der Künstler. „Sie wurden ihrer schöpferischen Freiheit enteignet“, knüpfte die Historikerin Catherine Lorent an das Thema der Studientage an.
Luxemburg war vor dem Zweiten Weltkrieg eine Begegnungsstätte zwischen französischen und deutschen Künstlern gewesen. Wer allerdings nach dem 10. Mai 1940 noch in Luxemburg künstlerisch tätig sein wollte, musste sich dem Regime anpassen. Joseph Kutter galt als entartet, Guido Oppenheim wurde 80-jährig nach Theresienstadt verschleppt und ist dort gestorben. Ein weiteres „Opfer“ des Nationalsozialismus war die „Gëlle Fra“ zu Ehren der Fremdenlegionäre des Ersten Weltkrieges. Sie wurde im Oktober 1940 abgerissen.
Mit der Besetzung der Häuser von Privatpersonen, die am 10. Mai 1940 das Land verlassen hatten, wurden ihre Möbel und Kunstwerke beschlagnahmt. Die zahlreich angetretene Militär- und Zivilverwaltung ließ sich in den schönen Wohnhäusern nieder, andere haben sie regelrecht geplündert.
Zu den verschwundenen Schätzen gehörten die Waffensammlung, die Möbel und die umfangreiche Bibliothek des großherzoglichen Schlosses in Colmar-Berg, die in einem deutschen Museum wiedergefunden wurden, genau wie der Besitz des Grafen von Ansemburg.
Politische Beeinträchtigung
Etwa 15.000 Menschen sollen Güter der Geflohenen und Vertriebenen ersteigert haben. Ein Teil davon wurde nach Kriegsende rückerstattet, diese Transfers wurden, jüngsten Forschungsarbeiten zufolge, jedoch nie gründlich analysiert. Eine politische Entscheidung, die die heutigen Arbeiten erschwert.
Eine weitere politische Entscheidung, welche die Forschung beeinträchtigt, ist das Gesetz von 2018 über den Datenschutz. Besonders die Suche nach möglichen Nachfolgern der Opfer wird dadurch erschwert. Das spüren vor allem die Historiker, die sich mit Einzelschicksalen beschäftigen. Dabei ist dieser Aspekt mittlerweile ein wichtiger Teil der modernen Aufarbeitung.
Das bestätigt auch die aktuelle Nachverfolgung der Lebensgeschichten von mehr als 3.000 Juden, die bei Kriegsausbruch hier lebten, die jedoch keine Luxemburger Staatsangehörige waren. Sie hatten sich hier zum Teil bescheidene Existenzen aufgebaut.
Wer nach 1933 in Luxemburg Asyl suchte, musste persönliches Vermögen haben, um für sich selbst zu sorgen oder musste von einer hier angesiedelten Familie aufgenommen werden. Ab 1938 wurde die Einwanderung aus Angst vor Überfremdung gestoppt. Diese Geschichten erzählen heute rund 3.130 Dokumente der Fremdenpolizei.
Analysiert wird aktuell auch die Geschichte des Vermögens, das diese Emigranten bei ihrer Flucht oder Verschleppung zurücklassen mussten und das ab dem 12. Dezember 1940 unter die Vormundschaft einer Spezialverwaltung fiel, welche dem Finanzministerium unterstand. Weiter gearbeitet wird ebenfalls am rechtlichen Rahmen der Enteignung, an der Chronologie und am Vergleich mit den besetzen Gebieten in Lothringen und dem Elsass.
Erschwert wird die Arbeit der Wissenschaftler auch durch die schwerfällig erfolgte Öffnung der Archive. Schlechte Prioritäten oder Mangel an politischem Willen lautete die Frage bei den Schlüssen aus den Arbeiten. Am kommenden 18. September will das C2DH deshalb auch an die breite Öffentlichkeit herantreten, um neue Quellen ausfindig zu machen, die unsere Geschichte erzählen und die Erinnerung an die Menschen wachhalten. „What is remembered, lives“, hieß es nach zwei intensiven Studientagen. Vielleicht ist das ja schon das nächste Thema?
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Die Nazis haben nicht nur einen jüdischen, sondern auch einen medizinischen Holocaust (Euthanasie) in Luxemburg verübt.
MfG
Robert Hottua