Geburtstag / Die Escherin Maria Grober-Paciotti ist 100 Jahre alt und kann es selbst kaum fassen
Maria Grober-Paciotti hat am 8. Mai ihren 100. Geburtstag gefeiert. Damit, dass sie noch eine Pandemie erlebt, hatte sie ganz bestimmt nicht gerechnet. Ins Altersheim möchte sie trotzdem nicht. Wieso auch? Schließlich kommt sie noch gut alleine klar und muss kein einziges Medikament nehmen.
Maria Grober-Paciotti kann es selbst kaum glauben: „Ech komme mer es net zou, dass ech 100 Joer al sinn“, sagt die strahlende Frau, die auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer in einer Escher Wohnung sitzt. In den Händen hält sie ein Foto aus dem Jahr 1940. Es ist mitten im Krieg entstanden, kurz nach der Geburt ihrer Tochter Olga. Auf der Rückseite stehen die Worte „Ernest Groof, Kunstphoto gegenüber dem Bahnhof“. Das sei ein bekannter Escher Fotograf gewesen, sagt sie. Auf der Vorderseite sind Maria, ihr Mann Jean-Pierre Grober und die kleine Olga abgebildet. Olga ist inzwischen 80 Jahre alt und sitzt im hellen Wohnzimmer neben ihrer Mutter. Die guten Gene liegen in der Familie.
91 Jahre ist es her, dass Maria zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Zwillingsbruder und ihrer jüngeren Schwester nach Esch gekommen ist. Bis dahin war sie im italienischen Gualdo Tadino in der Provinz Perugia im Herzen Italiens aufgewachsen. Wie viele damals war ihr Vater in den Süden Luxemburgs gekommen, um bei der Arbed zu arbeiten. Frau und Kinder folgten ihm kurz darauf.
Die kleine Maria war ein schlaues Mädchen. Nach nur drei Monaten im Großherzogtum sprach sie bereits Luxemburgisch. „Weil ich immer mit den anderen Kindern draußen gespielt habe“, sagt sie. In der Schule überspringt sie gleich drei Klassen und wird vom ersten ins vierte Schuljahr versetzt. Eine „Joffer“ Peiffer habe sie damals unter ihre Fittiche genommen und das Potenzial des Kindes beim gemeinsamen Rechnen erkannt.
An die Kirmes auf dem Brillplatz kann Maria sich noch gut erinnern. All die Farben und Lichter – so etwas hatte sie in Italien noch nie gesehen. Sie war so fasziniert, dass sie vor den Fahrgeschäften stehen blieb und das bunte Treiben beobachtete, bis plötzlich die Lichter ausgingen. „Diese Geschichte hat sie oft erzählt. Die vergesse ich nie“, sagt Olga.
Gute Gesundheit
In ein Altersheim will ihre Mutter nicht. Dabei steht sie auf zwei Wartelisten. „Sie haben schon dreimal angerufen, dass ein Platz für sie frei ist, und dreimal haben wir abgelehnt“, sagt Olga lachend. Sie komme ja noch alleine klar, ergänzt die Hundertjährige. Manchmal koche sie sich noch eine Kleinigkeit, wische den Staub von den Schränken ab und auch ihre Waschbecken putze sie noch selbst. Maria muss kein einziges Medikament einnehmen.
Dass sie mit hundert noch eine Pandemie erlebt, das hätte Maria ganz bestimmt nicht gedacht. Mit der Situation geht sie ganz pragmatisch um: „Wir müssen die Zeit jetzt eben mitmachen. Die Masken sind zwar lästig, aber das muss jetzt eben sein.“ Später würden alle darüber lachen, wie affig wir damit aussahen, meint sie. Raus geht sie schon länger nicht mehr alleine und seit dem Beginn der Krise hat sie ihre Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen.
Ihre Tochter Olga, ihr Sohn Henri sowie ihre vier Enkel und acht Urenkel haben sich während des Lockdowns gut um sie gekümmert, findet Maria. Einer ihrer Enkel, der auch im Süden wohnt, hat ihre Einkäufe erledigt und für sie gekocht. Mit Olga hat sie täglich eine halbe Stunde telefoniert. Ende April hat Olga dann den ersten vorsichtigen Besuch gewagt. „Ich habe alles desinfiziert und eine Maske getragen, aber ich musste sie einfach umarmen“, sagt sie.
Liebe in der Alzettestraße
Ihren Mann, Jean-Pierre Grober, hat Maria kennengelernt, als sie 18 war. Ganz romantisch, in der Alzettestraße. Dort hat die junge Frau damals gearbeitet. „Er ging immer dort spazieren und hat mich jeden Tag gesehen, wenn ich Fenster putzte oder Einkaufen war“, erinnert sie sich zurück. Die beiden gingen ein paarmal miteinander aus und eine Hochzeit ließ nicht lange auf sich warten.
Ein Jahr später ist Maria mit Olga schwanger – und muss vor dem Krieg nach Frankreich flüchten. „Mein Vater hat alles dafür getan, damit ich in Esch zur Welt komme“, sagt Olga – und so kam es auch. Im September 1940 erblickt das erste Kind von Jean-Pierre und Maria das Licht der Welt. Es war eine Hausgeburt.
Der Vergleich der damaligen und der aktuellen Krise fällt Maria schwer. Einer Sache ist sie sich aber sicher: „Schwere Zeiten bringen immer Veränderungen mit sich und meistens sind es positive Veränderungen.“
Schwere Zeiten bringen immer Veränderungen mit sich und meistens sind es positive Veränderungenhundertjährige Escherin
„Ich habe eine Freundin, die ein sehr bewegtes Leben hatte. Meine Mutter hat einmal gesagt, ihr Leben sei wie die Niagara-Wasserfälle und wir sind die Mosel. Immer ruhig und gleichmäßig, aber schön“, erzählt Olga. Maria sei immer zufrieden gewesen – und nie neidisch. Darin liege auch das Geheimnis ihres langen Lebens, glaubt ihre Tochter. Es gebe aber noch ein anderes Geheimnis, verrät sie. „De Pättche Wäin?“, fragt Maria und kichert, während sie sich die Haare mit dem Finger aus dem Gesicht streicht. Den genießt sie jeden Tag. Genauso wie einen kleinen Whiskey am Abend.
Langweilen tut sich Maria eigentlich nie – auch nicht in den Wochen, als sie keinen Besuch empfangen konnte. Morgens frühstückt sie ausgiebig – für sie die wichtigste Mahlzeit am Tag. Dann trinkt sie ihren „staarke Bounekaffi“ und macht sich dazu ein Brot mit Marmelade und Frischkäse. Später macht sie Kreuzworträtsel, schaut 3sat oder Arte und verliert sich in Musik. Am liebsten mag sie klassische Musik. Die Liebe zur Oper teilt sie sich mit Tochter Olga. „Wir sind beide begeistert vom Tenor Juan Diego Florez.“ Die Familie Grober-Paciotti war schon immer musikalisch. Vater Jean-Pierre hat jahrelang Klarinette in der Escher Stadtmusik gespielt.
Erinnerungen sammeln
Er ist vor 28 Jahren gestorben. „Es ist schlimm, wenn der Partner stirbt, aber das Leben muss weitergehen. Gell Olgi“, sagt Maria. Nach dem Tod des Vaters hatte Olga ihre Mutter dazu überredet, mit dem „Foyer de la femme“ nach Amerika zu reisen. Damals war Maria 68. Als sie zurückkam, hatte sie zahlreiche neue Freundschaften geschlossen. Von da an sind Mutter und Tochter um die halbe Welt gereist: Nepal, China, Ägypten und Thailand sind nur ein paar Orte, die sie gemeinsam erkundet haben. „Wir schauen uns die Fotos oft zusammen an und schwelgen in schönen Erinnerungen“, sagt Olga. Das macht beide glücklich.
Nach dem Krieg, 1949, ist Olgas Bruder Henri zur Welt gekommen. Maria blieb Hausfrau und kümmerte sich um ihre Kinder. „Sie war immer für uns da – von morgens bis abends und von abends bis morgens“, schwärmt Olga. Von ihrer Ankunft in Luxemburg bis heute hat Maria immer in Esch gelebt – und sie wollte auch nirgendwo anders hin. „Sie wäre noch nicht einmal nach Monnerich gezogen“, lacht ihre Tochter. „Esch ist eine große Stadt, aber für mich fühlt es sich nicht so an“, sagt die Hundertjährige. „Es ist meine Heimat, mein Land, mein Esch.“
Hundert Jahre auf dieser Welt müssen gefeiert werden. Die Zusammenkunft im Restaurant „Parc Le’h“ in Düdelingen war eigentlich schon geplant. Maria hofft, dass sie das möglichst bald nachholen und endlich wieder einen Tag im Kreise ihrer Kinder, Enkel und Urenkel genießen kann.
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