Großregion / Eisschwimmen: Die „Merchweiler Seelöwen“ gehen auch im Winter baden
Eisschwimmer sind hartgesotten. Es ist beneidenswert, wie sie ihren inneren Schweinehund besiegen und sich ins eiskalte Wasser wagen. Die „Merchweiler Seelöwen“ im saarländischen Schiffweiler nehmen sogar an Weltmeisterschaften teil. Ihr Neujahrsschwimmen im Itzenplitzer Weiher ist Kult.
Da, wo sonst fast 2.000 Menschen vom Ufer aus die Schwimmer anfeuern, ist es dieses Jahr ruhig. Kein Publikum, nur ein paar Reiter und Spaziergänger nutzen den Rundweg entlang des Itzenplitzer Weihers im saarländischen Schiffweiler (D). Corona-bedingt fällt das diesjährige Neujahrsschwimmen aus. Zwei „Seelöwen“ aus dem Nachbarort Merchingen treten trotzdem an. Michael Marx (48) und Dorothee Suck (46) erreichen die Bank, wo sie ihre Kleidung trocken lagern können.
4,9 Grad Außentemperatur und 1,7 Grad Wassertemperatur zeigt das Thermometer an der Uferböschung. Die beiden Eisschwimmer zögern keine Sekunde, von den gefütterten Wanderschuhen auf Badeschlappen umzusteigen, um anschließend nur mit Bikini und Badehose bekleidet ins Wasser zu gehen. Um sie herum genießen die Menschen warm eingepackt die kalte Winterluft. Mit ruhigen Bewegungen, begleitet von der gelben Boje, durchpflügen sie das Gewässer Richtung Pumpenhaus.
Der Itzenplitzer Weiher ist Trainingslager
Den ungewöhnlichen Namen verdankt der Weiher einem hohen Besuch vor langer Zeit. 1863 kam Graf Heinrich August Friedrich von Itzenplitz (1789-1883), um die Grube in direkter Nachbarschaft einzuweihen. Nach dem damaligen obersten Leiter des Berg-, Hütten- und Salinenwesens ist nicht nur das Gewässer, benannt, das die Dampfmaschinen des Steinkohle-Bergwerks in unmittelbarer Nachbarschaft mit Wasser bediente, sondern auch die Grube selbst.
Heute ist das ehemalige Industriegelände ein Naherholungsgebiet für diesen dicht besiedelten Teil des Saarlandes. Im Pumpenhaus wird geheiratet und den See besuchen im Sommer viele, um sich abzukühlen. Nur Eisschwimmer kommen im Winter, um unerschrocken ihrem Sport zu frönen. „Das Glücksgefühl danach ist einfach unschlagbar“, sagen beide unisono, wieder am Ufer zurück.
Wenn der Körper von Überlebensstress wieder in den Normalbetrieb schaltet, schüttet das Gehirn Endorphine aus. Joggern geht es ähnlich, aber erst nach vielen Kilometern und viel Zeit. Eisschwimmer sind viel eher glücklich. Und gut gelaunt. Sie sind im Vergleich zu Joggern nur verhältnismäßig kurz im Eiswasser und haben den Effekt. Bei den diesjährigen Meisterschaften im französischen Samoëns brauchte der 56-jährige Denis Colombe etwas mehr als 15 Minuten, um die 500 Meter im Freestyle durch den Lac des Bois-aux-Dames zu bewältigen.
Spektakulär sind die Bilder von Menschen in Russland oder aus skandinavischen und baltischen Ländern, die vereiste Seen aufhacken, um kurz danach im Eisloch zu baden. Das sind die Eisbader. Gerade erst wieder haben Fans das neue Jahr im Genfer See so begrüßt – mit Sekt und bunten Hüten über Wasser und Badesachen unter Wasser. Bilder davon gibt es in der Tribune de Genève. Marx und Suck dagegen sind Eisschwimmer und hartgesottener.
Konkurrenz um Medaillen ist groß
Sie schwimmen in weniger als fünf Grad „warmem“ Wasser, beide trainieren in der 450-Meter-Disziplin und sind bei der letzten Weltmeisterschaft im Februar 2020 im slowenischen Bled gestartet. „Wir sind durchgekommen“, sagt Marx zu den Platzierungen der „Seelöwen“ im letzten Drittel. Medaillen konnten sie dieses Mal nicht erringen. Die Konkurrenz wird zunehmend härter. Immer mehr Hobby-Profi-Schwimmer entdecken Eisschwimmen für sich.
Der bekannteste ist der Deutsche Christph Wandratsch (55). Er durchquerte 2013 als erster Schwimmer ohne Pause und ohne Neoprenanzug in knapp 21 Stunden den Bodensee in Längsrichtung. Er ist der Gesamtweltcup-Sieger der „International Ice Swimming Association“ (IISA) 2020, wie aus seiner Internetseite hervorgeht. „Bei den Damen ist es noch einfacher, zu gewinnen, weil wir weniger Konkurrenz haben als die Männer“, sagt Suck.
Sie hat 2012 in ihrer Disziplin die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Lettland geholt. Da war sie erst ein Jahr dabei. Für Teamkollegin und „Seelöwin“ Sandra Brettar gab es zwei Jahre später die Silbermedaille in der gleichen Disziplin bei der Weltmeisterschaft im finnischen Rovaniemi. Die Anhänger des Sports schwören zwar nicht auf Gesundheitseffekte der nass-kalten Angelegenheit, machen aber bei sich selbst Beobachtungen.
Abhärtende Wirkung nicht bewiesen
„Ich bilde mir ein, dass es das Immunsystem stärkt“, sagt Marx. Seit 2004 geht der Dozent für Materialwirtschaft an der Universität des Saarlandes ins eiskalte Wasser und hat seitdem keine Grippe mehr gehabt. „Mal einen Schnupfen“, sagt er. „Aber richtig krank war ich seitdem nicht.“ Ob und wie das eisige Bad abhärtet, ist nicht belegt. Für Ungeübte mit Herz-Kreislauf-Problemen ist Eisbaden oder -schwimmen sogar gefährlich.
Den Aktiven dabei zuzusehen, ist ein Erlebnis – auch wenn es dieses Jahr nur zu zweit erlaubt ist. Wenn sie aber die Tradition pflegen und zum Neujahrsschwimmen antreten, machen mittlerweile rund drei bis vier Dutzend Freiwillige mit. Hunderte säumen die Ufer, das Eisschwimmen hat Volksfestcharakter und der Itzenplitzer Weiher ist ein Heimspiel für die „Seelöwen“. Normalerweise. Bleibt zu hoffen, dass es nächstes Jahr wieder stattfindet.
Der internationale Verband
www.internationaliceswimming.com
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