/ Warum Strafen für Kinder schlecht sind – Luxemburger Experten fordern positive Erziehung
Kinder sollten nicht geschlagen werden. Eigentlich sollten sie gar keine Bestrafung erfahren. Das ist schlecht für ihre Entwicklung, sagen Pädagogen, Erzieher und Wissenschaftler. Sie erklären, wieso und wie man es anders machen kann. Eine Anleitung.
Die Freiheit von Person A hört dort auf, wo jene von Person B anfängt. Ohne diese Prämisse würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Für Claude Janizzi, Verantwortlicher für Kinderrechte beim Erziehungsministerium, sollen Kinder von klein auf lernen, dass es diese roten Linien gibt. Auch wenn deren Einhaltung stets mit einer Reduzierung der persönlichen Freiheit einhergeht.
Claude Janizzi war einer der Redner auf der Konferenz „Stop aux punitions corporelles!“ am Freitagabend in den Rotondes. Es referierten außerdem Prof. Dr. Claus Vögele, Direktor der Recherche-Einheit Inside an der Uni Luxemburg, sowie Olga Cardoso, Erzieherin und Familienberaterin in der „Eltereschoul“. Die Konferenz setzt im Monat des 30-jährigen Jubiläums der Konvention für die Rechte der Kinder auf Sensibilisierung.
Eine mögliche Lösung
Wie aber sollte man den Kindern die Einhaltung dieser Limits beibringen? Janizzi sagt, dass es zunächst am einfachsten erscheint, das Kind zu bestrafen, wenn es die verbotene Linie überschritten hat. Doch dies sei der falsche Weg. Durch die Bestrafung würde das Kind zwar kurzfristig einlenken, nicht aber verstehen, wieso es das nicht tun darf. Eine mögliche Lösung: Dem Kind erklären, wieso es nicht gut ist, das Limit zu übertreten.
Für Claus Vögele liegt das Ziel von Bestrafung darin, Autorität durchzusetzen. Das Kind lerne, zu gehorchen und sich dem Willen einer anderen Person unterzuordnen. Oder es gehe in die Opposition und leiste Widerstand. „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass wir durch Strafe gut lernen. Das ist auch bei Erwachsenen nicht so.“
Strafendes Verhalten der Eltern hat mittel- bis langfristig ernste Konsequenzen für die psychische und körperliche Gesundheit des Kindes, auch im Erwachsenenalter
Claude Janizzi nennt Beispiele: Wenn ich das tue, riskiere ich, mir wehzutun. Wenn ich Krach mache, während die anderen schlafen, dann wachen sie auf. Wenn ich die Haustür nicht zumache, dann läuft der Hund auf die Straße und wird womöglich überfahren. Allerdings müssen sich auch alle (in der Familie) an diese Regeln halten, sonst seien sie nicht glaubwürdig und das Kind würde sie nicht verstehen. Auf diese Weise sollte das Kind einen Sinn in den Verboten erkennen. Damit das Kind sich die Regeln merken kann, sollte man sie mehrmals wiederholen. Die Regel muss auch jedes Mal gleich durchgeführt werden. Und falls es eine Ausnahme gibt, muss diese klar für jeden sein.
Mehr als ein Klaps auf den Po
Das klassische Schema „Ich halte mich an die Regeln, damit ich nicht bestraft werde“ wird gebrochen. An dessen Stelle tritt die Prämisse „Ich tue das nicht, weil ich weiß, dass es nicht gut ist, und ich weiß auch, wieso es nicht gut ist“. Manchmal wollen Kinder eine Regel nicht befolgen. „Sie wollen testen, wie weit sie gehen können“, so Janizzi. Insbesondere in der Pubertät. Er erklärt es so: Das Kind ist genervt und kontrolliert seine Emotionen schlecht. Der Erwachsene auch. Der Erwachsene fühlt sich angegriffen. Eins führt zum anderen. Es knallt. Der berühmte kleine Klaps auf das Hinterteil ist vollbracht. Laut Janizzi hat der Schlag zwar eine direkte Auswirkung, weil das Kind sofort aufhören wird. Das ist aber nur kurzfristig. Claus Vögele sagt, dass strafendes Verhalten der Eltern mittel- bis langfristig ernste Konsequenzen für die psychische und körperliche Gesundheit des Kindes hat, auch im Erwachsenenalter. Für ihn ist der Klaps auf den Popo mehr als ein Klaps auf den Popo. „Das muss man sich wirklich klarmachen. Daran ist nichts Gutes.“ Nichtstrafen ermöglicht für Vögele trotzdem das notwendige Grenzensetzen bei gleichzeitiger Wertschätzung des Kindes.
Er sagt: „Wir sind soziale Wesen und konstruieren unsere Beziehungen. Unsere ersten Bezugspersonen (normalerweise die Eltern) sind ganz prägend dafür, wie wir unsere Beziehungen gestalten. Und zwar auch sehr viel später im Leben.“ Experimente haben gezeigt, dass Kinder, deren Autonomie von den Eltern untergraben wird, erhöhte Ängstlichkeit zeigen, unfähig sind, emotionale Nähe zu finden, und erhöhte Stressreaktionen aufweisen. Die Eltern derselben zeichnen sich durch eine abweisende, feindselige Körperhaltung aus, werten die Meinung des Kindes ab und drohen ihrem Nachwuchs mit Strafen wie Liebesentzug oder körperlicher Art.
Die Balance des Kindes
Die Erklärung dafür liegt laut Vögele in der Balance des Kindes. Diese befindet sich irgendwo zwischen dem Streben nach Autonomie und dem nach emotionaler Nähe zu den Eltern. Letztere braucht es gerade während der ersten Kinderjahre sehr stark. Mit zunehmenden Alter entwickelt es ein ansteigendes Bedürfnis nach Autonomie. Es ist nicht unbedingt ein Widerspruch, aber es sind zwei gegensätzliche Bedürfnisse. Dieser sehr komplexe Entwicklungsprozess kann aus dem Gleichgewicht geraten. Das sieht man daran, dass die Erkrankungshäufigkeit für verschiedene psychische Störungen während der frühen, aber auch späteren heranwachsenden Jahre am größten ist. Vögele nennt die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angststörungen, die den Hauptschwerpunkt etwas später haben, oder affektive Störungen wie Depressionen, Schizophrenie und Substanzabhängigkeit. Der große Querschnitt über alle psychischen Störungen hinweg liegt vor dem Alter von 15 Jahren.
Wenn du dein Gemüse nicht aufisst, dann bekommst du kein Eis. Wie oft haben wir das schon gehört?
Vögele nennt eine der häufigsten und nutzlosesten Maßnahmen in der Erziehung: „Wenn du dein Gemüse nicht aufisst, dann bekommst du auch kein Eis. Wie oft haben wir das gehört?“ Dadurch lerne das Kind, dass das Gemüse etwas ganz Schreckliches ist, weil man sich da „durchessen“ muss. Und das Eis wird überbewertet. „Ich erreiche zweifach genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich erreichen möchte.“ Was wäre die Alternative?
Das Gegenteil der Brokkoli-Eis-Bestrafung liegt Vögele zufolge in der positiven Erziehung: „Ich setze mich als Vater dahin und sage ‚oh, dieser Brokkoli schmeckt heute wieder; der ist unglaublich lecker‘. Sagt das Kind: ‚Bäh. Ich mag kein Grün, und ich mag auch den Geruch nicht.‘ Und was mach ich dann als Vater? Ich sags noch mal und am nächsten Tag noch mal. Ich sage zu Eltern, die ich zum gesunden Essverhalten berate, dass man eine Speise mindestens siebenmal präsentieren muss und dabei siebenmal das eigene Rollenmodell spielen muss, damit das Kind überhaupt anfangen kann zu verstehen, dass der Brokkoli vielleicht gar nicht so schlecht ist.“
Explosiver Cocktail der Gefühle
Olga Cardoso hat sich auf positive Erziehung spezialisiert. Sie berät als Erzieherin Eltern in der „Eltereschoul“. Sie sagt, dass Gefühle wichtig sind, auch die negativen, da man sonst nicht erziehen kann. Sie erzählt vom explosiven Cocktail der Gefühle, als sie damals als Kind von ihren Eltern geschlagen wurde. Sie fühlt sich auch heute noch schlecht, wenn sie sich daran erinnert. In Luxemburg sei leichte Gewalt in der Kindererziehung noch sehr gängig.
Cardoso sagt, dass Kinder gerne provozieren. Sie brauchen das, um die Limits zu ertasten, um zu sehen, wie weit sie gehen können. Kinder suchen aber auch Nähe. „Wenn sie diese brauchen, aber nicht bekommen, dann versuchen sie es mit Provokation“, so Cardoso. Kinder sind kreativ. Nach dem Motto: Lieber die Eltern verärgern, als gar keine Aufmerksamkeit von ihnen zu bekommen. Eltern dürfen sich nicht provozieren lassen. Treiben es die Kinder zu bunt, dann sollte man ihnen klarmachen, dass das Verhalten unangemessen ist und dass man es nicht mehr aushält. Cardoso rät den Eltern in diesem Falle einfach, zu singen oder in den Garten zu laufen und einmal laut die Wut rauszuschreien. Sollte man dennoch – wir sind alle nur Menschen – die Beherrschung verlieren, dann sollte man sich unbedingt danach bei den Kindern für den Ausraster entschuldigen.
Nimm mich in die Arme, wenn ich es am wenigsten verdiene, weil ich es da am meisten brauche
Cardoso sieht die positive Erziehung als eine Attitüde gegenüber dem Kind. Strafen sind bei dieser Methode tabu. Die Eltern nehmen sich die Zeit, auf das Kind einzugehen, es gut kennenzulernen. Oft reicht nur eine Kleinigkeit und das Kind fängt an zu weinen. Vielleicht ist es dann der Frust, den es in der Schule aufgebaut hat und der jetzt rausmuss. Statt das Kind dann zu beschimpfen oder zu sagen, es solle damit aufhören, sollte man es eher umarmen. Die Anspannung muss raus. Cardoso nennt es die Macht der Umarmung. Nach dem Motto: Nimm mich in die Arme, wenn ich es am wenigsten verdiene, weil ich es da am meisten brauche.
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