Neurologie / Grüne Oasen in der Stadt helfen dem Gehirn, Stress abzubauen
Grüne Oasen in Städten können helfen, Stress abzubauen. Wissenschaftler aus Hongkong haben diesbezüglich neue Einblicke ins Gehirn bekommen.
Luxemburg-Stadt hat in den vergangenen Monaten vor allem negativ von sich reden machen. Die Bewohner einiger Stadtviertel, vor allem des Bahnhofsviertels, fühlen sich nicht wohl. So sehr, dass die Gemeinde beschlossen hat, private Sicherheitsleute anzuheuern, um den Menschen das Gefühl von Sicherheit zu geben, das sie vermissen. Eine Entscheidung, die zu politischem Ungemach geführt hat. Die anhaltenden Baustellen der Tram bereiten den Geschäftsleuten zusätzlich zur Corona-Pandemie Probleme.
Dabei hat Luxemburg-Stadt seine vielen schönen Seiten. Darunter seine gut gepflegten Parkanlagen und andere Grünflächen mit Wiesen, Bäumen, Spielplätzen, Blumenbeeten und den hinein gesprenkelten figurativen bis modern-provokativen Kunstwerken. Grünflächen machen rund ein Viertel von Luxemburg aus und die hauptstädtischen Marketingleute nennen sie im Internet stolz ihre „grünen Oasen“.
Die Parkanlagen helfen, dem stinkenden Verkehr, dem Baulärm, den Büros und Schulen, den Lehrern und Abteilungsleitern für eine kleine Weile zu entkommen, um im Sommer sein Pausenbrot zu sich zu nehmen oder im Winter den Weg in die Schule oder zum Arbeitsplatz bis zum letzten Moment hinauszuzögern, auch wenn das bedeutet, dass man sich Finger, Nase und andere Körperteile abfriert.
Wissenschaftler aus Hongkong haben sich mit der intuitiven Einsicht, dass Grünanlagen eine beruhigende Wirkung auf Menschen haben, nicht zufriedengegeben und haben das Phänomen aus psychologischer Sicht erforscht – und dafür Menschen in Magnetresonanztomografen gelegt.
Dabei ist es ihnen gelungen, nachzuweisen, dass beim Betrachten von Grünanlagen in Städten (oder besser gesagt Fotos davon) ein Teil des Gehirns aktiviert wird, der mit der Reduktion von Stress in Zusammenhang steht. Unter den Autoren der Studie waren nicht nur Psychologen, sondern auch Landschaftsgestalter und Architekten. Die Arbeit erscheint in der nächsten Februarausgabe des Fachblattes NeuroImage. Sie ist online allerdings bereits einsehbar.
Das so aktivierte Hirnareal (posterior cingulate cortex) steht früheren Arbeiten zufolge eng mit der mentalen Gesundheit der Menschen in Verbindung. Unter anderem wird ihm eine wichtige Rolle bei Phänomenen wie Alzheimer, Schizophrenie, Depression, Aufmerksamkeitsdefizit und Autismus zugeschrieben. Außerdem soll es bei Alterungsprozessen eine Rolle spielen. Die Autoren der neuen Studie spekulieren deshalb, dass die Begegnung mit der Natur eine therapeutische Wirkung haben kann. Das würde bedeuten, dass die Entscheidungen von Städteplanern Folgen für die Gesundheit der Bewohner und Besucher haben und dass sie aktiv ihre Gesundheit fördern können. Das Luxemburger Gesundheitsministerium befindet sich mitten im Stadtpark, also an einem passenden Ort.
Pixel und Bäume
Ältere Arbeiten in diesem Bereich hatten sich mit den unterschiedlichen Reaktionen bei der Betrachtung von Land und Stadt beziehungsweise von natürlichen (Wälder, Berge, Landschaften) und künstlichen Umgebungen (Städte) beschäftigt, oder sie hatten untersucht, wie unterschiedlich Menschen auf einen Spaziergang in der Natur und einen Spaziergang in der Stadt reagieren. Der spezielle Stellenwert von „grünen Oasen“ innerhalb von Städten wurde bis dato allerdings noch nicht genauer untersucht. Die Forscher glauben nun, eine bessere Vorstellung davon zu haben, welche Vorgänge im Gehirn bewirken, dass wir uns durch das Betrachten von Natur besser fühlen.
Für ihre Untersuchungen zeigten die Forscher ihren Probanden Bilder von urbanen Grünflächen, während diese mit einem Magnetresonanztomografen untersucht wurden. Dabei konzentrierten sie sich auf die „Dichte“ der Natur. Konkret zählten sie dafür die Pixel der Bäume auf ihren Bildern im Vergleich zu den Pixeln, die keine Pflanzen darstellten. Nun gelte es zu untersuchen, welche Eigenschaften der Grünflächen genau für die Reaktion verantwortlich sind und welche davon von Städteplanern und Ärzten genutzt werden können, um die Gesundheit der Bürger zu verbessern. Dabei könnten Dinge wie Helligkeit, Farbe oder die Form von Ecken und Kanten eine Rolle spielen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Menschen nicht in jedem Alter die gleiche Reaktion auf Natur haben. Eine 2019 veröffentlichte Studie zeigt sogar, dass, entgegen der Intuition, kleine Kinder städtische Umgebungen der Natur vorziehen und sich die Liebe zur Natur erst nach und nach entwickelt, bis sie für Erwachsene der „Normalzustand“ ist.
Die Forscher aus Hongkong benutzen nicht den Begriff Biophilie – die Liebe zum Leben. In den 80er Jahren verwendete der Biologe Edward Osborne Wilson diesen Begriff, um den menschlichen Drang, Kontakt mit der Natur zu haben, zu benennen. In diesem Sinne kann ein Waldspaziergang als eine biophile Aktivität bezeichnet werden. Biophilie wird manchmal als ein Mittel für den Artenerhalt und den Umweltschutz angesehen. Dabei wird unterstellt, dass Menschen, die Verbindung zur Natur haben, diese als schützenswert empfinden.
In Luxemburg-Stadt sind es vor allem der Stadtpark, der Mereler Park und das Petrusstal, die erholsame Minuten versprechen. In Esch lohnt sich für Ruhesuchende ein Ausflug auf den „Gaalgebierg“.
Für die Forscher aus Hongkong sind die Erkenntnisse über den Zusammenhang von Umwelt und Hirnfunktionen kein Selbstzweck. Sie könnten, so die Forscher, sogar weitreichende Folgen auf die Wirtschaft haben.
Wir sind wohl alle Kinder geblieben, denn die Liebe zur Natur scheint doch sehr eingeschränkt.