Frisingen / Gut durch den Lockdown
Frisingen hat den Lockdown vergleichsweise gut überstanden. Das hängt mit der soliden finanziellen Ausstattung der Gemeinde zusammen. Keines der beiden großen Projekte muss zurückgestellt werden. Das neue Rathaus wächst sogar unter Hochdruck. Einmal fertig beendet es den Zustand, dass Bürgermeister Roger Beissel („Är Equipe“) aus dem Koffer lebt.
Schon seit geraumer Zeit gleicht das Leben des Bürgermeisters von Frisingen dem, was Künstler in Interviews über Tourneen erzählen. Wenn Roger Beissel (56) neben seinem Beruf für die Gemeinde arbeitet, lebt er aus dem Koffer. Das große, schwarze Ungetüm aus Kunstleder ist immer mit dabei und enthält Akten zu laufenden Projekten oder das Gemeindebudget auf Papier. Ein eigenes Büro, geschweige denn einen eigenen Schreibtisch hat der „Chef“ nicht im Rathaus.
Roger Beissel empfängt Besuch im Sitzungssaal des Gebäudes. Normalerweise finden hier Hochzeiten oder Versammlungen mit dem derzeit rund 20-köpfigen Mitarbeiterteam der Gemeinde statt. Der lange, ovale Holztisch bietet genügend Platz und fügt sich nahtlos in den des von oben bis unten mit Holz getäfelten Rest des etwa 20 Quadratmeter großen Raumes ein.
Kein eigenes Büro
Ein großer Holzschrank beherbergt unter der Urkunde für die Städtepartnerschaft und den Wappen der Gemeinde das „Archiv“. Ältere Akten und Bücher füllen hinter den Schranktüren die Regale, auf die der Bürgermeister bei Detailfragen gerne zurückgreift. Modern ist anders, alles wirkt wie aus der Zeit gefallen. Ist es auch. „Die große Stube für alles“, nennt Roger Beissel den Raum. Damit soll in drei Jahren Schluss sein. Der Baggerlärm von draußen ist nicht zu überhören.
2023 steht, wenn alles nach Plan läuft, der Neubau mit rund 2.000 Quadratmetern direkt neben dem alten. 12,1 Millionen Euro soll er kosten und Platz für 35 Mitarbeiter bieten. Beissel und sein Team haben in die Zukunft geplant. „Das soll so sein, dass wir dann 20 Jahre Ruhe haben“, sagt er.
Gemeindefinanzen
Finanzielle Sorgen hat die Gemeinde keine. Frisingen hat von der 2017er Reform der Gemeindefinanzen profitiert und bekommt seitdem ein bisschen mehr als doppelt so viel Förderung vom Staat. Zwei Jahre hat die Gemeinde Rücklagen bilden können, was ihr jetzt Handlungsspielraum verschafft. „Wir haben einen guten Überschuss“, bestätigt Beissel. Der Haushalt für 2019 ist ein gutes Beispiel. 17,5 Millionen Euro betragen die Einnahmen im ordentlichen Budget, 12,5 Millionen Euro die Ausgaben.
Sobald der Neubau fertig ist, ziehen die Beamten um und das alte Gebäude wird abgerissen. Es weicht dem neuen Dorfplatz mit einem kleinen Park. Unterirdisch entsteht ein Parkhaus mit 49 Plätzen. Neudeutsch würde man das Ganze wahrscheinlich public open space nennen. Egal wie man es nennt, der Durchgangsort Frisingen hat dann zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen richtigen Dorfkern.
Frisingen ist beliebt und liegt verkehrsstrategisch günstig. Das hat dazu geführt, dass die Gemeinde nach Rathausangaben jährlich sowieso um 2,4 Prozent wächst, was sich in den Preisen für Wohnen widerspiegelt. Frisingen spielt nach den superteuren Gemeinden im Speckgürtel um die Hauptstadt in der Liga der teuren Gemeinden mit. Nach Angaben des von Statec, Liser und „Observatoire de l’habitat“ herausgegebenen „Logement en chiffres“ müssen Interessierte beim Kauf eines fertiggestellten Apartments mit Quadratmeterpreisen zwischen 5.000 und 6.000 Euro rechnen.
Aspelt wird zur „Kulturecke“
Während das Rathausprojekt im Plan liegt, hat Covid-19 die Renovierung des Aspelter Schlosses um zweieinhalb Monate verzögert. Die Eröffnung sollte eigentlich im Oktober dieses Jahres sein. „Das mussten wir auf den 6. Juni 2021 verschieben“, sagt der Rathauschef. 8,1 Millionen Euro sind dafür im Budget eingeschrieben.
Im Ort Aspelt, der neben Hellingen zur Gemeinde gehört, soll sich zukünftig die Kultur abspielen. Zwei Säle des historischen Gebäudes im Erdgeschoss sind für Hochzeiten geplant. Im ersten Stock sollen Ausstellungen stattfinden. Der Raum im Dachgeschoss, der 75 Menschen fassen kann, ist Vorträgen vorbehalten. In den danebenliegenden Scheunen sollen Konzertsäle Platz finden. „Das wird die Kulturecke werden“, sagt Beissel, der schon beim nächsten Projekt ist. „Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben zum Ausbau von Grundschule und ,Maison relais‘“, erzählt er. „Die Schule wird bald zu klein und die ,Maison relais‘ ist schon zu klein.“ Mehr als 410 Kinder besuchen im Schuljahr 2020/2021 die Grundschule, was für eine junge Bevölkerung spricht.
Wasserturm Hellingen
Der Wasserturm in Hellingen wird für 600.000 Euro renoviert und soll ein Aussichtsturm werden. „Er gehört zu Hellingen und wurde vom Denkmalamt klassiert“, sagt Roger Beissel. „Wir müssen dafür noch einen Budgetposten im Gemeinderat einrichten und darüber abstimmen.“ Das wird am Mittwoch passieren. Damit, dass er als erhaltenswert eingeschätzt wird, hatten die politisch Verantwortlichen nicht mehr gerechnet. Der „Service des sites et monuments nationaux“ trägt die Hälfte der Kosten.
Wenn die Erweiterung kommt und finanzierbar ist, hat Beissel praktisch alles erreicht, was er sich mit „Är Equipe“ vorgenommen hat. Die fünf Mitglieder im Gemeinderat bilden zusammen mit dem gewählten Vertreter der DP die Mehrheit im elfköpfigen Gemeinderat und vertreten keine politische Partei. Karrieristen haben deshalb keinen Platz im Team der „Equipe“, deren Vorteile auch der Bürgermeister durchaus zu schätzen weiß. „Ich gehe als Unparteiischer zu Ministern“, sagt er.
Das schließt politische Scharmützel von vorneherein aus. Seit 20 Jahren bestimmt Beissel die politischen Geschicke in Frisingen im Amt oder von der Oppositionsbank aus mit. „Ich habe das Glück, in einer Zeit Bürgermeister zu sein, wo genug Geld da ist, den Bürgern das zu bieten, was sie brauchen“, sagt er. „Darüber bin ich sehr glücklich.“
Städtepartnerschaft
Frisingen hat eine Städtepartnerschaft, und zwar mit Saint-Julien-de-Coppel: Die heute rund 1.300 Einwohner zählende Gemeinde im Departement Puy-de-Dôme in der Nähe von Clermont-Ferrand hat während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Frisinger aufgenommen, die dorthin evakuiert wurden.
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos