/ „I think we can do it“ – Umweltschützer Hartmut Vogtmann und der Ökolandbau
Die Familie Vogtmann ist über Generationen im Baugewerbe tätig. Sohn Hartmut soll die Tradition fortsetzen. Nach einer Lehre als Maurer entscheidet er sich anders. Der heute 77-Jährige studiert damals Agrar- und Lebensmittelwissenschaften. Den späteren Experten für Ökolandbau entdeckt sogar Prinz Charles. Zum „Biosymposium“ war er zu Gast in Luxemburg.
Tageblatt: Sie haben schon in den achtziger Jahren Ökolandbau gelehrt. Hat sich damals überhaupt jemand dafür interessiert?
Hartmut Vogtmann: Schon damals waren viele junge Leute dort, die sagten, wir brauchen eine andere Art der Landwirtschaft. Der damalige Präsident der Universität hat das unterstützt und die Fakultät für Ökolandbau eröffnet. Sie ist in Kassel (D) bis heute die einzige dieser Art europaweit.
Und wie kam Prinz Charles zu Ihnen?
Der Prince of Wales hat traditionell Ländereien in Cornwall. Die verpachtet er und lebt davon. Irgendwann wurde ich dorthin eingeladen und habe vor den Bauern über Ökolandbau gesprochen. Die haben gesagt: „Hört sich alles gut an, aber das machen wir nicht.“ Und dann hat Charles gesagt: „Ich kaufe jetzt einen Betrieb und Sie, Herr Vogtmann, machen das.“ Das ist Highgrove, wo er auch lebt. Mit 30 Hektar haben wir damals angefangen. Nach den ersten guten Erträgen haben seine Leute gesagt: „Sir, I think we can do it.“ Inzwischen ist der Ökobetrieb auf weit über 500 Hektar gewachsen.
Beraten Sie ihn noch?
Das ist nicht mehr nötig. Er hat einen tollen Betriebsleiter, aber ich habe ihn zuletzt im Juni letzten Jahres getroffen. Wenn er Veranstaltungen macht, werde ich nach wie vor eingeladen.
Ökolandbau ist im Zuge der Klimadebatte ja schwer „en vogue“. Warum ist der so wichtig?
Ökolandbau braucht viel weniger Energie – allein schon durch den Verzicht auf mineralische Dünger. Die Herstellung dieser Kunstdünger verbraucht sehr viel Energie und im Ökolandbau werden sie nicht gebraucht.
Was hat Ökolandbau denn für Vorteile?
Er beruht auf vier Säulen: Gesundheit, Umwelt- und Naturschutz, Fürsorge und Fairness. Konventionelle Landwirtschaft misst sich nur an Ertrag pro Kilo und pro Hektar. Die Wohlfahrtsleistungen werden dabei komplett vernachlässigt.
Was sind denn die Wohlfahrtsleistungen?
Sauberes Wasser, sauberer Boden, saubere Luft, wenig Energieverbrauch, Diversität. Der Bauer ist in dieser Denke nicht nur Nahrungserzeuger, sondern ein Erhalter des ökologischen Gleichgewichts.
Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Bio- und Ökolandbau?
Nein. Die EU hat den Begriff „Ökolandbau“ in ihrer ersten Richtlinie in den neunziger Jahren zur Biolandwirtschaft ins Spiel gebracht.
Warum ist Ökolandbau denn gesünder?
Weil er versucht, alle Chemikalien auszuschalten.
Dann müssen Ihnen doch die Haare zu Berge gestanden haben, als der Verzicht auf Glyphosat gescheitert ist …
Das war durch das deutsche Veto. Ohne den Einspruch wäre der Verzicht durchgegangen. Glyphosat ist eine Bombe. Die Genmanipulation ist die zweite Bombe.
Trotzdem zögern viele Bauern, umzustellen. Sie befürchten drei Jahre Umsatzausfall und sind unsicher, ob das funktioniert. Was sagen Sie denen?
Ich nehme sie mit auf gut funktionierende Ökobetriebe und lasse Bauern mit Bauern reden. Die Umstellung ist tatsächlich die schwierigste Zeit. Die Bauern müssen andere Kulturen anpflanzen und eine andere Fruchtfolge einführen, die ihnen nicht sofort Cash bringt. Deshalb müssten die Bauern dabei stärker gefördert werden.
Die EU fördert doch aber eher große Flächen …
Das tut sie immer noch und sichert darüber die Einkommen der Landwirte. Ich bin für die Koppelung der EU-Förderung an Wohlfahrtsleistungen.
Sie plädieren für bäuerliche Erzeugergemeinschaften wie die Biog. Vom Anbau bis zum Verkauf alles aus einer Hand. Ist das die Alternative?
Das ist eine echte Alternative. In der bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (D) beispielsweise haben sich 1.500 Bauern zusammengeschlossen und haben alles in ihrer Hand. Deshalb können sie den Bauern endlich einen fairen Preis für ihre Erzeugnisse zahlen. Die Biog habe ich besucht. Das sind 30 Bauern, die sich zusammengeschlossen haben; und was die auf die Beine gestellt haben, ist ganz erstaunlich. Und es sind ganz viele Jungbauern dabei.
Was hat Sie denn sonst noch beeindruckt?
Allen diesen Zusammenschlüssen ist gemein: Die Bauern entscheiden mit – was sehr wichtig ist. Das ist eine Gemeinschaft.
Was halten Sie denn davon, dass es jetzt schon im Discounter Bioprodukte gibt?
Der Zug in den konventionellen Supermarktschienen rollt und spaltet die Ökobewegung. Aber ich höre, die Preise würden nicht gedrückt und würden auf Augenhöhe ausgehandelt und das für fünf Jahre. Es bleibt abzuwarten, wie es danach aussieht.
Sie meinen, dann geht es da auch los mit dem Preisdruck?
Da sehe ich eine Gefahr. Vor allem, wenn wie im Fall von Bioland fast 50 Prozent des Umsatzes über einen Discounter wie Lidl kommt. Das schafft Abhängigkeiten.
Wo kommen denn überhaupt die ganzen Massen an Bioprodukten her, die in den Regalen stehen?
Über Importe. Und eben nicht nur aus Europa. Da brennen bei mir die Alarmglocken, aber viele europäische Länder haben viel zu wenig Ökolandbau, um den Bedarf zu decken. Nur in der Schweiz (20%) und in Österreich (23%) sieht es gut aus. Das sind aber auch Länder, die wegen des Tourismus daran interessiert sind, die Landschaft gesund zu erhalten.
Das ist hier in Luxemburg auch so …
Dann muss man die Natur aber auch wertschätzen und diese Wertschätzung demjenigen gegenüber, der sie pflegt, über einen fairen Preis ausdrücken. Bisher werden ja nur die Erzeugnisse vergütet und nicht die Landschaftspflege oder Wohlfahrtsleistungen, die Ökobauern erbringen. Haben wollen wir sie inzwischen aber alle.
Wird aber nicht genug gemacht. Deutschland ist ja 2018 wegen zu hoher Nitratbelastungen des Grundwassers vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden. Die Belastung kommt von Gülle …
30 Prozent des deutschen Grundwassers hat zu hohe Nitratwerte. Das reinigen die Wasserwerke mit Umkehrosmose, was ungefähr einen Euro pro Kubikmeter Wasser kostet. Noch schlimmer ist es, wenn zusätzlich Pestizide aus dem Wasser geholt werden müssen. Das wird mit Aktivkohle gemacht, die dann anschließend als Sondermüll entsorgt werden muss. Dann ist aber nichts mehr im Wasser. Also müssen wieder Mineralien zugesetzt werden, damit es zu Trinkwasser wird. Kostenpunkt: zwei Euro pro Kubikmeter.
Also ist Naturschutz heute kein „Luxus“ mehr, wie Sie es als Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Politikern mal vorgeworfen haben?
Nein. Das hat die Klimabewegung erreicht. Natur- und Landschaftsschutz ist eine Lebensnotwendigkeit. Ich sage übrigens „Mitwelt“ und nicht Umwelt. Wir Menschen sind ein Teil davon. Deshalb müssen wir die Aufmerksamkeit dafür schon in den Schulen wecken. Schulgärten wären ein guter Anfang.
Sie sind auch Lebensmittelwissenschaftler. Gehen Sie unbefangen ins Hotel-Restaurant essen?
Ja, weil ich sonst so gesund esse, dass ich alles aushalte.
Ihr Lieblingsessen?
Ich liebe Eintopf.
Steckbrief Hartmut Vogtmann
Hartmut Vogtmann wird 1942 in Essen (D) geboren. Von 1963 bis 1967 studiert er Landwirtschaft und Lebensmittelwissenschaft an der ETH Zürich, promoviert und ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Ab 1971 forscht er an der University of Alberta in Edmonton (Kanada). Ab 1974 leitet er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) im schweizerischen Oberwil. 1981 wird er als Professor im Fachbereich Landwirtschaft an die Universität Gesamthochschule Kassel berufen. Es ist der erste Lehrstuhl dieser Art bundesweit. Vogtmann gilt als Wegbereiter des Ökolandbaus und berät den britischen Thronfolger Prinz Charles ab den achtziger Jahren. Zwischen 2012 und 2015 ist er ehrenamtlicher Präsident des Umwelt-Dachverbandes Deutscher Naturschutzring (DNR).
http://nux3.tageblatt.lu/meinung/der-preis-fuer-bio-warum-bauern-mehr-gefoerdert-werden-muessen/
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