Flüchtlingshilfe / Zwölf Minderjährige aus Lagern der griechischen Inseln in Luxemburg angekommen
Die Situation in griechischen Flüchtlingslagern ist seit Jahren dramatisch. Das Coronavirus hat die Lage weiter verschärft. Als erstes EU-Land hat Luxemburg am Mittwoch zwölf Minderjährige aufgenommen, die auf der Flucht von ihrer Familie getrennt wurden. Ihre Ankunft am Findel war emotional.
Elf Jungen und ein Mädchen steigen am Mittwoch um kurz vor 12 Uhr aus dem Flugzeug der griechischen Fluggesellschaft Aegean Airlines aus. Ihre Hoffnungen in unser Land sind groß. Im Idealfall ist es der erste Tag ihres neuen Lebens. Auf dem Flughafen Findel werden sie von strahlendem Sonnenschein und Jean Asselborns lachenden Augen in Empfang genommen – das restliche Gesicht des Außenministers ist von einer Maske bedeckt. Dass alle Anwesenden einen Mundschutz tragen, macht es schwer, den Gesichtsausdruck der 11- bis 15-jährigen Flüchtlinge bei ihrer Ankunft zu deuten.
Bepackt mit ein paar Tüten und jeweils nicht mehr als einem Rucksack stellen sich die Kinder für das Gruppenfoto auf. Sie tragen fast alle Hoodies und wirken älter, als sie eigentlich sind. Zusammen mit Jean Asselborn und Caritas-Präsidentin Marie-Josée Jacobs verharren sie für die Fotografen vor dem Flugzeug, in dem sie gerade rund drei Stunden gesessen haben.
Ihre Reise führt die jungen Menschen am Mittwoch von den griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios nach Luxemburg. Mit der Aufnahme der Kinder reagiert das Großherzogtum als erstes EU-Land auf Griechenlands Aufruf zur Solidarität Ende 2019. Ein Aufruf, der mit der Verbreitung des Coronavirus noch dringlicher geworden ist. Denn besonders die Menschen in den überfüllten Flüchtlingslagern sind der Pandemie hilflos ausgeliefert.
1.600 unbegleitete Minderjährige
Dabei ist der Flug von Griechenland nach Luxemburg nur ein kleiner und wahrscheinlich auch der angenehmste Teil ihrer bisherigen Reise. Die Mehrheit der Minderjährigen kommt aus Afghanistan, ein paar weitere aus dem Iran und zwei aus Syrien. Unterwegs werden sie von ihren Familien getrennt. Einige stehen dank ihres Smartphones mit ihren Eltern in Kontakt, bei anderen sind die Angehörigen verschollen.
Auf den griechischen Inseln sind sie jedenfalls schon allein unterwegs, sodass sie als „mineurs non-accompagnés“ in Luxemburg aufgenommen werden. Minderjährige in der gleichen Situation gibt es auf den griechischen Inseln noch rund 1.600, in Griechenland selbst beläuft sich deren Zahl sogar auf rund 5.000. Sie warten darauf, dass auch andere europäische Länder ihnen die Chance auf ein neues Leben geben. Portugal, Irland, Finnland und die Schweiz hätten bereits Interesse bezeugt, auszuhelfen, sagt Jean Asselborn. Deutschland hat indes bereits eingewilligt. Am Samstag kommen 50 unbegleitete Minderjährige in unserem Nachbarland an.
Nicht jedes der unbegleiteten 1.600 Kinder, die derzeit auf griechischen Inseln ausharren, will in ein anderes Land reisen – gezwungen werden sie nicht. „Kurz vor dem Abflug ist ein Kind abgesprungen, weil es Angst vor dem Fliegen hatte“, sagt Jean Asselborn. Solche Situationen gebe es eben auch. Was die Entscheidung betrifft, welche Kinder nach Luxemburg kommen, hat der Außenminister sein Vertrauen in das UN-Flüchtlingswerk UNHCR gelegt. Wegen der weltweiten Krisensituation konnte sich kein luxemburgisches Team um diese Entscheidung vor Ort kümmern.
Als sich die zwölf Kinder vom Flugzeug in Richtung Gebäude begeben, wird ihnen applaudiert. Lachende Augen zeichnen sich über den Schutzmasken ab. Ein zweites Foto wird vor der luxemburgischen und der europäischen Flagge geschossen. „For one second“ sollen sie die Maske runternehmen, sagt Jean Asselborn. Nur drei von ihnen verstehen die Anweisung und ziehen den Mundschutz herunter. Kurz zu sehen sind ein gequältes Lächeln und zwei verwirrte Gesichter.
Familienzusammenführung als Pflicht
Das einzige Mädchen der Gruppe ist nicht ganz allein. Sie ist mit ihrem kleinen Bruder nach Luxemburg gereist. Jean Asselborn betont, dass es Luxemburgs Pflicht sei, die Kinder – sofern sie eine Familienzusammenführung beantragen – mit ihren Eltern hier im Land zusammenzubringen. Das sei ein europäisches Gesetz. Es sei nicht möglich gewesen, mehr als ein Mädchen in die Gruppe zu integrieren. Der Grund: 93 Prozent der Minderjährigen auf den Inseln sind Jungen.
Bis der Bus eintrifft, der die Kinder zu ihrem neuen Zuhause im Norden des Landes bringt, werden sie im „salon d’honneur“ des Flughafens mit Getränken versorgt. Jean Asselborn nutzt die Zeit, um seine Rede vorzuziehen, die er eigentlich erst nach der Abfahrt der Kinder halten wollte. „Es ist ein schöner Tag für Luxemburg und ein schöner Tag für Europa.“ Mit diesen optimistischen Worten beginnt der Außenminister seine Ansprache – aber nicht, ohne gleich darauf an die bittere Realität zu erinnern: „Wir haben heute die Welt und Europa trotzdem nicht besser gemacht.“
Es ist ein schöner Tag für Luxemburg und ein schöner Tag für Europa. Wir haben heute die Welt und Europa trotzdem nicht besser gemacht.Außenminister
Dennoch habe Luxemburg konkrete Solidarität gezeigt und vor allem den jungen Menschen geholfen, die gerade aus dem Flugzeug gestiegen sind. Damit sie ein Recht auf ein würdiges Leben ohne Angst und Hunger bekommen. In der Europäischen Union sei in den letzten Monaten mit Solidarität geknausert worden und so hofft Asselborn, dass sich noch andere Länder, darunter Frankreich, ebenfalls dazu entscheiden, Flüchtlingskinder aus Griechenland aufzunehmen. Die Verhandlungen für diese Hilfestellung gehen auf Ende 2019 zurück. Seitdem hat es mehrere Anläufe gebraucht, bis Luxemburg Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingslagern aufnehmen konnte. „Warten ist nie die richtige Lösung“, so Asselborn.
Die Kinder sind allesamt vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen auf das Coronavirus getestet worden und bleiben zur Sicherheit die ersten 14 Tage in Quarantäne. Die verbringen sie in einem Haus im luxemburgischen Munshausen (Gemeinde Clerf), das von der Caritas angemietet wird. „Als das Projekt draußen war, hat sich Marie-Josée Jacobs sofort gemeldet, um sich der Sache anzunehmen“, sagt Asselborn.
Dort wird sich ein Team von Erziehern rund um die Uhr um sie kümmern. „Für mich war es wichtig, dass die Kinder in einem richtigen Haus unterkommen – nicht in einer typischen Flüchtlingsunterkunft“, so die Caritas-Präsidentin im Gespräch mit dem Tageblatt. Außer ihnen wohne niemand in dem Haus. Jacobs bestand auch darauf, dass die zwölf Minderjährigen zusammenbleiben, damit sie gemeinsam anfangen können, die neuen Sprachen zu lernen, und in einem Umfeld wohnen können, das so familiär wie möglich für sie ist. Jedes von ihnen sei auf psychische Unterstützung angewiesen, so Asselborn.
Die Caritas hat derzeit mit einem Mangel an Erziehern zu kämpfen und sucht noch nach ausgebildeten Personen, die sich um die Kinder aus Griechenland kümmern. Marie-Josée Jacobs ruft dringend dazu auf, sich bei Interesse zu melden. Kontaktmöglichkeiten sind die Telefonnummer 40 21 31 1 und die E-Mail-Adresse caritas@caritas.lu.
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Und jetzt? Wie geht es weiter ? Wo sind die Eltern der Minderjaehrigen? Wird es eine Familienzusammenfuehrung geben? Wie legitim ist es, Minderjaehrige von den Eltern zu trennen. Und dann Herr Minister, wie koennen sie zulassen, dass die Jugendlichen mit Plastiktueten ausgestattet werden? Wir sind doch jetzt alle gruen!
Hier wird doch nicht etwa ein Luxusbürger angst vor einem Dutzend minderjähriger Flüchtlingen haben, die der Hölle entronnen sind ?