/ Trockenmauern und ihre Renaissance
Touristen finden sie pittoresk. Für Einheimische an Mosel, Sauer und im ländlichen Raum gehören sie zum gewohnten Bild. Trockenmauern terrassieren die Weinberge und begrenzen Flächen. Als Handwerk ist es in Luxemburg jedoch praktisch fast ausgestorben. Jetzt gibt es Versuche, das immaterielle Kulturgut wiederzubeleben – wegen der Vorteile.
„Heute muss immer alles schnell gehen“, sagt Lidwine Espi (34). Die Französin aus Perpignan (F), die mittlerweile in Lothringen lebt, arbeitet lange als Geotechnikerin in verschiedenen Ingenieurbüros. Sie untersucht Boden und Gestein, bevor große Infrastrukturprojekte realisiert werden. Lösungen aus Beton und Zement sind an der Tagesordnung. Irgendwann reicht es ihr, sie kündigt.
Sie ist eine der sechs Lehrlinge und die einzige Frau, die gerade am Zahneschhaff in Cruchten im Trockenmauerbau praktische Erfahrungen sammelt. Sonst macht Bauer Emile Weber (48) die Reparaturen an den jahrhundertealten Mauern, die sein Land am CR 123 stabilisieren, selbst. Gelernt hat er das noch von seinem Vater und der wiederum vom Großvater.
Seit 300 Jahren ist der Hof mit 70 Hektar Weideland für die Limousinrinder, 15 Hektar Wald und 15 Hektar Ackerland in Familienbesitz. Die Trockenmauern stehen schon immer da, sind praktisch Teil der Hofansicht. Geschätzte 300 Meter erhält Weber neben der Hofarbeit. Letztes Jahr hat er fünf Tage lang an zehn Metern Mauern Reparaturen gemacht.
Trockenmauern haben viele Vorteile
„Das ist viel Arbeit“, sagt er. „Zwei bis drei Meter täglich ist der Maßstab.“ Die junge Französin schockt das nicht. Nach Jahren im Büro liebt sie die körperliche Arbeit draußen an der frischen Luft und die Zufriedenheit am Abend, wenn sie auf ihr Tagwerk zurückblickt. Im Herbst will sie in Metz die Prüfung als „CQP N2 Ouvrier bâtisseur en pierre sèche“ ablegen.
Lange Zeit galten die Trockenmauern als Relikt aus vergangenen Tagen. In Zeiten des Klimawandels erleben sie eine Renaissance. Dafür gibt es mehrere Gründe. Es ist nicht nur ein vergessenes Handwerk, sondern hat viele Vorteile. Trockenmauern funktionieren durch ihre Bauweise als natürliche Drainage. Bei Starkregen wird das Wasser nicht wie bei Beton gestaut, sondern kann abfließen.
Der Baustoff trägt den Zusatz „lokal“, kommt aus der umliegenden Region und ist langlebig. Bauer Weber hat ein ständiges „Lager“ aus den Steinen, die er nach dem Winter aus dem Boden seines Landes sammelt. Trockenmauerbauer schichten sie zueinander passend aufeinander. Ohne „Kleber“ wie Zement und ohne Beton dazwischen.
Ein gutes Auge und dreidimensionales Denken
„Die Kunst ist, die Steine mit gutem Auge passformgenau zu setzen“, sagt Manuel Meester (41). Er ist beim „Natur- & Geopark Mëllerdall“ verantwortlich für das Interreg-Projekt „Trockenmauern in der Großregion“. Der Architekt hat in Grenoble (F) studiert und während eines Praktikums im „Parc national des Ecrins“ (F) das Handwerk entdeckt und kennengelernt.
„Ein Trockenmaurer braucht Geduld und dreidimensionales Denkvermögen“, sagt er über den Beruf. Der ist in Frankreich seit 2010 formell geregelt. Wie in Luxemburg wurde es bis dahin mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. In dem Jahr aber wird es offiziell als Handwerksberuf anerkannt. Ausbildung und Abschluss sind seitdem geregelt sowie die Technik des Bauens.
Abgesehen von der natürlichen Drainagewirkung stärken Trockenmauern die Landwirtschaft. Vor allem in höheren Lagen kann länger angebaut werden. Das sagt Sylvain Olivier (44), der die Lehrlinge anleitet und die Baustelle in Cruchten leitet. Er ist in seiner Heimat Frankreich unter den ersten, als er vor zehn Jahren das „Certificat de qualification professionnel niveau 2 ouvrier bâtisseur en pierre sèche“ erwirbt.
Drainage- und Speicherwirkung
Mittlerweile ist er Ausbilder in dem Beruf. „Selbst einen Monat nach dem Regen gibt es noch Wasser hinter den Mauern“, sagt er. „Bei großer Hitze absorbieren die Steine die Wärme und geben sie in der Nacht ab.“ Als er seinen Abschluss erwirbt, mag er noch eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Heute ist sein Fachwissen gefragt.
Über das EU-Programm „Leonardo“, das sich dem „Europa des Wissens“ verschrieben hat, hat er in den letzten Jahren Lehrlinge in England, Spanien und Italien angeleitet. „Immer mehr junge Leute interessieren sich dafür“, sagt er. „Es ist ein ästhetischer Beitrag zur Umwelt und stärkt die regionale Wirtschaft.“ Obwohl die Vorteile überwiegen, sind Trockenmauern vergleichsweise zeitintensiv. Sie müssen regelmäßig „gewartet“ und von Gehölz befreit werden.
Das haben viele nach dem Siegeszug des Betons und den mit Steinen gefüllten Stahlkörben (Gabione) nicht mehr gemacht. Deshalb ist viel „patrimoine“ schon verschwunden, genauso das Wissen um die Technik. „Heute ist man sich bewusster denn je, dass Trockenmauern eine ökologische Antwort im Sinne der Kreislaufwirtschaft sind“, sagt Projektleiter Meester.
Hat der Trockenmauerbau denn in einem Hochpreisland wie Luxemburg Zukunft? „In Gegenden wie der Ardèche (F) spricht man nicht mehr von vergessenem Handwerk“, entgegnet Meester. „Dort ist es ein lebendiger Handwerkszweig.“ Es spricht viel dafür, dass es in Luxemburg ähnlich kommen könnte. Erste Anfänge sind da. Am „Institut de formation sectoriel du bâtiment in Bettembourg“ (IFSB) gibt es einen Lehrgang im Trockenmauerbau für Steinmetze.
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