Vier Bezirke, 60 Mandate / Entsprechen die Luxemburger Wahlbezirke noch den Realitäten von 2023?
Wie viele Abgeordnete jeder Wahlbezirk ins Parlament entsendet, ist seit 1988 festgeschrieben. Ihr Zuschnitt stand schon lange vorher fest. Davor galten aber andere Faktoren. Ein Experiment.
Vorhang auf fürs große Finale: Am kommenden Sonntag schreiten die Luxemburger wieder zur Wahl. 60 Sitze in der „Chamber“ stehen zur Disposition, für die kommenden fünf Jahre. Die 60 Volksvertreter werden dabei in einem in Europa ziemlich einzigartigen System gewählt – und in vier Wahlbezirken.
Diese haben nicht nur jeweils unterschiedliche Kandidaten – sondern verfügen auch über eine unterschiedliche Anzahl an Mandaten. Die meisten Parlamentssitze gibt es für die Parteien im Süden zu holen: 23. Das Zentrum hat 21 Parlamentssitze zu bieten, im Norden gibt es neun, im Osten sieben.
Aber warum ausgerechnet diese Wahlbezirke – und diese Zahl von Mandaten?
Eine kleine Geschichte der Luxemburger Wahlbezirke
Kanton-Abgeordnete im 19. Jahrhundert
„Die Geschichte fängt im 19. Jahrhundert an“, erklärt der Verfassungsrechtler Luc Heuschling von der Uni.lu. „Damals wurde das Prinzip festgehalten, das sehr wichtig ist und heute gängig ist.“ Nämlich: Die Zahl und Verteilung der Abgeordnetenmandate auf dem Territorium der Kantone. „Im 19. Jahrhundert war jeder Kanton ein Wahlbezirk, Luxemburg-Stadt bestand aus zwei Kantonen, Stadt und Land.“ Die Zahl der Mandate war je nach Bevölkerungszahl der Kantone flexibel. „Es war in der Verfassung festgelegt, dass es auf 4.000 Einwohner mindestens einen Abgeordneten gibt“, sagt Heuschling. Das heißt: Wenn ein Kanton wuchs, bekam er mehr Abgeordnete im Parlament.
Damals, zu den Anfangszeiten des Parlamentarismus, sei in Luxemburg wie auch in anderen Ländern das Hauptkriterium die Bevölkerung gewesen, sagt Heuschling. Die Bevölkerung, das bedeutete: Männer, Frauen, Kinder – und Ausländer. Wohl gab es auch Länder, die nur die Staatsbürger als Referenz für die Abgeordnetenzahl nahmen. Heuschling vermutet, dass das in Luxemburg auch aus praktischen Gründen anders war. „Es war einfacher, die Bevölkerung zu zählen als die Nationalität.“
1919: Allgemeines Wahlrecht – und vier Bezirke
Das Kriterium der Bevölkerung sorgte nach dem Ersten Weltkrieg für große Diskussionen, sagt Luc Heuschling. Und im Jahr 1919 gab es eine weitere große Veränderung: das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer Luxemburger Nationalität. „Da wurden auch die vier Wahlbezirke eingebaut“, sagt Heuschling. Wieder wurde die Gesamtbevölkerung als Kriterium für die Anzahl der entsandten Parlamentarier gewählt, samt Ausländer. „Für die Sozialisten war das wichtig, weil damit für den Süden die ausländischen Arbeiter miteinbezogen wurden.“ So konnten die Sozialisten im Süden die meisten Abgeordneten bekommen. Den politischen Frieden gefährdete dieses Ergebnis aber weniger, als man erwarten könnte. „Ich glaube, dass die anderen Parteien damals damit einverstanden waren“, sagt Heuschling. Sehr wahrscheinlich verfolgte jede Partei ihr eigenes Kalkül.
Beispiel Mamer, eine Gemeinde direkt vor den Toren von Luxemburg-Stadt: „Es war die Rechtspartei, die Mamer dem Süden zuschlug – damit die Abgeordneten im Süden nicht alle von den Sozialisten gestellt wurde.“ So hatte die konservative Partei, aus der später die CSV werden sollte, auch im Süden ein Standbein. An den Grenzen der vier Luxemburger Wahlbezirke wurde seitdem nicht mehr gerüttelt – außer, wenn eine Gemeinde den Kanton wechseln würde.
1988: Maximal 60 Sitze
Bis in die 1980er-Jahre war die Zahl der Sitze an die Bevölkerung gekoppelt. Laut dem „Zentrum fir politesch Bildung“ gab es in den Wahlbezirken pro 5.550 Einwohner einen Abgeordneten. „Da die Zahl flexibel nach Bevölkerungszahl festgelegt wurde, gab es auch einmal mehr als 60 Abgeordnete – sogar 65“, sagt Luc Heuschling. Kurz vor den Chamberwahlen von 1989 änderte sich das Prinzip. „Ein weiteres wichtiges Datum ist 1988“, sagt Luc Heuschling. Damals sei die Zahl der Abgeordneten auf 60 limitiert worden.
„Interessanterweise wurde bei dieser Reform auch das Kriterium der Bevölkerung aus der Verfassung herausgenommen“, sagt Heuschling. Das heißt: „Es wurde nicht mehr gesagt, dass die Verteilung anhand der Bevölkerungszahl stattfinden muss. Die Verfassung begrenzt die Zahl der Abgeordneten auf 60.“ Wie diese auf die vier Wahlbezirke verteilt werden, soll ein spezielles Gesetz, das mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit angenommen werden muss, bestimmen. „Das ist das Resultat, was wir heute haben“, sagt Heuschling. Dass vom Süden 23 und vom Zentrum 21 Parlamentarier entsendet werden, steht so fest im Gesetz. Was, wenn man das ändern möchte? „Dann muss das Wahlgesetz in diesem Punkt angepasst werden“, sagt Heuschling.
60 Parlamentarier – und nicht mehr
Der Verfassungsrechtler Luc Heuschling sagt, dass die Fixierung auf 60 Sitze im Jahr 1988 – und damit die jetzige feste Verteilung dieser Sitze auf die vier Wahlbezirke eine „populistische Lösung“ gewesen sei, die aus demokratietheoretischer Sicht kritisiert werden kann. „Ich glaube, das Hauptargument war, dass man die Kosten begrenzt.“ Dabei geht es dem Juristen nicht einmal nur um die geänderten demografischen Verhältnisse: „Man muss nur an die Effizienz der parlamentarischen Arbeit denken“, sagt er. „Ein so kleines Parlament mit nur 60 Abgeordneten hat es noch schwerer, die Riesenarbeit für die Gesetzgebung zu machen.“ Im deutschen Parlament arbeiten mehr als 700 Volksvertreter, im finnischen immerhin 200.
Hinzu kommt laut Heuschling, dass die Luxemburger Abgeordneten keine „Vollzeitparlamentarier“ seien, weil die meisten auch noch Bürgermeister einer Kommune sind. „Wenn man von der Effizienz und der Qualität der parlamentarischen Arbeit und vom demokratischen Standard ausgeht, ist die Fixierung der Zahl sehr schlecht“, sagt Heuschling.
Warum wurde das Wahlsystem 1988 geändert? Lag’s wirklich nur am Geld?
Das LSAP-Urgestein Alex Bodry, jetzt Staatsrat, aber bis 2020 als Abgeordneter in der Chamber, saß bei den Diskussionen in den 1980er-Jahren als Verhandler mit am Tisch. „Die Periode 1984 bis 1989 war meine erste im Parlament“, sagt er. Damals sei die Deckelung der Sitze beschlossen worden. „Das wurde von der damaligen Regierung festgelegt und auch von der Opposition mitgetragen, das war nicht unpopulär.“
Bodry: „Wir waren damals schon in einer Phase, in der die Bevölkerung zugenommen hat.“ Und weil die Zahl der Parlamentssitze an die Bevölkerungszahl gekoppelt war, „ging die Sitzzahl nach und nach von 59 auf 60 und dann von 60 auf 64“ hoch. „Das war furchtbar unpopulär bei der Bevölkerung“, sagt Bodry. „Das kostet bloß“, sei die öffentliche Meinung gewesen. Die Deckelung sei eine Reaktion darauf gewesen.
Es habe davor einiges „politisches Hin und Her“ gegeben. Zum Beispiel, was die genaue Zahl der Sitze angeht: Eigentlich sollten es 59 werden, aber vor allem die kleineren Bezirke hielten an ihren bereits errungen Plätzen fest. Auch die Bemessungsgrundlage sei diskutiert worden. „Die einen sagten, das sollten die Wähler sein, die anderen sagte, die Bevölkerung.“ Schlussendlich wurden Berechnungen vorgenommen, in die beide Faktoren einflossen. Den Weg ins finale Gesetz fanden diese Kriterien aber nicht.
Einstimmigkeit in den 1980ern
Schließlich sei sich auf 60 geeinigt worden, mit der derzeitigen Aufteilung auf die Bezirke. „Alle wichtigen Parteien waren einverstanden, parteiübergreifend, die Opposition – damals die DP – hätte auch an den Verhandlungen teilgenommen“, sagt Bodry.
Das Verhältnis von 23, 21, neun und sieben Sitzen hatte 1989 übrigens auch mathematisch gepasst: 375.800 Einwohner hatte Luxemburg laut Statec damals. Dividiert durch die 60 Sitze bedeutete das für den Süden 23,04 Sitze, für das Zentrum 21,38, für den Norden 8,94 und für den Osten 6,63.
Bis heute sind die Wahlbezirksgrenzen und die Anzahl der Sitze geblieben. „Man kann darüber diskutieren, ob die regionale Aufteilung gut oder schlecht ist“, sagt Bodry. Diese folge den alten Kantonsgrenzen, und entspreche nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten. Das merke man besonders bei den Europawahlen, bei denen die Wähler frei entscheiden können – und solche aus Süd-Gemeinden Kandidaten aus dem Zentrum wählen. Näher am Wähler seien da die Planungsregionen aus der Landesplanung.
Aber ob sich die Wahlbezirke in naher Zukunft einmal ändern werden, bezweifelt der LSAP-Politiker. „Es gibt viele Modelle“, sagt er. „Aber alle Partien legen erst einmal den Rechenschieber an – geht es strukturell für oder gegen uns?“ Aufgrund dieses Ergebnisses werde eine Partei einer Reform dann zustimmen – oder sie ablehnen. „Es ist unglaublich schwierig, sich auf ein Modell zu einigen, was von einer großen Mehrheit der Parteien befürwortet wird“, sagt Bodry. Und gibt zu bedenken: „Es gibt mehr Wahlsysteme als Länder auf der Welt – und es gibt objektiv gesehen kein perfektes System.“ Für ihn müsse ein Wahlsystem zwei Funktionen erfüllen: „Die wichtigen politischen Strömungen ordentlich im Parlament im Verhältnis zueinander vertreten – und die Schaffung stabiler Mehrheiten ermöglichen.“
Blick in die Zukunft: Was ist mit den Auslandsluxemburgern?
Eine weitere relevante Größe könnten in Zukunft die Luxemburger im Ausland darstellen. Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren frappant gewachsen: Laut dem Statistikamt Statec alleine von 2020 bis 2023 von 81.500 Menschen auf 122.300 Menschen. Das sind mehr als derzeit jeweils in den Wahlbezirken Norden und Osten leben. Betrachtet man nur die Luxemburger, wäre der „Auslandswahlbezirk“ sogar größer als das Zentrum.
In ihrem jüngsten Demografiebericht erklären die Statec-Statistiker, dass sich alleine die Zahl der Luxemburger in Brasilien in den vergangenen drei Jahren von 6.400 auf 20.000 mehr als verdreifacht hat, auch die „Zahl der Luxemburger in den USA ist fast um das 2,5-fache gestiegen“. Als Grund dafür macht die Behörde die „große Zahl von Staatsangehörigkeitserwerben aufgrund von Abstammung“ aus. Das „Naturalisierungsgesetz“ gilt seit 2008. Es erlaubt Nachkommen von Luxemburgern, deren Geburtsdatum nach dem 1. Januar 1900 war, die Luxemburger Staatsbürgerschaft zu erwerben.
Jeder Luxemburger im Ausland darf auch zur Wahl schreiten. Dafür muss er sich aber registrieren. Bis jetzt ist das Interesse dafür gering: Für die Abstimmung am kommenden Sonntag haben sich gerade einmal 6.378 Auslandsluxemburger zur Briefwahl angemeldet.
Der theoretische Effekt der „Expats“ auf die Wahlbezirke ist aber nicht klein. Wer aus Luxemburg ins Ausland zieht, kann weiter in der Gemeinde wählen, in der er seinen letzten Luxemburger Wohnsitz hatte. Wer aber nicht in Luxemburg geboren ist und nie einen Wohnsitz innerhalb der Landesgrenzen hatte, wird als Wähler automatisch der Stadt Luxemburg zugeordnet – also dem Wahlbezirk Zentrum. „Für mich ist das problematisch zu sehen“, sagt Verfassungsrechtler Luc Heuschling. „Das ist ein Wahlfaktor fürs Zentrum.“ Wenn sich alle volljährigen Auslands-Luxemburger einschreiben würden, „würde sich das Wahlvolk massiv ändern.“
Was wäre, wenn …
…. die heutigen Einwohner in den Wahlbezirken maßgeblich wären?
Was wäre, wenn …
… nur Luxemburger, die in Luxemburg wohnen, maßgeblich wären?
Was wäre, wenn …
… nur Wahlberechtigte in Luxemburg maßgeblich wären? Als Grundlage dient die von Statec gemeldete Zahl der Luxemburger, die am 1. Januar 2023 18 Jahre oder älter waren.
Was wäre, wenn …
… man das Wahlsystem nicht geändert hätte?
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>>> N E I N <<< das tun sie schon lange nicht mehr.
Ein einziger Wahlbezirk bei unserer Landesoberfläche würde völlig aureichen und wäre gerechter.
da war dat eben vläicht eng gut Idii vum Här Bodry, mä, wann Een grad mol iwwerleet, dann ass onse Systeme vun Haut falsch, well viir wat kann de Wiëler vum z.B. dem Süden, nët ee Kanditat aus dem Norden, oder Osten, oder Zentrum wiëlen..
vläicht ass ët gut fiir dem Kandidat den aus engem Beziirk kënnt wou och de Wiëler wunnt, Deen huët natiirlëch méi Chance gewielt zë gin wéi wann de Waal-System fiir dat ganzt Land selw¨ch wiir..
dat muss awer nët esou sin, well den „X“ och den „A“ ka wiëlen egal wou hië wunnt
ët ass vläicht Eppes méi schwéier dat ze verstoën, awer ët wiir méi gerecht, de Wieler (ALL) muss können mat bestëmmen
„Ween an d’Regierung könnt an an d’Chamber“
dat ass a soll eng Saach vu Gerechtëgkeet vis-à-vis vum Biirger sën an nët fiir dat ee bestëmmten Kandidat „X“ da vläicht méi Chancen houët gewiëlt zë gin