Post-Brexit / Beim Videogipfel zwischen den EU-Spitzen und Boris Johnson blieben viele Fragen offen
Der Videogipfel zwischen den EU-Spitzen und dem britischen Premierminister Boris Johnson hat den offiziellen Verlautbarungen zufolge keinen Anstoß zu wesentlichen Fortschritten in den Verhandlungen über die künftigen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gebracht. Immerhin waren sich die Gipfelteilnehmer darin einig, dass die Gespräche „neuen Schwung“ brauchen.
Nachdem bei den bislang vier Verhandlungsrunden keine grundsätzlichen Einigungen getroffen werden konnten und die Verhandler aus Brüssel und London seit Wochen vielmehr auf der Stelle treten, bringt die Erkenntnis, dass ein neuer Schwung hermüsse, eine Einigung auf ein Abkommen auch nicht viel näher. Vor allem wenn nicht geklärt wird, wer für diesen neuen Schwung sorgen soll.
Auf der britischen Seite wird Medienberichten von der Insel zufolge darauf gesetzt, dass Michel Barnier neue Instruktionen von den EU-Staats- und Regierungschefs erhält, um London in strittigen Punkten entgegenzukommen. Doch das Europäische Parlament, das dem Abkommen letztendlich zustimmen muss, wird am morgigen Mittwoch eine Resolution des luxemburgischen EVP-Abgeordneten Christophe Hansen und der niederländischen Sozialdemokratin Kati Piri mit Empfehlungen zu den Verhandlungen verabschieden, in der ein solches Entgegenkommen nicht vorgesehen ist. Ohnehin dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass die EU-Mitgliedstaaten von ihrer zentralen Forderung nach dem sogenannten „Level playing field“ abweichen werden, nach dem Großbritannien sich weiterhin an die in der EU geltenden Wettbewerbs-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzregeln halten müsste, um ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt zu haben. Zudem hat vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron die Forderung nach freiem Zugang zu britischen Fischereigebieten für Fischer aus der EU, vor allem aber aus Frankreich, zu einer der Prioritäten erklärt. Der Spielraum für Kompromisse ist daher gering.
Keine „Katze im Sack kaufen“
Die britischen Verhandler könnten zwar anbieten, dennoch einige Zölle zu akzeptieren. Das aber würde, wie Michel Barnier unlängst erklärt hatte, zeitaufwendige Verhandlungen über die Details erfordern, die in dem noch verbleibenden Zeitrahmen nicht beendet werden könnten. Denn bis Ende Oktober, vielleicht noch Anfang November, muss ein Ergebnis auf dem Tisch liegen, damit es fristgerecht vor dem 31. Dezember durch alle Instanzen gebracht werden kann. Denn vor allem auf EU-Seite wurde gestern „zur Kenntnis genommen“, dass London darauf verzichtet, die gegenwärtige Übergangsphase um weitere ein bis zwei Jahre zu verlängern, wie aus einer gemeinsamen Mitteilung nach dem Videogipfel zu entnehmen ist. Die Gespräche sollen daher nun im Juli „intensiviert“ werden.
Boris Johnson sah laut Angaben verschiedener Medien nach dem Videotreffen „keinen Grund, warum wir das nicht bis Juli erledigt haben können“ und meinte demnach, er glaube nicht, „dass wir so weit voneinander entfernt sind“. Die Gipfelteilnehmer auf der EU-Seite – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Parlamentspräsident David Sassoli, Ratspräsident Charles Michel sowie der EU-Chefverhandler Michel Barnier – hielten sich weitgehend zurück. Lediglich Charles Michel twitterte als Antwort auf die Forderung von Boris Johnson, bei den Verhandlungen „einen Tiger in den Tank zu setzen“, er wolle keine „Katze im Sack kaufen“ und machte damit deutlich, dass es kein Rütteln am „Level playing field“ geben werde.
Entgegen aller Zuversicht, die der britische Premierminister gestern erkennen ließ, dürfte es dennoch bis zum Herbst dauern, bevor eine Einigung zustande kommen kann. Denn obwohl die beiden Parteien bereits vier Verhandlungsrunden hinter sich haben, scheinen wesentliche Fragen noch nicht geklärt zu sein. Denn zu den Bedingungen, damit es zu einem Abschluss und einer Ratifizierung noch vor Ende des Jahres kommen kann, „sollte, wenn möglich, auch eine frühzeitige Verständigung über die Grundsätze eines Abkommens gehören“, heißt es weiter in der gemeinsamen Mitteilung.
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