Adipositas / Eine Krankheit mit vielen Facetten
Der 4. März ist Welt-Adipositas-Tag. Zu diesem Anlass hat sich das Tageblatt mit Dr. Hanen Samouda vom Forschungsinstitut LIH unterhalten. Die Wissenschaftlerin erinnert daran, dass Fettleibigkeit eine chronische Krankheit mit vielen Facetten ist und als solche behandelt werden muss.
Seit 2013, also noch gar nicht lange, gilt Adipositas als chronische multifaktorielle Krankheit. Eine Tatsache, die in der breiten Öffentlichkeit, aber auch unter Fachleuten zu wenig bekannt ist, findet Dr. Hanen Samouda, Wissenschaftlerin am medizinischen Forschungsinstitut „Luxembourg Institute of Health“ (LIH). Sie erforscht am LIH und in nationalen interdisziplinären Projekten u.a. die Wirkmechanismen hinter Adipositas. Bei Adipositas handele es sich genauso um eine chronische Erkrankung wie bei Diabetes oder Bluthochdruck, sagt sie.
Adipositas ist eine Krankheit mit vielen Facetten. Fachleute sprechen deshalb von einer multifaktoriellen Erkrankung. „Das bedeutet, dass es sich bei Adipositas um mehr handelt als um Übergewicht“, erklärt die Forscherin. Sie unterstreicht: „Man kann übergewichtig sein und trotzdem kerngesund.“ Ob man krank wird, entscheidet u.a., wo im Körper sich das Fett gebildet hat. Während viszerales Fett (Fett, das die inneren Organe und das Verdauungssystem umhüllt) in Verbindung mit Herzkreislaufproblemen, Depressionen, Stoffwechselproblemen und anderen Komplikationen stehe, könne anderes Fett sogar gegen Komplikationen schützen, erklärt die Forscherin.
Die Ursachen, warum eine Person Adipositas hat, sind vielfältig. Die Gene spielen genauso eine Rolle wie der Lebensstil, Schlafmangel, die Psyche oder etwa Medikamente, die eingenommen werden. Mit gesundem Essen und mehr Bewegung sei Menschen mit Fettleibigkeit nicht geholfen. Damit bekämpfe man höchstens die Symptome, heile aber nicht die Ursache, sagt die Forscherin.
Wie aber soll die Medizin nun damit umgehen? Experten aus Kanada haben im vergangenen Jahr Empfehlungen veröffentlicht. Demnach sollte nicht nur das Gewicht gemessen werden (in Form des Body-Mass-Index BMI), um Adipositas festzustellen, sondern auch die Ursache untersucht werden. In der klinischen Praxis angekommen seien diese Empfehlungen noch nicht, so Samouda im Gespräch mit dem Tageblatt. Um die genetischen Ursachen zu ergründen, brauche es aber erst mal keinen Gentest. Es genüge schon, die Familiengeschichte abzufragen. In Luxemburg gebe es zwar Experten für Adipositas, besonders unter den Allgemeinmedizinern und -medizinerinnen müsse jedoch mehr aufgeklärt werden. Die Diagnose müsse über die Feststellung hinausgehen, dass der Patient zu viel gegessen und zu viel Zeit vor dem Fernseher verbracht hat.
Bewegung ja, aber …
Wie behandelt man nun eine solche Krankheit? Samouda streitet nicht ab, dass Bewegung und eine gute Ernährung der Gesundheit zuträglich sind. Um der chronischen Krankheit Adipositas beizukommen, müssten allerdings auch andere Dinge in Betracht gezogen werden. Sie nennt zum einen eine psychologische Begleitung, die Einnahme von Medikamenten (insbesondere in Europa greife man nicht gerne darauf zurück) und im Extremfall ein chirurgischer Eingriff. „Wir müssen eine ganze Reihe von Behandlungen bereithalten, die wir den Menschen je nach ihrer persönlichen Situation und ihrem Krankheitsverlauf anbieten können“, sagt die Forscherin.
In Europa sind rund 70 Prozent der Menschen übergewichtig oder haben Adipositas. In Luxemburg hatten bei einer Studie, die zwischen 2013 und 2015 durchgeführt wurde, laut Samouda 58 Prozent der Erwachsenen Übergewicht. Über Kindern existieren Schätzungen. Demnach haben 29 Prozent der Jungen und 18 Prozent der Mädchen zwischen 7 und 18 Jahren Übergewicht oder Adipositas. Die Zahlen würden steigen, weil die Betroffenen nicht richtig behandelt werden, sagt Samouda. „All die Jahre haben wir gedacht, dass Ernährung und körperliche Aktivität eine Behandlung sind, das sind sie aber nicht.“
Daneben sind es Umweltfaktoren, die die Krankheit fördern. Damit ist nicht die Umwelt im Sinne von Wiesen und Wäldern gemeint, sondern die moderne Welt, in der wir leben. „Wir leben in einer obesogenen Welt“, so die Fachfrau – also einer Welt, die Obesität fördert. Dazu zählt sie zum Beispiel die Verfügbarkeit von stark verarbeiteten Lebensmitteln und die damit verbundene omnipräsente Werbung, Schlafmangel und die Tatsache, dass Menschen mit ihrer Krankheit nicht sofort zum Arzt gehen. Auch, weil die Krankheit stigmatisiert sei.
„Die Stigmatisierung und die Diskriminierung verschlimmern die Krankheit“, so Samouda. Dabei sei die Sprache sehr wichtig, mit der darüber gesprochen wird – auch in der Arztpraxis. Sie wirbt für eine „people first language“. Diese Art sich auszudrücken unterscheidet sich darin, dass sie sagt, was eine Person „hat“ anstatt was sie „ist“. Demnach muss es lauten „eine Person mit Adipositas“ und nicht „eine adipöse (oder gar fette) Person“.
In diesem Sinne hat die „World Obesity Federation“ eine Datenbank mit frei verfügbaren, unvoreingenommenen Bildern zusammengestellt, die Menschen mit Adipositas in gewöhnlichen Lebenssituationen zeigen. Die Darstellung von Menschen mit Übergewicht auf der Couch sitzend mit Pommes und Hamburgern müsse aufhören, fordert Samouda.
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