Wissenschaft / So genau werden Fachartikel geprüft, bevor sie publiziert werden
Bevor sie veröffentlicht werden, werden wissenschaftliche Arbeiten auf Herz und Nieren geprüft. In der Sprache der Wissenschaftler wird diese Prüfung als Peer-Review bezeichnet. Diese strenge Kontrolle verleiht seriösen wissenschaftlichen Publikationen ihre Glaubwürdigkeit, die sie von anderen Informationen unterscheidet. Das Tageblatt hat sich vom Direktor des Luxembourg National Research Fund, Marc Schiltz, die Details erklären lassen. Wir erklären Schritt für Schritt, wie der Prozess abläuft.
1. Die Wissenschaftler schreiben ihre Arbeit
Wissenschaftler stehen heute unter einem enormen Druck, ständig neue Erkenntnisse zu veröffentlichen. Dennoch müssen sie bei ihrer Arbeit sorgfältig vorgehen. Dazu gehört, dass die Arbeit so geschrieben wird, dass sie von jedem, der vom Fach ist, nachvollzogen werden kann und dass alle Experimente so erklärt sind, dass andere Wissenschaftler sie wiederholen könnten.
2. Die Arbeit wird auf einem Preprint-Server veröffentlicht
Heute erscheinen viele wissenschaftliche Artikel, noch bevor sie auf Herz und Nieren geprüft worden sind, im Internet. Datenbanken, in denen solche Arbeiten zu finden sind, werden als Preprint-Server bezeichnet. Obwohl hier Vorsicht geboten ist, misst Marc Schiltz ihnen eine gewisse Bedeutung zu. „Einige dieser Datenbanken führen bereits eine erste Qualitätskontrolle durch. Daneben können andere Wissenschaftler Kommentare hinterlassen, sodass schnell klar wird, wenn ein Artikel nichts taugt.“ Beispiele für Preprint-Server sind arXiv.org und bioRxiv.org.
3. Die Arbeit wird zur Begutachtung an Experten geschickt
Haben die Wissenschaftler ihr Manuskript fertiggestellt, schicken sie es an einen wissenschaftlichen Verlag. Diese Verlage organisieren den Peer-Review-Prozess. „Sie verschicken das Manuskript an andere Wissenschaftler, die Experten in dem jeweiligen Gebiet sind“, erklärt Schiltz. Diese Experten analysieren das Manuskript und schreiben ein Gutachten. Sie prüfen unter anderem, ob es sich um neue Erkenntnisse handelt, ob die angewandte Methode die passende ist und ob die Schlussfolgerungen, die der Wissenschaftler zieht, sich mit den Daten decken.
4. Wer sind diese Experten?
Die Menschen, die das Manuskript begutachten, sind keine x-beliebigen Personen. „Dabei handelt es sich um andere Wissenschaftler, die Spezialisten auf dem Gebiet sind, um das es in dem Manuskript geht.“ Die Verlage verfügen über große Datenbanken mit Kontakten von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt, unter denen sie auswählen können, sagt Schiltz. „Natürlich wird auch überprüft, ob es einen Interessenskonflikt gibt. Zum Beispiel, ob die Experten schon einmal mit den Autoren zusammengearbeitet haben oder ob sie Konkurrenten sind.“ Es soll sichergestellt werden, dass die Bewertung unabhängig passiert. Bezahlt werden diese Experten meistens nicht.
5. Die Wissenschaftler müssen ihr Manuskript überarbeiten
Die Experten schicken ihre Gutachten zurück an den Verlag. Dieser hat dann drei Möglichkeiten. Wenn die Experten der Meinung sind, dass das Manuskript super ist, kann die Arbeit in einer wissenschaftlichen Zeitschrift gedruckt werden. Andererseits kann der Verlag sich dazu entscheiden, die Arbeit fallen zu lassen, wenn die Experten der Meinung sind, dass sie zu schlecht ist. „Üblicherweise aber werden die Experten Verbesserungsvorschläge machen“, erklärt Schiltz. Dabei kann es sich zum Beispiel um neue Erkenntnisse handeln, die der Autor übersehen hat, oder um schlechte Formulierungen, die überarbeitet werden müssen. Der Verleger reicht die Gutachten anonymisiert an die Autoren weiter, sodass sie ihr Manuskript überarbeiten können. „Manchmal müssen die Wissenschaftler sogar neue Daten erheben oder ihr Manuskript umschreiben“, so Schiltz.
6. Der Verleger entscheidet über die Veröffentlichung
Nachdem die Wissenschaftler den Kritikpunkten Rechnung getragen haben, schicken sie ihr Manuskript zurück an den Verlag. Dieser entscheidet dann, ob der Artikel nun veröffentlicht werden kann oder ob er für eine weitere Begutachtung zu den Experten geschickt wird.
7. Keine hundertprozentige Garantie
Trotz ausgiebiger Kontrolle ist es möglich, dass Artikel veröffentlicht werden, die sich im Nachhinein als fehlerhaft herausstellen. Eine hundertprozentige Garantie gibt es nicht, sagt Schiltz. Zum einen seien die erhobenen Daten oft nicht eindeutig und bieten Raum für unterschiedliche Interpretationen. Zum anderen kommt es, wenn auch selten, vor, dass Wissenschaftler Daten schlichtweg fälschen. „Ein schwerwiegender Verstoß“, sagt Schiltz. „Das kommt allerdings wirklich selten vor.“
8. Woran erkenne ich als Laie, was eine wissenschaftliche Arbeit taugt?
Wenn ein Artikel in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift erschienen ist, dann könne man davon ausgehen, dass er überprüft worden ist, sagt Schiltz. Insbesondere bei den renommierten Fachblättern könne man von einem strengen Peer-Review-Prozess ausgehen.
9. Was sind „Predatory Journals“ und wie erkenne ich sie?
Als Laie ist es oft schwer zu erkennen, wie seriös eine wissenschaftliche Zeitschrift arbeitet. Sogenannte „Predatory Journals“ (dt.: Raubverlage) drucken gegen eine entsprechende Bezahlung Artikel ab, die in seriösen Zeitschriften vielleicht durchgefallen wären. „Diese Zeitschriften sind nur darauf aus, Profit zu machen, und haben bestenfalls einen Pseudo-Peer-Review-Prozess“, erklärt Schiltz. „Jemand, der vom Fach ist, kann Ihnen meist sehr schnell sagen, ob eine Zeitschrift seriös ist, oder nicht.“ Wer keinen Wissenschaftler parat hat, um nachzuhaken, kann selber überprüfen, ob eine Zeitschrift auf einer der schwarzen Listen steht, die im Netz publiziert werden. Die bekannteste schwarze Liste wurde von dem US-amerikanischen Bibliothekar Jeffrey Beall geführt. Sie wurde 2017 geschlossen, weil einige der aufgeführten Verlage mit Klagen drohten. „Beall’s List“ wird allerdings von anderen fortgeführt.
10. Wie kommt es dann, dass sich Wissenschaftler trotzdem manchmal widersprechen – zum Beispiel im Fall von Covid-19?
Das neue Coronavirus SARS-Cov-2 ist sehr neu. Es ist vor weniger als einem Jahr zum ersten Mal in Erscheinung getreten. „Wir sind gerade dabei, zu verstehen, wie dieses Virus funktioniert und wie sich die Krankheit verbreitet. Vor sechs Monaten wussten wir noch praktisch gar nichts darüber“, sagt Schiltz. Sechs Monate seien in der Wissenschaft eine sehr kurze Zeit. Selbst heute gäbe es noch viele Unbekannte. „Wenn ein neues Thema erforscht wird, ist es normal, dass unterschiedliche Hypothesen aufgestellt werden, die sich widersprechen können.“ Erst im Laufe der Zeit werde klar, was stimmt und was nicht. „Nach und nach schält sich ein Korpus von Wissen heraus, der dann den Konsens bildet.“ Dieser Prozess ist in den Wissenschaften üblich, findet in der Regel allerdings auf Fachkonferenzen und nicht live im Fernsehen statt.
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