Fünf Jahre nach Lux-Leaks / Steueroase wider Willen: Wie sich Luxemburg fünf Jahre nach Lux-Leaks entwickelt hat
Fünf Jahre sind es her, dass die Lux-Leaks-Enthüllungen bestätigten, was die meisten eigentlich längst schon wussten. Luxemburg ist eine Steueroase. Seitdem hat die Regierung die Praxis der Steuerrulings größtenteils aufgegeben und mehrere Maßnahmen umgesetzt, die zur Transparenz des Finanzplatzes beitragen sollen. Trotzdem ist Luxemburg nach den USA immer noch das größte Investmentzentrum der Welt. Laut McKinsey lagerten 2017 10,6 Billionen Dollar von ausländischen Finanzvermögen in Luxemburg. Laut EU-Kommission hielten Luxemburger Fonds Ende 2018 insgesamt 26,8 Prozent der Kundengelder in Europa. Das entspricht einem Betrag von rund 4 Billionen Euro. Dieser Wert ist 71 Mal höher als das Luxemburger Bruttoinlandsprodukt.
Im November 2014 hatte das „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) seine Recherche-Ergebnisse zu der Lux-Leaks-Affäre veröffentlicht. Die Whistleblower Antoine Deltour und Raphaël Halet, die bei dem Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers beschäftigt waren, hatten die Daten 2014 an den Journalisten Edouard Perrin weitergeleitet. Aus diesen Daten wurde ersichtlich, dass Großkonzerne über staatlich genehmigte „Advance Tax Rulings“ Steuersätze von weniger als einem Prozent in Luxemburg zahlen. „Konzerne wie Amazon, Eon, Google, IKEA oder Skype haben Niederlassungen in Luxemburg gegründet, obwohl sie ihre Gewinne in ganz anderen Ländern erzielen, die mehr Steuern verlangen“, erklärt Mauritius Much, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung. Als Teil des ICIJ war Much 2017 an der Enthüllung der Panama-Papers beteiligt und hielt vergangene Woche auf Einladung der „Association luxembourgeoise des journalistes professionnels“ (ALJP) und des Kollektivs „Tax Justice Luxembourg“ einen Vortrag in den Rotondes.
Getarnt als Zinsen seien die Profite nach Luxemburg verschoben worden, wo auf die verschobenen Gelder kaum Steuern erhoben wurden, sagte Much. Es seien Schwestergesellschaften gegründet und Schuldscheine verschoben worden, Dividenden hätten sich in Zinsen verwandelt und seien als solche steuerfrei geblieben. Bis 2014 war diese Praxis weitestgehend legal, wie auch die Luxemburger Regierung immer wieder betont. Bedenken wurden vor allem in moralischer Hinsicht geäußert.
In mindestens zwei Fällen waren die Tax Rulings aber illegal. Im Oktober 2017 stellte die EU-Kommission fest, dass Luxemburg Amazon ungerechtfertigte Steuervergünstigungen von bis zu 250 Millionen Euro gewährt hatte. Auch zwei Unternehmen der Engie-Gruppe hatte Luxemburg erlaubt, rund ein Jahrzehnt lang auf nahezu die Gesamtheit ihrer Gewinne keine Steuern zu zahlen. Dem französischen Energiekonzern sei daraus ein unangemessener Vorteil von 120 Millionen Euro entstanden, bemängelte die EU. Die Kommission forderte Luxemburg dazu auf, die insgesamt 370 Millionen Euro zurückzuverlangen, doch die Regierung hat dagegen Einspruch vor dem Europäischen Gerichtshof eingelegt. Die Fiat-Gruppe hat laut EU-Kommission ebenfalls unerlaubt Steuervorteile von 20 bis 30 Millionen Euro in Luxemburg erhalten. Im März 2019 kündigte die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an, die steuerliche Behandlung der finnischen Firma Huhtamäki in Luxemburg zu prüfen. Konkret geht es um Steuervorbescheide aus den Jahren 2009, 2012 und 2013. Ein Prüfverfahren gegen die Fastfoodkette McDonald’s wurde 2018 eingestellt.
Imagekorrektur
Die meisten dieser Fälle gehen auf die Zeit vor Lux-Leaks zurück. Doch wie hat sich der Luxemburger Finanzplatz seitdem entwickelt? Die Tax Rulings hätten 2015 und 2016, also in den beiden Jahren nach Lux-Leaks, noch einmal zugenommen, sagt Mauritius Much. 2015 seien 516, 2016 sogar 599 Tax Rulings gezählt worden. Danach habe ihre Zahl stark abgenommen, 2017 seien nur noch fünf in Kraft gewesen. Nach Lux-Leaks hat Luxemburg in der Tat einige Bemühungen unternommen, um sein „Netz an Steuerübereinkommen an den internationalen Standard anzugleichen“, wie es auf der Internetseite des Finanzministeriums heißt. So unterzeichnete die Regierung Ende März 2014 mit den Vereinigten Staaten das Fatca-Abkommen („Foreign Account Tax Compliance Act“), das den automatischen Austausch von Informationen zwischen der luxemburgischen und amerikanischen Steuerverwaltung regelt. Umgesetzt wurde es im Juli 2015. Schon 2013 hatte Luxemburg sich dem Aktionsplan BEPS („Base Erosion and Profit Shifting“) der OECD zur Entwicklung von Maßnahmen für die Eindämmung von Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung angeschlossen, der Ende 2018 in Kraft getreten ist. Seit Januar 2016 gilt zudem die von der OECD entwickelte Norm CRS („Common Reporting Standard“), die den automatischen Austausch von Informationen zu Finanzkonten vorsieht. Ferner hat Luxemburg in den vergangenen Jahren weitere EU-Richtlinien umgesetzt und multilaterale Abkommen zu Steuertransparenz und Informationsaustausch unterzeichnet.
Luxemburg bewege sich seit 2014 „zwischen Kooperation und Konfrontation“, stellt Much fest. Seit einigen Jahren versuche die Regierung das Image von der Steueroase loszuwerden. Mit BEPS, Fatca und CRS sei ihr das nur zum Teil gelungen. Auf der schwarzen Liste der Steueroasen der EU ist Luxemburg nicht aufgeführt. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat 2017 ihre eigene schwarze Liste als Ergänzung zur EU-Liste erstellt. Dort ist Luxemburg genauso zu finden wie im Schattenfinanzindex des „Tax Justice Network“, wo das Großherzogtum – vor Deutschland – Platz sechs belegt.
Während das Luxemburger Parlament sich 2016 noch einstimmig gegen eine vom damaligen EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici geforderte Angleichung der Steuersätze für Unternehmen in der ganzen EU ausgesprochen habe, seien seit Anfang dieses Jahres auch neue Töne in Luxemburg zu hören gewesen, stellt Much fest. Als Moscovici Anfang 2019 vorschlug, in Steuerfragen das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, das substanzielle Fortschritte in dieser Frage bisher verhindert, habe DP-Finanzminister Pierre Gramegna zwar gewohnt abwehrend reagiert. LSAP-Präsident Franz Fayot hat aber gegenüber der Süddeutschen Zeitung gesagt, Luxemburg könne es sich politisch nicht mehr leisten, das Veto zu ziehen. Man müsse von der Steuerkonkurrenz in Europa wegkommen.
Ein Sonderausschuss zu Finanzkriminalität, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung des EU-Parlaments hat im März dieses Jahres das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA begrüßt. Zugleich hebt der Ausschuss aber hervor, dass sich der „hohe Anteil der Zuflüsse und Abflüsse ausländischer Direktinvestitionen am BIP in sieben Mitgliedstaaten (Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Ungarn und Zypern) nur zu einem gewissen Teil mit echter Wirtschaftstätigkeit erklären lässt, die in diesen Mitgliedstaaten stattfindet“. Ferner stellt die Kommission den hohen Anteil ausländischer Direktinvestitionen in mehreren Mitgliedstaaten fest und bemerkt, dass diese ausländischen Direktinvestitionen meistens von Gesellschaften getätigt werden, die „häufig dazu dienen, Schlupflöcher auszunutzen“. Laut dem Ausschussbericht gehört Luxemburg zu den sieben Ländern, die mit ihrem Steuersystem die Integrität des europäischen Binnenmarkts beeinträchtigen und die aggressive Steuerplanung weltweit erleichtern. In diesen Staaten gebe es Finanzvehikel, die oft nur existierten, um Steuerschlupflöcher auszunutzen, erläutert Much.
Trotz Lux-Leaks habe der Anteil des Finanzplatzes am Bruttoinlandsprodukt Luxemburgs nach 2014 leicht zugenommen, legt Mauritius Much dar. Zwischen 2014 und 2017 sei er von 26,5, auf 28,1 Prozent angestiegen.
Steueroptimierung leicht gemacht
Doch was macht Luxemburg weiter für ausländische Konzerne attraktiv? „Im Gegensatz zu anderen Oasen ist Luxemburg kein Nullsteuerland“, sagt Much. Der Spitzensteuersatz für Personen liege bei bis zu 38 Prozent und die Unternehmenssteuer bei bis zu 30 Prozent. Für ausländische Investoren gäbe es aber viele Ausnahmen, die Steuervorteile bieten. Laut Much dienen ganze Unternehmensformen ausschließlich der Steueroptimierung, damit ausländisches Kapital nach Luxemburg kommt. So zum Beispiel die Sicav-FIS (Spezialisierter Investmentfonds), die von Körperschaftssteuer, Ertragssteuer, Gewerbe-, Vermögenssteuer und Quellensteuer auf Ausschüttungen von Dividenden an nicht-ansässige Anleger befreit ist.
Immer beliebter wird der erst 2016 vom Parlament per Gesetz eingeführte „Reserved Alternative Investment Fund“ (RAIF), der dieselben Steuervorteile wie der FIS bietet. Im Unterschied zum FIS unterliegt der RAIF jedoch weder der Zulassung noch der Überwachung der Finanzaufsichtsbehörde CSSF. Dadurch kann der RAIF wesentlich schneller aufgelegt werden, denn Investoren brauchen nicht mehr auf eine Genehmigung zu warten. Ein weiterer Vorteil des RAIF ist, dass die (rechtlichen) Kosten für die Gründung des Fonds wesentlich niedriger sind als beim FIS. Das RAIF-Gesetz wurde im Juli 2016 von fast allen Parteien im Parlament angenommen. Nur „déi Lénk“ stimmte dagegen.
Laut Much unterliegt auch die „Société en commandite simple“ (SCS) nicht der Körperschafts- oder Vermögenssteuer und auch die Dividenden sind steuerfrei. Einen Sonderstatus habe die „Société de gestion de patrimoine familial“ (SPF). Diese Gesellschaftsform sei interessant für private Vermögensverwaltung von reichen Personen und investiere in Anleihen und Bonds. Alle Einkünfte seien steuerfrei, Dividenden für nicht-ansässige Personen seien zudem von der Quellensteuer befreit. Noch immer beliebt seien auch die Soparfi („Société de participations financiéres“), mit denen Steuern stark reduziert werden könnten, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit auf das Halten von Beteiligungen reduzieren.
Ein Erfolgsmodell sind laut Much auch die sogenannten Luxemburger Patentboxen, Firmenkonstrukte, in die Unternehmen ihre Patente packen können. Einkünfte könnten von der Steuer abgezogen werden. Bei manchen Firmen ergebe sich dabei ein effektiver Steuersatz von 5 Prozent. „Konzerne verfrachten ihre Patente nach Luxemburg und verlangen teilweise hohe Gebühren von ihren eigenen Tochtergesellschaften, wenn sie diese Patente nutzen wollen. Damit werden die Gewinne der Tochtergesellschaften in Hochsteuerländern niedriger, in Luxemburg, wo sie einem niedrigen Steuersatz unterliegen, aber höher“, erklärt der SZ-Journalist. Diese Regelung laufe zwar 2021 aus, doch die Abzugsfähigkeit von 80 Prozent bleibe bestehen.
Die Frage, ob Luxemburg noch immer eine Steueroase sei, hängt laut Much von der Definition ab. Laut OECD sei eine Steueroase ein Land, in dem keine oder kaum Steuern gezahlt werden. Der britische Journalist Nicholas Shaxson hat Steueroasen aber als Ort definiert, der „Geschäfte anlocken will, indem er eine politisch stabile Infrastruktur zur Verfügung stellt, um Personen oder Firmen dabei zu helfen, sich den Regeln, Gesetzen und Regulierungen anderer Gebietskörperschaften zu entziehen“. Die Organisation „Tax Justice Network“ hat Luxemburg noch im Mai dieses Jahres als eine der aggressivsten Steueroasen der Welt bezeichnet.
Konsequenzen der Steuervermeidung
Doch welche Konsequenzen hat die Steuervermeidung für die Gesellschaft? Der französische Ökonom Lucas Chancel, der vergangene Woche auf Einladung der Arbeitnehmerkammer und des „Mouvement écologique“ einen Vortrag in Luxemburg hielt, stellte einen Zusammenhang zwischen der steigenden sozialen Ungleichheit in Europa und der Steuerflucht her. Zur Bekämpfung der Ungleichheiten (und zur Umsetzung der Energiewende) seien die Staaten auf Steuereinnahmen angewiesen. Vielen europäischen Staaten würden aber Steuereinnahmen verloren gehen, weil seit den 1980er Jahren immer mehr multinationale Konzerne ihre Profite in Oasen versteuern. Untersuchungen würden zeigen, dass die Produktivität in Luxemburg bis zu sieben Mal höher ist als in anderen europäischen Ländern. Der Unternehmensgewinn vor Steuern liege in Luxemburg im Verhältnis zu den Einkommen der Angestellten bei über 250 Prozent. In den meisten anderen EU-Ländern liege dieser Wert unter 50 Prozent. Dabei sei die Produktivität der Luxemburger Firmen nicht größer als die in den Nachbarstaaten. Deutlich höher sei aber die Produktivität ausländischer Unternehmen. Hauptgrund dafür sei, dass viele Konzerne ihre Gewinne, die sie in anderen Ländern erwirtschaften, in Luxemburg günstig versteuern. Seine These belegte Chancel damit, dass das BIP in Luxemburg seit den 1980er Jahren im Vergleich zu den großen Industrienationen unverhältnismäßig stark angestiegen ist. Durch Steueroasen gehen der EU nach eigenen Schätzungen jährlich 50 bis 70 Milliarden an Steuern verloren. Weltweit gibt es rund 60 Offshore-Paradiese, ein Viertel davon liegt in Europa. Laut McKinsey lagerten 2017 10,6 Billionen Dollar von ausländischen Finanzvermögen in Luxemburg.
Luxemburgs Aufstieg zur Finanzgroßmacht begann nach der Stahlkrise 1979, als die CSV wieder an die Macht kam. Luxemburg habe lange Zeit Banken und Fondsgesellschaften hofiert, erläutert Much. Dadurch seien viele Unternehmen nach Luxemburg gekommen, die zwar wenig Steuern zahlen, deren Mitarbeiter und Kunden aber viel Geld lassen für Hotelübernachtungen, Restaurants und andere Dienstleistungen. Im Gegenzug erteilte Luxemburg schnelle Genehmigungen und schaffte eine sehr vorteilhafte Steuergesetzgebung. Diese fiskalischen Konstruktionen waren insbesondere für Konzerne und große Privatvermögen interessant. Bis heute ist Luxemburg in höchstem Maße von diesen Konstruktionen abhängig. Laut einem Länderbericht der EU-Kommission, der sich auf Angaben des Rechnungshofs von 2018 beruft, macht der Finanzsektor in Luxemburg rund 25 Prozent des BIP, 11 Prozent der Beschäftigten und 21 Prozent der Steuereinnahmen aus.
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