Rassismus / Studie will Tausende Menschen in Luxemburg befragen
Wie rassistisch ist Luxemburg? Diese Frage wurde im vergangenen Sommer heiß diskutiert. Die Chamber hat daraufhin eine Studie in Auftrag gegeben. Teil davon soll unter anderem eine groß angelegte Umfrage sein. Bereits Ende 2021 könnte ein Ergebnis vorliegen.
Mehr als zwei Jahre ist es her, dass die Studie „Being Black in the EU“ veröffentlicht wurde. Und sie brachte Unbequemes ans Tageslicht: „Menschen afrikanischer Abstammung“ werden auch hierzulande diskriminiert. Und nicht nur das. Auf die Frage, ob sie in den vergangenen fünf Jahren rassistisch belästigt wurden, antworteten 52 Prozent der in Luxemburg gefragten Menschen mit „Ja“. Das war der zweithöchste Wert der zwölf untersuchten EU-Länder. Nur in Finnland hatten offenbar noch mehr Menschen solche rassistischen Erfahrungen gemacht.
Luxemburg schnitt in der Studie auch bei anderen Indikatoren schlecht ab. Beim Zugang zum Wohnraum etwa oder bei der Arbeitsplatzsuche. Bei rassistisch motivierter Diskriminierung innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten vor der Erhebung nahm das Land sogar die Spitzenposition ein. Gleichzeitig landet Luxemburg beim Bekanntheitsgrad von Gleichstellungsstellen auf dem zweitletzten Platz.
Die große gesellschaftliche Debatte blieb nach dem niederschmetternden Ergebnis in Luxemburg aus. Auch dann, als die Konferenz „Being Black in Luxembourg“ im November des vergangenen Jahres noch einmal Verstörendes ans Tageslicht brachte. Erst, als der Amerikaner George Floyd auf einer Straße in Minneapolis von einem Polizisten umgebracht wurde – und danach eine Protestwelle durch die USA und auch nach Europa schwappte – gelang das Thema wieder auf die Agenda. Im Juli beschloss die Chamber, eine Studie über das Problem erstellen zu lassen.
Überblick über Rassismus in Luxemburg
Inzwischen sind dafür die ersten Pflöcke eingerammt. Das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und das „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ (Cefis) übernehmen die wissenschaftliche Seite, die Abteilung für Integration im Ministerium die politische. „Es geht im Grunde darum, einen Überblick über die verschiedenen Formen von Rassismus in Luxemburg zu bekommen“, erklärt Jacques Brosius, Leiter der Abteilung für Integration im Cahen-Ministerium, im Gespräch mit dem Tageblatt. „Wie empfinden die Menschen die Situation? Welche Instrumente haben wir, um dem Problem zu begegnen? Und dann schauen wir, was man verbessern kann.“ Rund 100.000 Euro wird die Untersuchung kosten.
Die Studie werde in drei Etappen ablaufen, sagt Brosius. Die erste werde dazu genutzt, einen Überblick zu bekommen. Wie sieht der rechtliche Rahmen in Luxemburg in Sachen Diskriminierung aus? Welche Instrumente gibt es, um Rassismus zu bekämpfen? Und wie hat sich beides im Laufe der Zeit entwickelt? Die Recherchearbeit wird dabei vom Cefis geleistet.
3 Fragen an …
… Frédéric Docquier*, Leiter der quantitativen Studie beim Liser.
Die Ergebnisse der Rassismus Studie sollen schon Ende 2021 präsentiert werden. Reicht diese Zeit für so ein wichtiges Thema?
Wir fangen nicht bei null an. Es gibt bereits verschiedene Umfragen zum selben Thema in Frankreich und anderen europäischen Regionen. Natürlich müssen die Fragen an die Situation in Luxemburg angepasst werden. Dass es eine Online Umfrage ist, erleichtert zudem den Ablauf.
Was ist das wissenschaftliche Ziel der Studie?
Herauszufinden, wie Menschen Rassismus und Diskriminierung in Luxemburg wahrnehmen, wer darunter leidet und in welchen Sphären der Gesellschaft es am weitesten verbreitet ist. Eine Umfrage wie diese kann nur die individuelle und kollektive Wahrnehmung zeigen. Die Bewertung diskriminierender Praktiken erfordert ein eher experimentelles Forschungsdesign. Die Umfrage wird Aufschluss darüber geben, wo zukünftige Bemühungen von Forschung und Politik ansetzen sollten.
Wer wird gefragt?
Wir wollen, dass die Umfrage repräsentativ ist – nicht nur für die Luxemburger Bevölkerung, sondern auch für die Minderheiten, die dem Risiko ausgesetzt sind, Rassismus und Diskriminierung zu erleben. Wir werden zwischen 12.000 und 18.000 Menschen dazu einladen, teilzunehmen.
*) Frédéric Docquier ist Ökonom und leitet das Forschungsprogramn „Crossing Border“ am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser).
Auch Etappe zwei wird vom Cefis organisiert. Sie umfasst den qualitativen Teil der Studie und wird im Januar und Februar des kommenden Jahres laufen. „Es werden Einzelgespräche mit verschiedenen Akteuren geführt, die gegen Rassismus kämpfen“, sagt Brosius. Das können auch offizielle Institutionen oder Vereine sein. „Es geht darum, zu schauen, welche Akteure es gibt – und mit ihnen zu sehen, welche Formen von Rassismus ihnen im Alltag begegnen oder welche ihnen berichtet werden.“ Mit der qualitativen Studie soll ein Überblick darüber gewonnen werden, welche Formen von Rassismus im Luxemburger Alltag bestehen. In diesem Zuge würden auch Fokusgruppen zusammengestellt werden, bei denen Menschen zusammengebracht werden, um über verschiedene Aspekte zu reden – und, um Empfehlungen für Verbesserungen zu bekommen. Bereits im zweiten Halbjahr des kommenden Jahres könnte das „ein oder andere Resultat“ der qualitativen Studie präsentiert werden, sagt Brosius.
„Haben Sie rassistisches Verhalten erlebt?“
In der dritten Etappe, dem quantitativen Teil, kommt das Liser mit einer groß angelegten Umfrage zum Zuge. „Wir machen eine Umfrage bei den Menschen hier in Luxemburg“, sagt Brosius. Dabei würden nicht nur Personen mit Migrationshintergrund befragt. Und es werden nicht nur Fragen gestellt, ob die Menschen bereits rassistisches Verhalten erlebt haben – sondern auch, ob ihnen bewusst ist, dass es so etwas gibt. Die dritte Phase soll auf der zweiten aufbauen und unterschiedliche Aspekte abdecken: Arbeitswelt, Schule, Wohnungssuche. „Wir versuchen mit dem Liser, die Fragen so aufzustellen, dass man so breit wie möglich sieht, wo die Probleme sein könnten“, sagt Brosius. „Und auch da geht es darum, zu schauen, welche Empfehlungen die Menschen selbst machen, welche Instrumente fehlen oder ob die Instrumente, die es gibt, gut funktionieren.“
Die Teilnehmer der Studie werden nach einer repräsentativen Stichprobe aus Menschen, die in Luxemburg wohnen, aufgestellt. Um unterschiedliche Gruppen trennen zu können, werden auch Informationen über das Herkunftsland oder sogar das der Eltern abgefragt. Brosius schätzt, dass ein paar Tausend potenzielle Teilnehmer angeschrieben werden. Nicht nur wegen der Corona Krise sollen sie den Fragebogen online ausfüllen. „Es ergibt auch von der Methodologie her Sinn, kein face-à-face zu machen“, sagt Brosius. „Bei Papier und Internet fühlen sich die Menschen freier, zu antworten.“ Grenzgänger sind erst einmal nicht gefragt, das komme möglicherweise in einer anderen Etappe, ergänzt Brosius.
Der Fragebogen, der mehrsprachig ausgeführt sein soll, soll Anfang des kommenden Jahres fertig sein. Einige Wochen haben die Teilnehmer dann Zeit, die Fragen online zu beantworten. Die eigentliche Auswertung wird dann Monate in Anspruch nehmen. Ende des Jahres soll dann der abschließende Bericht veröffentlicht werden, der nicht nur die Beobachtungen umfasst, die Liser und Cefis gemacht haben, sondern auch Empfehlungen dafür, wie es weitergehen soll.
Die Rassismus-Studie könnte eine erste in einer Reihe von Studien sein. „Mit einer ersten können wir nicht alles abdecken“, sagt Brosius. „Wir versuchen, einen Überblick über die Situation zu bekommen, und dann werden Bereiche identifiziert, in denen es notwendig ist, mehr ins Detail zu gehen.“ Dann sei es eventuell nötig, eine zweite oder dritte Studie zu machen, um mehr in die Tiefe zu gehen.
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