Lust zu lesen / Vom Ende der Abhängigkeit: Ronnie Spectors „Be My Baby“
Anfang der 1960er Jahre feierte sie mit der Girlgroup The Ronettes Welterfolge, dann verwandelte sich ihr Leben in einen einzigen Alptraum. Thomas Koppenhagen über die endlich in deutscher Übersetzung erschienenen Lebenserinnerungen der Ronnie Spector.
Geboren wurde Veronica Yvette Bennett 1943 im Schmelztiegel New York. In der „Nachbarschaft mit chinesischen Wäschereien, spanischen Restaurants und von Schwarzen geführten Lebensmittelgeschäften“ entwickelte sich dieses als „Mischling“ beschimpfte Mädchen nach eigenen Worten zu einer „Prinzessin“, die von Starruhm im Showgeschäft träumte. Mit ihrer Schwester Estelle und ihrer Cousine Nedra gründet sie ein Gesangstrio – Girlgroups wie die Shirelles oder die Chiffons waren gerade groß in Mode. Die auffallend hübsche Veronica zeigte Trouper-Qualitäten, instinktiv konnte sie auf der Bühne das Publikum an sich binden und mitreißen.
Ronnie, wie Veronica von Familie und Freunden seit ihrer Kindheit genannt wurde, setzte sich mehr und mehr als Leadsängerin durch, weshalb die Vokalgruppe schließlich in The Ronettes umbenannt wurde. Der erste Plattenvertrag folgte zügig, mit dem Wechsel zum Label Philles Records des seinerzeit als Wunderkind gefeierten Produzenten Phil Spector setzte dann auch der Erfolg der Ronettes als Schallplattenstars ein. 1963 hatten sie mit „Be My Baby“ einen Welthit. Um sich von der zumeist adrett auftretenden Konkurrenz abzusetzen, pflegten sie mit turmhoch auftoupierten Haaren und Lederstiefeln mit Stilettoabsätzen ein Bad Girl Image. Tourneen mit den Rolling Stones und Auftritte mit den Beatles taten ihr Übriges, um die Ronettes auch in der stürmischen Zeit der sogenannten „British Invasion“ im Geschäft zu halten. Doch dann lief etwas aus dem Ruder.
Ronnie hatte sich in den Produzenten Phil Spector verliebt. Je mehr sie sich auf die Affäre einließ, desto mehr geriet ihre Gesangskarriere ins Trudeln. Spector schien bereits zu Beginn der Beziehung rasend eifersüchtig gewesen zu sein. Glaubt man ihren Erinnerungen, waren seine Verdächtigungen völlig unbegründet. Die Prinzessin aus Spanish Harlem, die entgegen ihres Bad-Girl-Outfits kein Wässerchen trüben konnte, fand ihren Lover und seine Schrullen einfach „süß“ und will nicht einmal gewusst haben, dass Spector längst verheiratet war. Nach der Scheidung ehelichte er seine Geliebte und begann Ronnies Entfremdung von den übrigen Ronettes systematisch auf alle Lebensbereiche auszuweiten. Ganz für sich wollte er sie haben – aus Liebe, wie Ronnie Spector lange glaubte. Mitte der 1960er Jahre geriet Phil Spectors Hitmaschinerie ins Stottern. Und nach dem relativen Misserfolg der „River Deep, Mountain High“-Single von Ike & Tina Turner zog sich der Maestro beleidigt ins Privatleben zurück.
Über Jahre lebte Ronnie an seiner Seite wie eine Gefangene in Hollywood. Ihr Kindheitstraum vom Starruhm hatte sich auf eine Weise erfüllt, die – und das ist das Bemerkenswerte an Ronnie Spectors Lebenserinnerungen –, geradezu exemplarisch nachzeichnet, wie Besitzdenken alles Liebenswerte in Beziehungen zunichtemacht. Irgendwann konnte sich Ronnie Spector befreien, buchstäblich. Barfuß, mithilfe ihrer Mutter und ohne einen Dollar in der Tasche, gelang die Flucht. Jahrzehnte sollte Phil Spector sie mit seinem Rachedurst verfolgen. Und in dieser Zeit, so schreibt Ronnie Spector in ihrer Biografie „Be My Baby: Mein Leben“ lernte sie ihr traumwandlerisches Prinzessinnen-Dasein in eine menschliche Existenz zu transformieren. Eine große Lebensleistung. Im Januar vergangenen Jahres erlag Ronnie Spector einem Krebsleiden. Beinahe exakt zwölf Monate davor war ihr Ex-Mann an einer Corona-Infektion verstorben, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte, wo er wegen der sadistischen Tötung der Schauspielerin Lana Clarkson eine langjährige Haftstrafe verbüßte.
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