„Das Gemüse in die Mitte des Tellers rücken“ / „We’re Smart World“: Wie eine Plattform sich für bunten Genuss einsetzt
Bevor Frank Fol Botschafter einer neuen Küche wurde, in deren Zentrum Gemüse und Obst stehen, genoss er eine klassische Ausbildung und kochte in renommierten Häusern. Doch eine Reise nach Thailand öffnete dem Sterne-Koch die Augen. Er kehrte der konventionellen Gastronomie den Rücken und stand fortan für seine Vision einer Ernährung auf pflanzlicher Basis ein, die Fleisch zum Beiwerk macht. Daisy Schengen traf den Meisterkoch Mitte September in Luxemburg.
Tageblatt: Herr Fol, wann haben Sie entschieden, „We’re Smart World“ zu gründen?
Frank Fol: Die Geschichte beginnt vor mehr als 30 Jahren, als ich damals noch in meinem Restaurant im belgischen Löwen kochte. Ein Besuch in Thailand öffnete mir die Augen: Ich lernte, dass eine Gemüse-Küche, bei der frisches Gemüse den Ton angibt, wo Gewürze eine Rolle spielen, wo das Gericht eine Struktur hat, mit wenig Soße und Fett, sehr viel kreativer sein kann. Ich fand damals, dass wir Gemüse nicht genug in den Vordergrund stellten. Zu dieser Zeit blieb das Gemüse in belgischen Restaurants am Tellerrand als Dekoration links liegen. Denn egal, ob zu Fisch oder Fleisch, es war immer dieselbe Garnitur. Und es war eine Garnitur, die zum Wegwerfen bestimmt war, denn man aß das Gemüse nicht. Ich verstand diese Art des Speisens nicht. Belgien hat wunderbare Lebensmittel und wir machten nichts daraus. Also beschloss ich diese Philosophie umzukrempeln und das Gemüse in die Mitte des Tellers zu rücken. Wir fingen an, Speisen zu kreieren, ausgehend vom Gemüse. Das ist der Sinn hinter dem Motto „Denken Sie Gemüse, denken Sie Obst!“.
Wie setzen Sie die Philosophie „Denken Sie Gemüse, denken Sie Obst!“ konkret um?
Zunächst wählen wir das Gemüse aus, dann die Zubereitungstechnik. Es gibt 51 Arten, Gemüse zuzubereiten. Im dritten Schritt entscheiden wir, ob das Gericht vegetarisch bleibt oder ob wir Fisch oder Fleisch dazu kombinieren.
An welchem Ort haben Sie diese Ideen verwirklichen können?
Wir haben das Restaurant „Sire Pynnock“ in Löwen ins Leben gerufen. Es war eine echte Revolution. Die Menschen dachten, dass wir nur vegetarische Gerichte anbieten, aber wir haben das Gemüse in den Vordergrund gerückt und ihm die Bedeutung zugeschrieben, die es verdiente, und ihm Fleisch oder Fisch zur Seite gestellt. Später hatte ich eine Fernsehsendung in Belgien, wo ich diese Ideen vermittelt habe. Daraus wurde die Bezeichnung „Chef des légumes“ geboren.
2005 verkauften Sie Ihr inzwischen Sterne-ausgezeichnetes Restaurant und fingen wieder von null an. Waren Sie nicht mehr von Ihrer Gemüseküche überzeugt?
Für mich stand schon immer fest, dass ich mit meiner Frau, die nicht aus diesem Metier kommt, das Restaurant nur eine Zeit lang führen würde. Wir verkauften, als wir in den Top 20 in Belgien waren und als „Restaurant du futur“ ausgezeichnet wurden. Doch ich kam mir vor, als ob ich der Einzige wäre, der diese Botschaften an die Menschen senden würde. Ich fragte mich, was kann ich machen, um mehr Menschen mit der Philosophie einer pflanzenbasierten Küche zu erreichen? Also gründete ich 2009 den Wettbewerb „Bestes Gemüserestaurant in Benelux“, fokussierte mich auf die Promotion und Beratung von Restaurants, von Landwirten, von Supermärkten. Jährlich wurde ein neuer Gewinner gekrönt, die Botschafter der Gemüseküche wurden immer mehr. Als wir irgendwann 50 Botschafter im Benelux-Raum waren, fand ich es sehr schade, dass das kaum einer wusste.
Haben Sie Ihre Entscheidung bereut, ein florierendes Restaurant zu verkaufen, um Ihrer Philosophie zu frönen?
Nein. Wir, die Chefs und ich, sind glücklich, dass wir damit ein wenig die Welt verändern konnten. Es ist ganz einfach: Wenn wir sagen würden, man müsse mehr Gemüse essen, würde nichts passieren. Aber wenn die Menschen die Gerichte unserer Chefs kosten und neue Geschmäcker entdecken, klappt es von allein. Sie werden vom Geschmack der Pflanzen überzeugt, die vergessen wurden oder von denen sie gar nicht wussten, dass sie überhaupt essbar sind.
Die Geburtsstunde des „We’re Smart Green Guide“ war also gekommen …
Ja, der „Guide“ war geboren. Gleichzeitig verließen wir den Benelux-Raum und breiteten uns in ganz Europa aus. Inzwischen wachsen wir sehr schnell. Wir haben „Inspektoren“ in verschiedenen Ländern, die uns mit Informationen über die neuesten Restaurants mit Gemüseküche versorgen. Das sind Journalisten, Kontakte aus der Gastronomiebranche, Geschäftsleute, die gerne gut essen gehen. Derzeit liegen wir bei rund 1.000 Restaurants in 46 Ländern, die wir auflisten.
Wie entscheidet sich, wer in den Gastronomieführer aufgenommen wird?
Es gibt drei Wege, um ins „We’re Smart Green Guide“ aufgenommen zu werden: Durch eine Empfehlung der Inspektoren, durch Menschen, die uns schreiben und von einem Restaurant erzählen, oder wenn die Chefs selbst uns kontaktieren und von ihrer Arbeit berichten. Fast jede Woche erreicht uns eine Mail von Chefs, die in den Guide aufgenommen werden möchten. Eine Vorauswahl treffen wir anhand der Präsentation auf den sozialen Netzwerken, beim Blick in die Karte online. Ein Bild auf Instagram, das Menü auf der Webseite verraten dem geschulten Auge viele Informationen, ob der Inhalt des Anschreibens stimmt oder nicht. Die Anwärter, bei denen wir uns sicher sind, dass sie in den „Green Guide“ passen, besuchen wir vor Ort. In 99 Prozent der Fälle haben wir dann die richtigen Restaurants gefunden.
Welche Vorteile bringt einem Restaurantchef die Aufnahme in den „Green Guide“?
Zum einen interessieren sich mehr Gäste für pflanzenbasierte Gerichte. Laut Küchenchef Xavier Pellicer, der ein Restaurant im spanischen Barcelona betreibt, stieg die Nachfrage nach pflanzlichen Menüs bei ihm um bis zu 40 Prozent an. Auch in Luxemburg, bei René Mathieu, dem Gewinner der „We’re Smart Awards“ 2020 und 2021, sind Restaurant und Brasserie ausgebucht. René Mathieu entschied sich im vergangenen Jahr zum großen Schritt, kein Fisch und Fleisch mehr in der „Distillerie“ in Burglinster anzubieten. Meiner Meinung nach zeigen diese Beispiele, dass die Zukunft mehr Gemüse bedeutet. Ich sage nicht, dass es immer und zu hundert Prozent Gemüse sein muss. Aber für uns, im Sinne unserer Philosophie, begleiten Fisch und Fleisch das Gemüse und das Obst, die im Zentrum des Tellers stehen. Gemüse und Obst stehen nicht mehr nur am Rand.
Andere Restaurantführer benutzen Sterne oder Hauben für ihre Auszeichnungen. Welche Symbole zeichnen besonders kreative Köpfe und Gastronomiekonzepte aus, die Gemüse in den Mittelpunkt stellen?
Unsere Auszeichnungen sind eins bis fünf Radieschen. Damit bewerten wir Restaurants, die auf einem hohen kulinarischen Niveau arbeiten. Außerdem haben wir ganz neu das Radieschenblatt als Symbol kreiert. Es steht für einfachere Konzepte, die sich dieser Philosophie verpflichten, jedoch nicht gastronomisch arbeiten – wie beispielsweise die Restaurantkette EXKi, die es auch in Luxemburg gibt.
Mit Ihrer Philosophie streben Sie nicht weniger als einen Mentalitätswandel an – in den Köpfen der Chefs und ihrer Gäste. Welche Botschaft möchten Sie an dieser Stelle an sie richten?
Die erste richtet sich an die Chefs, die diesen Schritt in ihren Restaurants gehen wollen – sie sollten nicht mehr von vegetarischer und veganer Küche sprechen. Sondern vielmehr von einer Küche rund um das Gemüse. Es handelt sich dabei um zwei verschiedene Dinge. Viele Kunden, die ins Restaurant kommen, denken dabei: „Ich bin kein Vegetarier und auch kein Veganer.“ Aber ein kreatives Menü auf pflanzlicher Basis vermittelt ihnen eine ganz andere Botschaft. Die Gäste der „Distillerie“ beispielsweise sind nicht unbedingt Veganer, sie möchten aber gut essen, auf einem hohen gastronomischen Niveau auf pflanzlicher Basis. Einmal diese Erfahrung gemacht, dass kreative Küche auch ohne Fisch und Fleisch gelingen kann, und die Welt ändert sich.
An welche Veränderungen denken Sie konkret?
Die Produkte im Supermarkt sind immer verfügbar. Wir haben verlernt, welches Obst und Gemüse wann Saison hat. Man muss sie dann essen, wenn sie uns die Natur in Hülle und Fülle anbietet, und nicht beispielsweise im Dezember zu Erdbeeren greifen. Viele der „We’re Smart Green Guide“-Chefs haben ihren eigenen Garten und sind sehr naturverbunden. Wenn man diesen Weg schon beschritten hat, ist es nicht schwer, sich umzustellen. Die Natur hilft einem dabei.
Glauben Sie, die Menschen sollten ausgebildet werden, sich mehr der pflanzlichen Küche zu widmen?
Ausbilden ist ein schwieriger Begriff. Aber letztendlich geht es genau darum, Erfahrungen zu sammeln. Als ich Kochshows im Fernsehen machte, kamen vor den Sendungen viele Menschen zu mir und sagten, sie würden ihren Lebensstil nicht verändern, sie würden weiterhin Fleisch essen. Aber als sie nachher die Gerichte kosteten, kam der Aha-Moment. Sie hätten nicht gewusst, wie gut Gemüse schmecken kann. Und das ist das Schöne auch für uns: dass auch die Menschen, die am stärksten von der pflanzlichen Küche Abstand halten, irgendwann überzeugt sind.
„We’re Smart World“
Hinter dem Portal und Unternehmen „We’re Smart World“ steht der belgische Sternekoch Frank Fol. Seine Philosophie „Denken Sie Gemüse, denken Sie Obst“ steht als Grundlage dieser Plattform zu mehr Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung und Küche. Das Angebot und das Fachwissen auf und hinter der Plattform richten sich sowohl an Endverbraucher als an Fachleute aus dem Lebensmittelbereich.
Im Rahmen von „We’re Smart World“ werden auch die sogenannten „We’re Smart Awards“ vergeben. Am 20. September fand die feierliche Preisverleihung in Luxemburg statt. Zum zweiten Mal in Folge konnte sich Sternekoch René Mathieu (Restaurant „La Distillerie, Schloss Burglinster“) die Auszeichnung als „Bester Chef“ weltweit sichern.
Die Awards werden jährlich nach strengen Kriterien vergeben. Ein Expertenteam besucht nach eigenen Angaben „Hunderte von Restaurants“ und „bewertet die Restaurants danach, ob ihre Speisekarte zu mindestens zwei Dritteln aus Obst und Gemüse besteht, aber auch nach Kriterien wie kulinarische Kreativität, ökologischer Fußabdruck und gesellschaftlicher Impakt“. Die besten pflanzenbasierten Küchen werden mit 1 bis 5 Radieschen ausgezeichnet. Für aufstrebende Chefs werden Radieschenblätter vergeben.
Am 20. September ging außerdem die Ausgabe des „We’re Smart Green Guide 2021“ an den Start. Darin fließen die Bewertungen des Expertenteams ein und bieten einen Überblick über die vielversprechendsten Gemüserestaurants weltweit.
Mehr Infos sowie den „We’re Smart Green Guide“ finden Sie unter:
weresmartworld.com.
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