Flüchtlingsteam / „A team like no other“ und ein Luxemburger mittendrin
Es sind die besonderen Geschichten der Olympischen Spiele: 2015 flüchtete Ibrahim Aljaloud aus Syrien, kam über Griechenland nach Luxemburg und war nun in Paris als Physiotherapeut beim Flüchtlingsteam dabei.
Es ist eine der besonderen Geschichten, die die Olympischen Spiele ausmachen und bei denen es längst nicht mehr um Gold, Silber oder Bronze geht. Hätte man Ibrahim Aljaloud vor einem Jahr gesagt, dass er im Sommer 2024 seinen eigenen olympischen Traum leben würde, dann hätte der Physiotherapeut es sicherlich nicht geglaubt.
Um die ganze Geschichte zu verstehen, fängt man jedoch am besten im Jahr 2015 an. Denn Aljaloud kommt gebürtig aus Syrien und entschied sich in jenem Jahr dazu, seine kriegsgebeutelte Heimat zu verlassen. Keine einfache Entscheidung, hat er immerhin eine große Familie, nicht zuletzt seine Eltern und neun Geschwister, zurückgelassen. Nach einer ersten Station in Griechenland kam er vor acht Jahren über ein UN-Flüchtlingsprogramm nach Luxemburg. Hier begann der Syrer ein Studium an der Lunex-Universität und erhielt 2021 sein Diplom als Physiotherapeut, fing schließlich im Service von Zitha-Aktiv an, zu arbeiten.
In meinem Leben habe ich es nicht gewagt, davon zu träumen, irgendwann bei Olympischen Spielen dabei sein zu können
Zusage im März
Olympia, das war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in irgendeiner Form in den Gedanken von Aljaloud präsent. Erst als ein Professor der Lunex ihn kontaktierte, änderte sich dies abrupt: „Er hatte Kontakt mit jemandem vom IOC und erfuhr, dass sie nach Physiotherapeuten suchen, die einen Flüchtlingshintergrund haben“, erzählt er beim Gespräch mit dem Tageblatt in Paris. Die Idee war es, jemanden zu finden, der die gleichen Erfahrungen wie die Athleten gemacht hat, um in Paris in der Flüchtlingsmannschaft anzutreten und das Team im Sommer 2024 in der französischen Hauptstadt zu betreuen. „Ich habe meinen Lebenslauf reingeschickt und hatte danach ein Gespräch mit der Missionschefin des Flüchtlingsteams.“ Im März erhielt Aljaloud schließlich die Zusage und war völlig überrascht. „In meinem Leben habe ich es nicht gewagt, davon zu träumen, irgendwann bei Olympischen Spielen dabei sein zu können. Für mich war das wirklich ein überwältigendes Gefühl.“
Bereits anderthalb Wochen vor der Eröffnungsfeier, am 15. Juli, ging es für den Physiotherapeuten los, jedoch nicht nach Paris, sondern erst einmal nach Bayeux: „Hier hatten wir drei Tage Teambuilding, weil es die einzige Möglichkeit war, die gesamte Mannschaft überhaupt irgendwie im Vorfeld zu sehen. Der erste Tag war dann auch gleich ein richtig voller Arbeitstag“, erklärt Aljaloud. „Die Athleten kamen zum Teil von weit her, waren müde. Gleich am nächsten Tag hatten sie dann Training. Wir waren schon sehr beschäftigt an diesen ersten Tagen.“ Als das Olympische Dorf dann drei Tage später offiziell eröffnet wurde, ging es weiter nach Paris.
Drei Wochen verbrachte der Physiotherapeut während der Sommerspiele mit dem Team, auf das bei Olympia auch immer besonders viele Augen gerichtet sind. Am vergangenen Freitag ging es dann allerdings zurück nach Luxemburg. „Die Zusage kam ein wenig spät und dann ist es mit den Urlaubstagen, die man noch hat, nicht so einfach. Sie hätten natürlich gerne gehabt, dass ich bis zum Schluss bleibe“, erklärt der Physiotherapeut mit leichtem Bedauern, betont aber gleichzeitig, dass seine Direktorin ihm sehr entgegengekommen ist und sie einen Weg gefunden hätten, damit es wenigstens für drei Wochen klappt.
Sehr beliebt
Haupteinsatzort von Ibrahim Aljaloud war in den letzten drei Wochen vor allem das Olympische Dorf. 37 Athleten zählt diesmal das Flüchtlingsteam, das erstmals 2016 in Rio de Janeiro als solche Delegation bei Olympia dabei war. „Ich war dann noch vor Ort dabei beim Kanu, Boxen und Schwimmen, das war wirklich eine richtig tolle Erfahrung, besonders wenn die Tribünen voll sind.“ Das medizinische Team besteht neben Aljaloud noch aus zwei weiteren Physios und einem Arzt, die alle aus der Schweiz kommen. Wegen seiner eigenen Geschichte war der Luxemburger mit syrischen Wurzeln bei den Athleten sehr beliebt. „Im Team gibt es fünf Syrer, auch einige Iraner und Afghanen. Da die Kultur fast ähnlich ist, war es mit ihnen sofort sehr einfach – auch sprachlich waren vor allem die Syrer froh, dass jemand da ist, der sie auch versteht. Das ist noch einmal etwas ganz anderes.“ Die Tage in Paris waren für Aljaloud auf alle Fälle ganz besondere und so würde er es sicherlich nicht ablehnen, wenn er auch in vier Jahren in Los Angeles dabei sein könnte.
Wenn man hart arbeitet, dann kann so etwas auch in Erfüllung gehen
Inzwischen ist er wieder zurück im Großherzogtum, das für ihn ein zweites Zuhause geworden ist. Ibrahim Aljaloud besitzt nämlich nicht nur die luxemburgische Staatsbürgerschaft, sondern spricht auch fließend die Landessprache und ist zudem mit einer Luxemburgerin verheiratet. „Zuerst habe ich mit Französisch begonnen, doch für mich war es wichtig, auch die Hauptsprache des Landes zu lernen. Mir war klar, ich möchte da bleiben, ich will hier arbeiten, dann will ich die Menschen auch verstehen. Ich glaube, das ist auch für die Patienten sehr wichtig.“ Für Ibrahim Aljaloud ist klar: Wenn er noch einmal die Wahl hätte, würde er sich immer wieder für das Großherzogtum entscheiden, obwohl er vor acht Jahren nichts über das Land wusste.
Ein neues Zuhause
Seine Familie, die aus dem Osten des Landes, nahe der irakischen Grenze, stammt, ist heute in viele Richtungen verstreut: Ein Bruder lebt seit zwei Jahren bei Ibrahim Aljaloud in Luxemburg, seine drei Schwestern sind verheiratet und leben weiterhin in Syrien. Die Eltern und weitere Geschwister haben es bis in die Türkei geschafft, wo sie zwar in Sicherheit vor dem Krieg sind, aber immer mehr Anfeindungen ausgesetzt sind. Die Stimmung gegen Syrer hat sich im Nachbarland nämlich weiter verschlechtert, wie der Physio betont. „Vor einigen Wochen gab es Demonstrationen gegen Syrer, das ist nicht einfach.“ Dass er jedoch ein Teil der Olympischen Spiele sein durfte, ein Zeichen für Frieden und Verständnis zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen setzen konnte, macht die gesamte Familie stolz.
„A team like no other“, wie der Physiotherapeut es beschreibt, der sich darüber freut, dass all diese Athleten die Chance bekommen, sich bei Olympia zu zeigen. „Wenn man hart arbeitet, dann kann so etwas auch in Erfüllung gehen.“ Das beste Beispiel ist Aljaloud dabei selbst.
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