Schulsport / Am Anfang war der Purzelbaum …: Wie sich die Lage über die Jahre weiter zuspitzt
Es steht nicht gut um den Schulsport in Luxemburg. Neben der fehlenden Lobby wird mit einem schlechten Image gekämpft. Die Vereinigung der Sportlehrer hat vor kurzem mit einem offenen Brief auf die aktuelle Situation aufmerksam gemacht. Eine Situation, an der sich seit Jahren nichts grundlegend verbessert hat, ganz im Gegenteil.
Mittlerweile ist es zu einem Moment geworden, in dem Claude Schumacher den Atem anhält. Der Sportlehrer lässt seine „Septième“-Schüler rückwärts laufen. Was simpel klingt, ist es für viele Schüler anscheinend nicht mehr. „Vor 15 Jahren mussten wir feststellen, dass die Jugendlichen keinen Purzelbaum mehr hinbekommen, vor zehn Jahren konnten viele nicht mehr im Seil springen und heute stellt einfaches Rückwärtslaufen viele vor Probleme“, sagt Schumacher. Es ist eine Entwicklung, die den Sportlehrern seit Jahren Sorgen bereitet und auf die sie immer wieder hinweisen, ohne dass sich etwas ändert. Im Gegenteil, die Lage spitzt sich eher noch zu.
Das hat die Vereinigung der Sportlehrer (APEP), deren Präsident Schumacher ist, dazu veranlasst, einen offenen Brief an Bildungsminister Claude Meisch und Sportminister Dan Kersch zu schreiben, in dem sie das schlechte Image und die fehlende Lobby des Schulsports kritisiert. „Jeder Politiker betont die Wichtigkeit des Sports und der Bewegung, bis es darum geht, wichtige Entscheidungen für die Förderung des Sports und der Bewegungserziehung zu treffen“, beklagt Schumacher. Die körperliche Betätigung müsse aus gesundheitlichen Gründen tief in der Gesellschaft verankert sein. Um das hinzubekommen, brauche es einen hochwertigen Sportunterricht in den Schulen, da man nur dort die gesamte Bevölkerung erreiche. Hier könne die Grundlage für ein gesellschaftliches Umdenken geschaffen werden. Außerdem würde sportliche Aktivität die Lernkompetenz erhöhen.
Fehlende Basics
Als Beispiel können die skandinavischen Länder dienen, in denen Bewegung für den Großteil der Bevölkerung zum Alltag gehört. Dort hat auch der Schulsport einen wesentlich höheren Stellenwert als in Luxemburg.
Wie es um den Stellenwert des Sportunterrichts gestellt ist, hat die Corona-Pandemie noch einmal verdeutlicht. Nach dem ersten Lockdown wurde der Sportunterricht bis zum Sommer gestrichen und so in Kauf genommen, dass einige Jugendliche sechs Monate ohne sportliche Aktivität auskommen mussten. Dass professionelle Unterstützung auch beim Sport notwendig ist, zeigt das Beispiel vom Rückwärtslaufen. „Der Sportunterricht hat sich in den vergangenen Jahren extrem verändert“, sagt Schumacher. Das liegt zum einen an den Fähigkeiten der Schüler, so müsse man auch im Gymnasium noch an den Basics arbeiten, da die motorischen Fähigkeiten der Schüler oftmals zu wünschen übrig lassen würden. Zum anderen liegt es aber auch am Lehrplan.
Die Zeiten, in denen der Sportunterricht daraus bestand, zwei Teams zu bilden und einen Ball in die Halle zu werfen, sind längst vorbei. „Das ist aber noch genau das Bild, was viele Leute, deren Schulzeit lange Jahre zurückliegt, vom Sportunterricht haben und was ein Grund für das schlechte Image ist“, so der APEP-Präsident. Es gehe im Sportunterricht nicht mehr darum, den Schülern die Regeln und Techniken verschiedener Sportarten zu erklären, sondern vielmehr darum, ihnen die große Vielfalt der Bewegungsmöglichkeiten zu vermitteln. „Wir wollen ihnen Grundlagen mit auf den Weg geben, wie sie sich selbst fit und gesund halten können.“
Das ist aber mit zwei beziehungsweise nur einer Stunde Sport pro Woche schwer umsetzbar. Lediglich auf „Septième“ haben die Schüler drei Stunden Sport auf dem Wochenplan, wobei dieser nicht immer eingehalten wird. Womit wir wieder bei der fehlenden Lobby wären. Im „Lycée technique de Bonnevoie“ habe man zum Beispiel eine Sportstunde für eine Informatikstunde geopfert. Dabei geht es nicht darum, dass Informatik nicht wichtig wäre, aber für Schumacher zeigt dieses Beispiel einmal mehr, welche Wichtigkeit dem Sport beigemessen wird. „Beim LTB kommt noch hinzu, dass sie so ihren Platzmangel in der Sporthalle etwas beheben können.“
Platz und Zeit
Platz und Zeit sind für Schumacher ohnehin die entscheidenden Faktoren, um auf lange Sicht im Schulsport etwas bewegen zu können. „Eine zusätzliche Stunde pro Woche würde mittelfristig helfen. Langfristig brauchen wir aber zudem die nötige Infrastruktur.“ Sporthallen würden bei ihrer Einweihung oftmals riesig wirken, da sie zu dem Moment leer seien. „Wenn sich dann aber 80 Schüler in der Halle tummeln und man mit 27 von ihnen auf einem Drittel der Halle arbeiten muss, ist man extrem begrenzt“, gibt Schumacher zu bedenken. Es sei wichtig, bei der Planung an die spezifischen Bedürfnisse des Schulsports zu denken, dazu gehören auch ausreichend Umkleidekabinen. Aus diesem Grund besteht die Vereinigung der Sportlehrer darauf, dass das Amt des „Commissaire du gouvernement à l’Education physique et aux Sports“ in Zukunft von einem ausgebildeten Sportlehrer ausgeübt wird. Der Regierungskommissar wurde bislang nämlich in Planungen von Sporthallen einbezogen. Ein Gesetzentwurf, der unter anderem die Nominierungskriterien für den Posten des Regierungskommissars im Sportministerium sowie sein Aufgabenfeld reformieren soll, stößt derzeit auf Kritik. Auch die Sportlehrer haben diesbezüglich eine Resolution verabschiedet, in der sie sämtliche Akteure der Sportbewegung dazu aufrufen, sich gegen den Gesetzentwurf zu stellen.
Für Schumacher ist es wichtig, dass auch in Zukunft die Kompetenzen der Bewegungserziehung auf höchster Ebene im Sportministerium garantiert sind. Der Regierungskommissar ist für die Sportlehrer bislang eine wichtige Schlüsselstelle gewesen. „Er war immer ein wichtiger Akteur im Austausch mit dem Bildungsministerium und kannte als Sportlehrer die vielen Facetten des Sports, von der Bewegungserziehung über den Gesundheits- und Breitensport bis hin zum Leistungssport.“ Die APEP hat Angst, einen wichtigen Fürsprecher zu verlieren, womit die Lobby des Schulsports noch weiter abnehmen würde. Eine Antwort auf ihren offenen Brief haben die Sportlehrer übrigens noch nicht bekommen. „Ich rechne nicht einmal mit einer Empfangsbestätigung“, sagt Schumacher.
- Wie der Ochse vorm Weinberg: Die Tageblatt-Redaktion versucht sich als Winzer - 20. November 2024.
- Auf der Suche nach besseren Zeiten - 9. November 2024.
- Wie die Lokaljournalisten Kayla und Micah gegen die Polarisierung ankämpfen - 3. November 2024.
Fettleibigkeit und Bewegungsmangel beginnen bereits in der Kindheit. Wehret den Anfängen!
Seit Jahrzehnten wird der Schulsport auf allen Schulebenen sträflich vernachlässigt. Neben fehlenden Infrastrukturen gibt es kaum ausgebildetes Personal um gerade den heranwachsenden Kindern (bis 12 Jahre) einen korrekten Sportunterricht anzubieten.
Die Ausbildung heutiger LehrerInnen lässt in diesem Bereich sehr zu wünschen übrig. Neben ausreichenden Stunden, sollte der Sportunterricht von eigens dazu ausgebildeten SportlerInnen gegeben werden. Die fachliche Kompetenz dieses Personals spielt eine wesentliche Rolle, sollten diese Stunden nicht nur als lästige Nebenbeschäftigung betrachtet werden. Durch eigene SportlehrerInnen wird nebenbei ein stets mögliches Verwässern (zu Gunsten anderer Fächer, besonders beim Prüfungsstress) des Sportunterrichts vermieden.
Neben dem Erhöhen der Lernkompetenz wird auch die Basis für eine gesündere Gesellschaft gelegt. Dies kommt nicht nur dem einzelnen Menschen im späteren Leben zu Gute sondern auch besonders dem gesamten Gesundheitssystem!
Wer dies nicht einsieht und sich womöglich aktiv gegen die Förderung des Sports im Unterricht einsetzt, vergeht sich sträflich an der ganzen Gesellschaft.
Warum wird in der Schule bis zum 6 Schulklasse der Sportunterricht nicht von ausgebildeten Sportproffesoren gehalten, und dieses erst ab der septième gemacht, dann ist es längst zu spät.
Man sollte die Sportproffesoren gleich ab der 1 Klasse schon Sport unterrichten lassen.
Es ist nie zu spät sportlich aktiv zu werden. Die Bewegungsfaulheit, resp. der Mangel an Bewegung beginnt schon sehr früh. Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, sie werden von Mutti oder Opi mit dem Auto vor der Schule abgeliefert. Die tragen ihnen dann noch den Schulranzen bis vor die Tür, damit ihre Schützlinge sich ja nur nicht anzustrengen brauchen. Die Erziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern und nicht der Schule, auf die sie aus Bequemlichkeit abgewälzt wird. Die Kinder folgen dem Beispiel der Eltern. Die Werte müssen zu Hause vorgelebt werden.
« Am Anfang war der Purzelbaum « , erinnert irgendwo an die Machtübernahme eines Turnlehrers , oder ?
Kopplabunz ouni Helm? Absolut liewensgeféierlech! Op mannst hautdesdaags.:)
Eine blöde Frage: Wo wachsen diese Purzelbäume eigentlich?
@Prolet: In Punkto Bewegungsmangel ist die derzeitige Grundschulbevölkerung schon längst über Bewegungsmangel und Fettleibigkeit hinweg. Das Problem gewinnt an Gewicht würde ich sagen, ist aber auch ein Problem, das ziemlich stark von der sozialen Schicht abhängt.