Bogenschießen / Eine Pause zum richtigen Zeitpunkt: Jeff Henckels blickt mit neuer Motivation Richtung Olympia
Ein Fahrradunfall, eine längere Zwangspause und die Corona-Pandemie: Die Karriere von Jeff Henckels hätte im letzten Jahr plötzlich und leise zu Ende sein können. Doch mit neuer Motivation meldete sich der 36-Jährige im März zurück und könnte sich noch den Traum von seinen dritten Olympischen Spielen erfüllen.
„Es war meine eigene Dummheit“, betont Jeff Henckels, als er auf seinen Fahrradunfall im vergangenen Frühling angesprochen wird, und kann sich ein kleines Lachen nicht verkneifen. „Ich habe mich selbst auf den Boden gelegt.“ Wie so viele nutzte auch der Bogenschütze die Gelegenheit während des Corona-Lockdowns für einen Ausflug mit dem Rad, der die Karriere des zweifachen Olympia-Teilnehmers jedoch plötzlich hätte beenden können. „Mein Ellenbogen hat etwas weh getan, doch am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht. Da Olympia schon abgesagt war, habe ich dann mehrere Tage nichts getan.“ Die langwierige Verletzungsgeschichte nahm hier aber gerade erst ihren Anfang. „Auch nach zwei Wochen konnte ich den Arm nicht richtig durchstrecken, Bogenschießen klappte gar nicht.“ Doch bei einer anschließenden Röntgenaufnahme war nichts zu erkennen, sodass Henckels erst nach einem Monat bei einem „IRM“ (Magnetresonanztomografie) in Deutschland eine erste, gerade für einen Bogenschützen doch niederschmetternde Diagnose erhielt: „Der Arzt erklärte mir, dass die Bänder gerissen seien. Eine Verletzung, die er im Ellenbogen noch nie gesehen hatte und von der ich auch nicht genau wusste, was das nun für mich bedeutet.“ Der Recurve-Spezialist musste also eine längere Zwangspause einlegen, wobei er eigentlich alles tun konnte, außer eben Bogenschießen: „Mein Chef war froh, dass dies keinen Einfluss auf meine Arbeit hatte. Sogar Fahrradfahren ging. Das Einzige, was ich nicht konnte, war eben meine Sportart ausüben.“
Die Pause tat richtig gut, ich konnte zur Ruhe kommen, den Kopf freikriegenüber seine Ellenbogenverletzung
Im November waren die Bänder schließlich wieder ohne chirurgischen Eingriff angewachsen: „Mit einem Kinderbogen konnte ich wieder anfangen zu trainieren, doch ganz weg waren die Schmerzen noch immer nicht.“ Und so stellte sich heraus, dass nicht nur die Bänder, sondern auch der Knorpel gerissen war: „Mit Gel und Kortison konnte ich dann weiter mit einem leichteren Bogen schießen, doch bis Ende des Jahres war nicht wirklich klar, ob ich 2021 meine Karriere fortsetzen könnte oder nicht.“ Leise, ohne größeren Abschied hätte eine lange Sportlerkarriere, die von zwei Olympia-Teilnahmen gekrönt war, somit zu Ende sein können. „Einfach so aufhören, ohne es selbst bestimmen zu können, wäre nicht nach meinem Geschmack gewesen“, erklärt auch Henckels, der jedoch gleichzeitig betont, dass die Welt dennoch nicht untergegangen wäre: „Ich bin ja schließlich auch keine 20 mehr und muss auch zugeben, dass ich die Zeit ohne Bogenschießen im letzten Sommer sehr genossen habe.“ Der Frust über die geschlossenen Trainingseinrichtungen blieb dem 36-Jährigen nämlich erspart: „Ich konnte ja sowieso nicht trainieren.“
Zurück mit einer Bronzemedaille
Mental gesehen kamen Corona und die Verletzungspause für Jeff Henckels dennoch irgendwie zum richtigen Zeitpunkt, wie auch der Schütze des Guillaume Tell Strassen zugibt: „Die Pause tat richtig gut, ich konnte zur Ruhe kommen, den Kopf freikriegen.“ Und so erzählt der 36-Jährige, dass ihn seine Freundin in dieser Zeit darauf angesprochen hatte, wann er denn zuletzt einen Sommer ohne internationales Turnier verbracht hätte: „Da wurde mir erst klar, dass das schon 23 Jahre her war.“ Und so fiel es Henckels nach der Pause anfangs auch nicht leicht, wieder regelmäßig zu trainieren: „Diesen Rhythmus musste ich erst einmal zurückfinden, jeden Tag konsequent zum Training fahren, das hat schon Überwindung gekostet.“ Inzwischen kann er dann auch wieder mit einem höheren Zuggewicht schießen: „Ob ich jedoch noch einmal an mein vorheriges Level herankommen werde, weiß ich nicht.“
Sein Comeback gab der 36-Jährige dann, nach anderthalb Jahren ohne irgendein Turnier, Mitte März beim ersten European Grand Prix des Jahres im kroatischen Porec: „Ich war erstaunt, dass es nach gerade einmal zwei Monaten Training schon wieder so gut lief.“ Ohne den gewohnten Druck kam auch der Spaß zurück, den er vor der langen Pause nicht mehr immer bei Wettbewerben gespürt hatte, wie der Sportler des COSL-Elitekaders zugibt. Richtig gut lief es dann knapp drei Wochen später beim zweiten Grand Prix im türkischen Antalya, von dem Henckels mit der Bronzemedaille im Gepäck nach Luxemburg zurückkehrte und wo er sogar Schützen wie etwa die Nummer fünf der Weltrangliste besiegen konnte. „Das ist schon irgendwie verrückt. Egal, wie das Jahr noch weitergehen wird, ich kann jetzt schon sagen, dass sich die ganze harte Arbeit gelohnt hat. Ich bereue es definitiv nicht, es noch einmal probiert zu haben.“ Dass es Henckels zurzeit wieder richtig genießt, seine Sportart auszuüben, ist definitiv nicht zu überhören. Etwas ist dem Recurve-Schützen in den letzten Monaten dann auch noch einmal richtig bewusst geworden: „Manchmal spielen sich Sachen wirklich stark im Kopf ab. Die Bewegungsabläufe sitzen so fest, der Rest geht doch stark auf den mentalen Bereich zurück.“ Und gerade in diesem Bereich kamen die Verletzung und die lange Zwangspause gerade richtig.
Spaß im Mittelpunkt
Und so will es der 36-Jährige noch einmal wissen und versuchen, sich bei der am heutigen Montag in Antalya beginnenden Europameisterschaft eines der letzten Einzeltickets für die Olympischen Spiele in Tokio zu sichern – nach Athen 2004 und London 2012 wären es seine dritten Sommerspiele. „Es wird sehr hart, denn für Einzelstarter gibt es eigentlich nie genug Plätze und viele europäische Top-Nationen konnten sich nicht über die Mannschaft qualifizieren.“ Doch würde nicht ein wenig Hoffnung bestehen, dann hätte sich der Recurve-Spezialist auch nicht mehr dafür entschieden, ein Comeback zu wagen: „Dann hätte ich mich vielleicht dazu entschlossen, aus Freude an der Sportart einfach Compound zu schießen. Doch ich habe mir gesagt, solange es noch eine Chance gibt, ziehst du es auch jetzt durch.“ Und ein dritter Platz, wie vor gut einem Monat auf dem gleichen Platz in Antalya, würde für Olympia reichen: „Doch ich kann jetzt schon sagen, es wird viele lange Gesichter geben. Dieses Olympia-Turnier wird ein Massaker.“ Die Bronzemedaille beim Grand Prix sieht Henckels dann auch gleich als Fluch und Segen zugleich: „Einerseits gibt sie dir Selbstvertrauen, andererseits steigt dadurch aber auch die Erwartungshaltung.“ Eine letzte Chance würde es noch beim Weltcup Mitte Juni in Paris geben, doch hier wird der gesamte Rest der Welt um die wirklich allerletzten Plätze kämpfen.
Sollte es mit Olympia dennoch nicht klappen, so wäre das für Henckels nicht zu dramatisch: „Ich hatte mir für dieses Jahr vorgenommen, Spaß zu haben, meinen Sport zu genießen und technisch sauber zu schießen. Ich wollte nicht mehr immer nur der Letzte sein, der seine Pfeile wieder holen geht.“ In Porec und Antalya konnte der FLTA-Schütze dies umsetzen: „So möchte ich das auch weiter durchziehen.“ Zudem konnte er bereits in Athen und London olympische Luft schnuppern: „Ich befürchte, dass die Spiele in Tokio mit den ganzen Restriktionen keine schönen werden. Das ganze Flair, das ja auch von dem ganzen Drumherum lebt, wird es sicherlich nicht geben.“ Henckels meint damit auch das Verweilen vor Ort, auch nach dem eigenen Wettbewerb, um die weiteren luxemburgischen Athleten anzufeuern und sich Wettkämpfe von Weltstars anzuschauen. „Mir tun die Sportler leid, für die das die ersten und vielleicht sogar letzten Spiele sein werden.“ Zu einem letzten Höhepunkt der Karriere würde Henckels jedoch nicht nein sagen, vielleicht schafft er diese Hürde ja bereits in dieser Woche in Antalya.
EM in Antalya: 85 Schützen für vier Olympia-Plätze
Mit fünf Schützen ist Luxemburg bei der am Montag beginnenden EM im türkischen Antalya vertreten. Die Augen werden dabei vor allem auf die Recurve-Schützen gerichtet sein, für die es noch um die letzten Europa-Tickets für Olympia geht. Für die FLTA sind hier Jeff Henckels und Pit Klein im Rennen. Das Quotenturnier für Tokio findet paralell zur EM statt. Das Ergebnis aus der Qualifikation am Dienstag wird dabei auch für das Olympia-Turnier am Freitag berücksichtigt, wobei die Nationen, die sich bereits über die Mannschaft für Tokio qualifiziert haben, aus dem Ranking herausgenommen werden. Am Freitag geht es dann per K.o.-Modus weiter, bis die Schützen feststehen, die sich über eines der vier verbleibenden Tickets freuen dürfen. Insgesamt kämpfen noch 85 Schützen um Olympia. Viele Top-Nationen wie Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich, Schweiz, Türkei oder Russland konnten sich noch nicht über die Mannschaft qualifizieren. Pro Nation kann sich zudem auch nur ein Schütze bei der EM einen Olympia-Platz sichern.
Des Weiteren sind für die FLTA noch die Compound-Schützen Mariya Shkolna, Arnaud Hocevar und Gilles Seywert in Antalya im Einsatz. Im Compound wird ebenfalls ein FLTA-Mixed-Team antreten. Die Delegation wird begleitet von Nationaltrainer Luc Schuler. (J.Z.)
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