Olympia / Eine Schule fürs Leben: Colette Flesch erklärt, wie der Sport ihr Leben geprägt hat
Sport spielte immer eine wichtige Rolle im Leben von Colette Flesch. Im Gespräch erklärt die 84-Jährige, wie der Sport sie prägte, ihre politische Karriere beeinflusste und wie sie die Politisierung der Olympischen Spiele betrachtet.
Colette Flesch verfolgt die Spiele in Tokio am Fernseher. Als Olympia das letzte Mal in der japanischen Metropole ausgetragen wurde, stand sie noch als Florettfechterin in Tokio auf der Planche. Die ehemalige Ministerin und Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg erinnert sich gerne an ihre drei Teilnahmen an Olympischen Spielen. Das erste Mal war sie 1960 dabei, als Luxemburg ein Debakel in Rom erlebte. „Wir haben nicht wirklich realisiert, wie schlecht wir abgeschnitten hatten.“ Flesch ging ohne große Erwartungen in die Spiele. Sie studierte zu dem Zeitpunkt in den USA und konnte dort nicht auf dem Niveau fechten und trainieren wie in Europa.
Von 52 Athleten bei den Spielen in Rom wurde die Delegation für Tokio auf zwölf verschlankt. Flesch hatte die Qualifikation erneut geschafft. Allein schon die Reise nach Japan war für Flesch ein Erlebnis. „Das war eine tolle Erfahrung. Damals war eine Reise in ein so weit entferntes Land etwas Besonderes. Heute ist das anders. Heute reist man nach Tokio wie wir früher nach Schlindermanderscheid.“ Sie erinnert sich noch an eine Vorführung im Kendo, eine Art japanisches Fechten mit Bambusstöcken. Aber auch noch an den Kontakt mit den Sportlern aus anderen Nationen, allen voran Frankreich, mit denen die Luxemburger das Restaurant teilten. Erst zum Schluss holten die Franzosen ihre erste und einzige Goldmedaille durch Springreiter Pierre Jonquères d’Oriola. „Wir gingen zum Abendessen zu den Franzosen rüber und gratulierten ihrem Pferd zur Goldmedaille. Die hätten uns am liebsten eine Tracht Prügel verpasst“, erinnert sich Flesch und fängt herzhaft an zu lachen.
Ich bin doch nur durch den Sport in die Chamber gewählt worden, so wie viele nach mir. Aber ich war die Erste, bei der es so frappant war.
Der Sport habe ihr sehr viel gegeben und sehr viele Türen geöffnet. „Ich bin doch nur durch den Sport in die Chamber gewählt worden, so wie viele nach mir. Aber ich war die Erste, bei der es so frappant war. Le sport mène à tout à condition d’en sortir. So ähnlich wie bei den Journalisten.“ Das war bei den vorgezogenen Neuwahlen im Dezember 1968. Im Oktober 1968 nahm Flesch an den Olympischen Spielen in Mexiko teil und war sehr präsent in den Zeitungen, vor allem, da sie unglücklich das Achtelfinale verpasste. „Ich soll untröstlich gewesen sein. Das schreibt Pilo Fonck in seinem Buch, so genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern.“
Im Anschluss meldeten sich mehrere Parteien bei Flesch, die damals als Beamtin bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel tätig war. Dass sie sich für die DP entschied, als Gaston Thorn ihr anrief, lag auf der Hand. Einer ihrer Großväter war bereits Abgeordneter der Liberalen. Damals stand das 50. Jubiläum des allgemeinen Wahlrechts vor der Tür und die Parteien standen unter Druck, Frauen mit auf die Liste zu nehmen. Colette Flesch wurde nicht direkt in die Chamber gewählt, sondern war zweiter Ersatz. Als Thorn und Eugène Schaus in die Regierung berufen wurden, rückte sie nach. „Meine Mutter hatte Bedenken. Als Beamtin der Europäischen Gemeinschaft habe ich 36.000 Franken im Monat verdient. In der Chamber waren es 3.000 und ich war nicht sozialversichert.“ Sie musste sich eine Halbtagsarbeit suchen.
Disziplin und harte Arbeit
In ihrer beruflichen Karriere kamen Colette Flesch ihre Erfahrungen aus dem Sport zugute. „Der Sport war ein wichtiger Teil meiner Erziehung.“ Durch ihn habe sie gelernt, zu gewinnen und zu verlieren. Bei Erfolgen nicht die Bodenhaftung zu verlieren und nach Niederlagen wieder vom Boden aufzustehen. Eigenschaften, die man auch als Politiker mitbringen sollte. „Wenn jemand mich in der Chamber hart anging, wusste ich, dass die Attacke nicht gegen mich als Person gerichtet war. Es ging um die Sache, um das Dossier, das ich zu verteidigen hatte.“ Diese Eigenschaft habe sie im Sport verinnerlicht.
Disziplin und hartes Arbeiten für ein Ziel sind weitere Tugenden, die Flesch aus ihrer sportlichen Laufbahn mitbrachte und die ihr hilfreich waren, als sie 1970 den Posten der Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg übernahm. „Ich hatte überhaupt keine Lust dazu“, sagt die 84-Jährige heute. Aber Gaston Thorn hat darauf bestanden, dass sie als Erstgewählte den Posten übernimmt. Mit 32 Jahren war Flesch nicht nur die einzige Frau, sondern auch noch das jüngste Mitglied im Gemeinderat. „Und ich war nie zuvor in einer Gemeinderatssitzung. Ich hatte von nichts eine Ahnung.“ Die ersten beiden Jahre würden extrem hart werden, das war ihr bewusst. Thorn hatte ihr das ebenfalls im Vorfeld erklärt. Er sagte ihr, dass sie zu Beginn jede Zeile ihrer Dossiers studieren müsse und es nicht ausreiche, einfach die letzte Seite zu lesen. „Es ist wie beim Sport, von nichts kommt nichts. Wer etwas erreichen will, der muss diszipliniert und hart arbeiten.“ Den Rat von Thorn hat Colette Flesch später an Lydie Polfer weitergegeben, die in der gleichen Situation war.
Politisierung des Sports
Der Sport begleitete Flesch nach ihrer Fechtkarriere aber nicht nur indirekt. Als Generaldirektorin der EU-Kommission für die Bereiche Kommunikation, Medien, Kultur und Sport hatte sie auch noch direkt damit zu tun. In dieser Funktion hat sie noch ein paar Olympische Spiele miterlebt und gehörte, wie sie sagt, zum „offiziellen Ballast“. Gemeinsam mit dem späteren belgischen IOC-Präsidenten und ehemaligen Segler Jacques Rogge, mit dem sie seit den Spielen in Mexiko eine Freundschaft verband, wollte sie die Athleten aus den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft mit einem einheitlichen Badge bei Olympia starten lassen. Darauf sollte das Land zu lesen sein mit dem Zusatz: „Membre de la communauté européenne“. Der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch war allerdings strikt dagegen, ebenso wie die Briten. „Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, aber leider haben wir das nicht durchgesetzt bekommen.“
Ob eine solche Initiative heute durchkommen würde, ist fraglich, immerhin ist die Diskussion, ob und wie Athleten sich politisch äußern dürfen, gerade wieder brandaktuell. „Politik ist ein Teil des Lebens. Man kann von Sportlern nicht verlangen, Augen und Ohren zu schließen“, so die klare Meinung von Flesch, die 1968 in Mexiko dabei war, als die US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei der Siegerehrung die „Black Power“-Geste zeigten.
Ich sah die afrikanischen Athleten weinend auf ihren Koffern sitzen. Ihr Lebenstraum war gerade geplatzt. So darf sich Politik nicht in den Sport einmischen.
Flesch findet eine andere Art von Politisierung der Spiele allerdings ganz schlimm. Wie 1976 in Montreal, wo Flesch als Delegationsleiterin der luxemburgischen Fechter dabei war und 16 afrikanische Nationen auf eine Teilnahme verzichteten. Weitere zogen sich während der Spiele zurück. Neuseeland hatte zuvor den internationalen Sportbann gegen Apartheid-Staat Südafrika gebrochen, indem es ein Rugbyspiel gegen die südafrikanische Nationalmannschaft ausgetragen hatte. „Ich sah die afrikanischen Athleten weinend auf ihren Koffern sitzen. Ihr Lebenstraum war gerade geplatzt. So darf sich Politik nicht in den Sport einmischen. Aber es passiert immer wieder.“ Immerhin nehme das IOC keine Mitglieder mehr auf, die ein politisches Amt bekleiden würden. Sie selbst war aufgrund ihrer politischen Ämter aus dem Verwaltungsrat des Nationalen Olympischen Komitees ausgetreten. „Das hielt ich für nicht kompatibel.“
An Reisekosten beteiligen
Die Entwicklung des Sports in Luxemburg sieht Flesch eigentlich positiv. Die zunehmende Kommerzialisierung kann man ihrer Meinung nach nicht aufhalten. „Die gibt es in der gesamten Gesellschaft, nicht nur im Sport.“ Zu ihrer Zeit wurden die Eltern der Sportler noch gebeten, sich an den Reisekosten für die Olympischen Spiele zu beteiligen. Heute seien die Athleten wesentlich besser betreut. „Als kleines Land können wir unseren Sportlern nie das bieten, was große Länder ihren Athleten bieten. Aber Initiativen wie die Sportsektion der Armee oder die neuen Trainingsstrukturen des Luxembourg Institute for High Performance in Sports sehe ich als großen Fortschritt.“
Flesch wird die Spiele in Tokio weiterhin am Fernseher verfolgen. Der Sport hat sie ihr ganzes Leben lang begleitet, bereuen tut sie das nicht. Flesch hält es mit Edith Piaf: „Je ne regrette rien.“
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