Boxen / Michel Erpeldings ehrliche Worte nach dem Aus bei den Europaspielen: „Muss überlegen, wie es weitergeht“
Michel Erpelding hatte große Hoffnungen in die European Games gesetzt. Doch sein Erstrundenkampf wurde in der dritten Runde vom Ringrichter abgebrochen und stand sinnbildlich für seine ganze Saison. Der Luxemburger stellte danach vieles infrage und denkt ans Aufhören.
Michel Erpelding fand nach seinem Erstrundenaus bei den European Games ehrliche Worte. „Ich opfere alles für das Boxen, aber es läuft einfach nicht“, sagte er. „Man kann sowas nie direkt nach einem Match entscheiden, aber ich muss überlegen, wie es weitergeht.“ Er hatte in der Schwergewichtsklasse gerade gegen den Griechen Vagkan Nanitzanian verloren. Der Ringrichter unterbrach den Kampf in der dritten Runde, nachdem er den Luxemburger davor viermal angezählt hatte. Eine Entscheidung, die Erpelding und auch sein Trainer Felix Merlin nicht nachvollziehen konnten. „Man zählt einen Boxer an, wenn er in Gefahr ist, um ihn zu schützen. Das war bei Michel zu keinem Zeitpunkt der Fall“, regte sich Merlin auf. Erpelding sah es ähnlich: „Beim allerersten Mal hat er mich schon hinten am Kopf getroffen. Das habe ich auch bis in die Beine gespürt. Das war ok. Aber alles, was danach kam, war Blödsinn.“
Der 28-Jährige ging aber vor allem mit sich selbst hart ins Gericht. Er gab ehrlich zu, dass der Gegner besser war. „Die erste Runde war ich nicht gut. In der zweiten war ich aber drin.“ Doch das Anzählen vom Schiedsrichter brachte ihn immer wieder aus dem Konzept. „Er hat den Kampf immer wieder unterbrochen. Ich habe dann in der letzten Runde das K.o. gesucht. Als ich wieder angezählt wurde, hätte ich ihm am liebsten gesagt: Brech doch einfach ab.“ Erpelding war genervt. „Das letzte Mal, als ich angezählt wurde, hat mich mein Gegner nicht einmal getroffen.“ Er regte sich im Ring auf und hob verzweifelt die Arme, um dem Ringrichter zu zeigen, dass er – bis auf eine kleine Wunde an der Stirn – nicht angeschlagen ist. Doch es half nichts.
Über Zukunft nachdenken
Das Aus ging Erpelding sichtlich nah. Vor allem war er enttäuscht, dass er wieder einmal in der ersten Runde eines Turniers ausgeschieden ist. Der Verlauf der European Games spiegelt seine ganze Saison wider. „Ich habe jetzt acht oder neun Matches hintereinander in der ersten Runde verloren. Jeder Mensch hätte längst aufgegeben.“ Woran es liegt, weiß der Luxemburger selbst. „Der Schlüssel ist mein Kopf“, sagt er. „Niemand ist strenger mit mir, als ich selbst. Ich mache mir selbst am meisten Druck.“ Von wo dieser Druck kommt, kann er nur vermuten. „Es war mir im Leben immer alles relativ scheißegal. Außer das Boxen. Darin wollte ich perfekt sein. Ich dachte, die Welt würde untergehen, wenn ich verliere“, sagte er im Vorfeld.
Er hatte zwar versucht, in Polen locker zu bleiben und alles auszublenden. Es funktionierte bis kurz vor seinem Kampf. „Ich war eigentlich relaxed“, erklärt er. Dann setzte sein Kopf ein, kurz bevor er in den Ring stieg. „Ich dachte plötzlich wieder: Du verlierst sowieso das erste Match, wie schon das ganze Jahr. Das ist einfach penibel.“ Das Kopfkino nahm seinen Lauf. „Ich wurde den Gedanken nicht los, dass ich mich blamiere. Diesmal seid zudem ihr alle (COSL-Vertreter und Presse; Anm. d. Red.) da. Bei den anderen Turnieren bekommt man das in Luxemburg nicht so mit … Ich habe auf ein Wunder gehofft“, sagte er: „Ich schäme mich, wenn ich permanent in der ersten Runde rausfliege.“
Es war mir im Leben immer alles relativ scheißegal. Außer das Boxen. Darin wollte ich perfekt sein. Ich dachte, die Welt würde untergehen, wenn ich verliere.über seinen Selbstdruck
Wie es nun für ihn weitergehen soll, konnte Erpelding nach seinem Kampf am Samstag nicht sagen. Er braucht ein paar Tage Abstand, um wieder runterzukommen und die Niederlage zu verdauen. „Ich muss mich danach ernsthaft hinsetzen und überlegen, ob ich weitermache.“
Der IBA-Turniersieger ordnet alles dem Traum, Profiboxer zu werden, unter. Er lebt und trainiert innerhalb der Woche in Frankreich – nur am Wochenende sieht er seine Familie und Freundin, die er in zwei Wochen heiraten wird. „Mein einziger sozialer Kontakt ist mein Trainer. Ansonsten hocke ich alleine in meinem Appartement“, sagt er. Er opfert alles für das Boxen, doch die Belohnung bleibt aus.
Etwas zurückgeben
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was mich motiviert noch weiterzumachen“, sagt er. Seine Sportart sei mittlerweile eine Art „Hass-Liebe“ geworden. „Jeder Trainer, mit dem ich bisher gearbeitet habe, hat mir gesagt: Wenn der Groschen fällt, dann läuft es bei dir. Ich warte darauf, dass der Groschen fällt.“ Doch der Druck, niemanden enttäuschen zu wollen, hat dies bisher verhindert. „Das Ziel ist es immer gewesen, mit dem Boxen Geld zu verdienen und frei von allem zu sein.“ Er will den Leuten, die ihn unterstützen, etwas zurückzugeben.
Einerseits seinem Trainer. „Felix will seine Eltern aus Kuba rausholen. Seine Hoffnung ist, dass ich und noch zwei andere Boxer die sind, mit dem er das Geld verdient, um das zu schaffen.“ Andererseits auch dem COSL und der luxemburgischen Armee. „Ich würde verstehen, wenn die jetzt sagen: Junge, es reicht. Außer dem fünften Platz bei der Militär-WM hast du nichts gebracht“, ärgert sich Erpelding selbst: „Wenn sie jetzt sagen, dass es fertig ist, verstehe ich das hundertprozentig. Die Armee, der COSL – sie haben soviel für mich getan und ich habe ihnen noch immer nichts zurückgegeben. Das nervt mich.“
Die Fortschritte, die Erpelding in den vergangenen Jahren gemacht hat, sind zwar beim COSL nicht unbemerkt geblieben. „Aber er muss jetzt auch selbst schauen, was er machen will“, sagt Raymond Conzemius: „Wir müssen die Analyse machen und uns mit Michel zusammensetzen.“ Für den Directeur technique des COSL ist klar, dass „der Schritt in eine andere Richtung kommen muss. Irgendwann müssen die Resultate kommen – was gewonnene Matches sind. Das weiß Michel auch.“ Im September setzt man sich zusammen, um zu entscheiden, wie es weitergeht.
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