/ Wenn die Französischlehrerin der Routine von Judoka Claudio dos Santos in die Quere kommt
Es war ein ganz neuer Druck, mit dem die sechs Luxemburger FLAM-Athleten an diesem Wochenende umgehen mussten: In der Coque standen sie gezwungenermaßen im Rampenlicht. Letztendlich war es also kaum verwunderlich, dass Claudio dos Santos nach seinem Zweitrundenaus das Weite suchte.
„Unauffindbar“ lautete die Antwort von Jugendnationaltrainer Wolfgang Amoussou. Er habe überall nach dem 20-Jährigen gesucht. Claudio dos Santos war eine Viertelstunde vorher in der zweiten Runde aus dem Heim-Turnier geflogen und musste seinem Ärger Luft machen.
Dass er mit ganz anderen Erwartungen gestartet war, verleugnete er später nicht. Statt der Medaille reichte es nur zu der bekannten „Erfahrung“.
Dass nicht nur er selbst, sondern auch das einheimische Publikum die meisten Hoffnungen in den Differdinger gesteckt hatte, spürte man bereits, als sein Name im Lautsprecher ertönte. Dieser ungewohnte Druck machte sich denn auch gleich im ersten Kampf gegen Alberto Varela (Spanien) bemerkbar. „Ich bin nicht gut reingekommen und eigentlich erst wach geworden, nachdem ich bereits zwei Strafen bekommen hatte“, analysierte Claudio dos Santos seine ersten vier Minuten Wettkampfzeit vom Samstag, bei denen ihm nach 3:11 Minuten der entscheidende Punkt (Waza-ari) gelungen war.
Selbstkritisch
So selbstkritisch wie der Luxemburger war, so hart ging auch der Coach mit seinem Schützling ins Gericht: Nach dem Turnierende erklärte Alexander Lüdeke, was er mit seiner Handbewegung (Foto) ausdrücken wollte: „‚Watt war datt, Jung?'“, sagte der deutsche Coach lachend und fügte gleich hinzu: „Der Kollege kennt das von mir. Wenn es gut läuft, bin ich super dabei. Wenn er aber einen ‚Ranz‘ zusammenkämpft und der Inhalt nicht so dolle war, wissen wir beide, was gemeint ist.“ Deshalb ging es in der Stunde vor dem zweiten Match darum, „das Selbstvertrauen aufzubauen“.
Für alle anderen Athleten war das Turnier (eigentlich wenig überraschend) nach dem Auftaktmatch beendet. So versammelte sich Judo-Luxemburg vor Matte vier – dort, wo alle Hoffnungen auf den Schultern von Dos Santos lasteten. Verheißungsvoll beginnt sein zweiter Auftritt. Unverständlich deshalb der leichtsinnige Fehler, der ihm wenige Sekunden nach seiner Waza-ari-Führung unterläuft: „Ich bin auf seine Taktik reingefallen. Er hat über Kreuz gegriffen und ich ließ mich darauf ein. Ich habe daraufhin eine Technik versucht, die ich eigentlich nicht oft mache. Er hat mich ausgekontert. Es war ein richtig dummer Fehler meinerseits. Aber das kann ich nicht mehr ändern …“, schildert der Schüler seine letzten Sekunden auf dem blau-gelben Tatami.
Große Enttäuschung
Im Haltegriff nagelte der Franzose Omari Tejoiani ihn nach dem Punkt auf der Matte fest. Eigentlich fehlen Dos Santos die Worte, um seine Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen. Sie sei „ziemlich groß“. Vor allem, da er kurzzeitig von einer falschen Information ausgegangen war: Plötzlich zirkulierte nämlich das Gerücht, der Luxemburger könnte im „Repêchage“ auf seine Chance hoffen. Dafür hätte er aber mindestens ins Viertelfinale einziehen müssen.
Die Bilanz von Lüdeke fiel trotzdem positiv aus: „Es ist immer Schrott, wenn jemand nicht richtig ins Turnier findet. Noch eine weitere Strafe und das Ding wäre bereits zu diesem Zeitpunkt gegessen gewesen (bei drei Strafen gewinnt der Gegner den Kampf automatisch auf Ippon). Wir haben in den letzten Monaten viel daran gearbeitet, solche Situationen technisch zu lösen. Er weiß, dass er dazu in der Lage ist.“
Dann fügte er hinzu: „Den zweiten Kampf ist er von der Ruhe und dem Griff her super angegangen. Wenn man dann eine falsche Entscheidung trifft, heißt es ja nicht unbedingt immer, dass der Gegner dann genau in diesem Moment etwas parat hat. Der Franzose hat gut reagiert, was bei seiner Leistung eigentlich nicht vorherzusehen war.“
Zwei Wochen hat das Duo nun Zeit, sich vom ersten European Open in der Coque zu erholen. Dann reisen Lüdeke und Dos Santos nach Marrakesch zur Junioren-WM. Der Trainer wollte dem Differdinger zu verstehen geben, dass er das Luxemburg-Turnier abhaken soll: „Ich glaube, dass man sich so einen Fehler als 20-Jähriger abends nicht noch mal vorhalten soll, sondern sich sagen: ‚Ich weiß das eigentlich, dass ich das nicht machen soll, blöd gelaufen.‘ Heute (gestern) konnte jeder sein Potenzial sehen. Er gewinnt den ersten Kampf und geht beim zweiten in Führung. Das Erste, was ich ihm gesagt habe, war: ‚Wenn du keine Chance hast und die Gegner einfach Klassen besser sind, dann müssen wir uns Gedanken machen. Aber wenn du verlierst, weil du eine Kleinigkeit falsch gemacht hast, ist das mir tausendmal lieber als einer, der nicht auf dem Niveau ist.'“
Positiv dürfte sich auch ein Faktor auswirken, der möglicherweise mehr Einfluss auf die Psyche des Luxemburgers hatte, als er es zugeben wollte: die Routine. Dazu sagte Lüdeke: „Es ist interessant, wie sich alles verändert, wenn ein Turnier vor der Haustür stattfindet. Sonst wird man vom Flughafen abgeholt, fährt ins Hotel, muss auf die Waage … Diese Routine gab es nicht. Deshalb kommt man schwieriger ins Wettkampfgefühl rein. Ob das kriegsentscheidend ist, ist schwer zu sagen. Das ist wahrscheinlich ein individueller Faktor.“
16.30 Uhr: Ein Kilo runter
Das FLAM-Aufgebot hat in den vergangenen Tagen versucht, so wenig wie möglich an seiner Vorgehensweise zu ändern: „Unsere Vorbereitung war nicht anders. Für Claudio war es wahrscheinlich allerdings noch härter als sonst, denn er saß am Freitag noch bis 16.30 Uhr in der Schule und dachte wohl bloß: ‚Ich muss in zwei Stunden mein Gewicht erreicht haben und muss noch ein Kilo runter … Will meine Französischlehrerin noch was von mir?‘ In Marokko sind wir zwei Tage früher da, ohne die Französischlehrerin …“
Nach den drei Tagen Trainingslager, das dem FLAM-Aufgebot jetzt noch in der Coque bevorsteht, werden die Lehren gezogen. Für Lüdeke stand bereits am Samstag schon fest: „Nach so einem Heimturnier muss jeder lernen, mit seinen Fehlern umzugehen. Druck gibt es immer und überall – egal ob die Weltmeisterschaft in Luxemburg oder in Japan stattfindet. Vielleicht passiert das nicht innerhalb der ersten 20 Minuten. Aber am Ende des Tages weiß man, wie muss mit solchen Situationen umgehen kann.“
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