Fechten / Anna Zens: In der Ruhe liegt ihre Stärke
Nachwuchstalent Anna Zens marschierte am Montag bei den European Games bis ins 1/16-Finale. Auf dem Weg dorthin bezwang die Fechterin unter anderem die Nummer eins des Turniers. Die Luxemburgerin glänzte mit Ruhe und Coolness.
Anna Zens sitzt neben der Fechtbahn auf dem Boden. Sie strahlt totale Ruhe aus. Die 20-Jährige ist im Tunnel. Sie beobachtet und analysiert genau ihre Gegnerinnen, die gerade kämpfen. Dann ist es so weit. Ihr eigenes Gefecht steht an. Sie steht auf, zieht ihre „Team Lëtzebuerg“-Jacke aus und steigt auf die Planche. Visier runter. Der Kampf beginnt. Zens wirkt immer noch wie die Ruhe selbst, greift ihre Gegnerin aber an und nimmt ihr Punkt für Punkt ab. Es war ein wiederholtes Bild in der Gruppenphase der Degenfechterinnen. Zens (WR 396) besiegte am Montag in Krakau unter anderem die Nummer sechs der Welt, Anna Kun, mit 5:4. Die Ungarin war bei dem Turnier der European Games auf eins gesetzt. Die Luxemburgerin gewann vier weitere Duelle (bei einer Niederlage) und schloss ihre Gruppe schließlich auf Platz eins ab – und zog damit souverän in die Runde der besten 64 ein.
Ihr Erfolgskonzept: ruhig und besonnen vorangehen. Während ihre Gegnerinnen immer mal wieder Freuden- oder Frustschreie abgeben, sagt Zens: „Ich bin nicht so der Typ, der laut brüllt. Ich brauche das nicht. Ich habe nicht das Bedürfnis, dass ich das muss. Aber jedem seins.“ Ihre Nervosität oder Emotionen zeigt sie nicht. Sie setzt auf Zurückhaltung. Bei der Frage, wie sie es schafft, so cool zu bleiben, fragt sie mit einem Lächeln nach: „Ach, kommt das so rüber?“ Und stellt klar, dass sie vor einem Turnier immer ein bisschen nervös ist.
„Stille Wasser sind tief. Das trifft auf Anna zu. Aber manchmal ist das stille Wasser auch nur still“, stellt ihre Trainerin ebenfalls mit einem Lachen fest. Die ehemalige Weltklassefechterin Imke Duplitzer sagt: „Ich versuche, es immer ein bisschen zu deuten. Dadurch, dass sie gar nichts zeigt, denke ich aber manchmal, wo ist sie denn?“ Für Zens funktioniert es aber. Es ist ihre Stärke. Sie macht ihr Ding.
Neutral ins Gefecht
„Die Vorrunde zu überstehen“ war das Ziel, das die Sportlerin selbst vor dem Turnier in Polen ausgerufen hatte. Um sich keinen Stress zu machen, ging sie die Europaspiele ohne größere Erwartungen an. „Bei mir ist es so, dass ich nie richtig sagen kann, ob ich gut drauf bin oder nicht – bis ich das erste Gefecht hinter mich gebracht habe.“ Genau so war es auch in Krakau. „Ich wusste am Morgen nicht, ob es ein guter oder ein schlechter Tag werden würde. Erst nach meinem ersten Gefecht habe ich gemerkt, dass ich mich gut fühle. Ich hatte gute Beine und meine Bewegungen waren alle flüssig.“
Von der Tribüne fieberte Gérard Zens, Annas Papa und Präsident des luxemburgischen Verbandes, mit. „Morgen (Dienstag) wird es mir besser gehen, wenn ich nur noch in meiner Rolle als Präsident da bin. Es ist schon hart, ihr zuzusehen“, scherzte er mit Blick auf die Einzelduelle der Männer am Dienstag. „Es ist schon stark, was Anna macht. Sie tritt hier das erste Mal bei einem so wichtigen Turnier bei den Seniors an.“
Stille Wasser sind tief. Das trifft auf Anna zu.Trainerin von Anna Zens
In der Runde der besten 64 wartete dann kurz vor Mittag die Armenierin Emma Poghosova auf Zens. Die Luxemburgerin war aufgrund ihrer guten Vorrunde, die sie auf Gesamtplatz elf (von 76) abschlossen hatte, in der Favoritenrolle. „Ich versuche, immer relativ neutral in meine Gefechte zu gehen. Es gibt nämlich auch gute Gegnerinnen, die sich nach einer schlechten Vorrunde nach vorne arbeiten. Ich gehe nicht mit dem Gedanken rein, dass ich aufgrund meiner guten Vorrunde unbedingt besser bin.“ Die Taktik ging auf. Zens qualifizierte sich mit einem deutlichen 15:5-Erfolg für die nächste Runde. Im 1/16-Finale sollte die Rumänin Greta Veres (6:15) aber schließlich zu stark sein.
Die junge Luxemburgerin war danach nur kurz enttäuscht, konnte sich dann aber schnell über ihre Leistung freuen. „Ein bisschen enttäuscht ist man immer, wenn man K.o. verliert. Aber ich finde, ich habe heute gut gefochten“, analysierte sie nach kurzer Überlegung ihre Auftritte. „Vor allem in der Vorrunde. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.“
Die Saison von Zens neigt sich nun dem Ende entgegen. „Ich werde das Fechten erst einmal ein bisschen runterfahren“, erklärt die Lehramt-Studentin. „Ich brauche ein bisschen Pause. Die Saison war sehr lang. Ich hatte richtig viele Turniere.“ Erst Ende des Sommers beginnt dann wieder das intensive Training, um ihre erste komplette Saison bei den Seniors vorzubereiten. Teil davon wird auch die Olympia-Qualifikation sein. Das Turnier, bei dem die letzten Tickets vergeben werden, wird vom 26. bis 28. April in Luxemburg stattfinden. „Ich werde das relax und ohne Druck angehen“, so die 20-Jährige, die seit einem Jahr von der ehemaligen doppelten Europameisterin (1999 und 2010) Imke Duplitzer trainiert wird.
Im Seniors-Bereich angekommen
„Sie ist eine sehr angenehme Athletin im Training“, so Duplitzer. „Sie quält sich.“ Wenn sie etwas nicht ganz verstehe, frage sie nach und wollle es immer und immer wieder versuchen, bis es klappt. Dass Zens Potenzial besitzt, hatte die Deutsche bereits beim ersten Mal erkannt, als sie sie kämpfen sah. „Wir wissen, was in Anna steckt. Wir müssen nur noch sehen, wie sie das stabilisiert und das nötige Vertrauen bekommt, es umzusetzen. Denn sie kann’s. Es ist in ihr drin.“ Zudem gehe es im Fechten, wie in jeder Kampfsportart, ums Vertrauen. „Es passiert sehr viel im Kopf. Es hat viel mit der Einstellung zu tun“, sagt Duplitzer. „Es darf nicht heißen: Ich möchte gewinnen, sondern: Ich will gewinnen.“ In diesem Bereich habe die junge Sportlerin schon viele Fortschritte gemacht.
Welches Potenzial in ihr steckt, hat Zens im Januar mit dem Sieg des international renommierten Berndt-Peltzer-Gedächtnisturniers in Tauberbischofsheim (D) bei den U23 unter Beweis gestellt. „Ich habe schon sehr viele Fechterinnen gesehen. Ich bin seit über 30 Jahren im Geschäft. Die Anna hat eine extremst sensationelle Lern- und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Sie ist von ihrem Grundtrainer technisch sehr gut ausgebildet. Man kann vielleicht noch ein paar Schippchen drauflegen“, erzählt die Deutsche: „Das Taktisch-Strategische fangen wir gerade an, im Training mit einzuarbeiten. Denn wenn du im Damen-Degen weißt, was du tust, kannst du weit kommen. Dann kannst du die besten Fechterinnen schlagen.“
Von den European Games nimmt Zens die Erkenntnis mit, im Seniors-Bereich angekommen zu sein. „Ich habe gesehen, dass ich mithalten kann. Das ist ein gutes Gefühl.“
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