Tennis / Chris Rodesch über NCAA-Titel, eine Einladung ins Weiße Haus und Profipläne
Chris Rodesch hat sich im Mai zum zweiten Mal in Folge mit seiner University of Virginia zum Champion der amerikanischen College-Meisterschaft gekürt. Im Interview mit dem Tageblatt spricht der 21-jährige Luxemburger über seine erfolgreiche Saison, ein spezielles Förderprogramm der ATP und Zukunftspläne.
Tageblatt: Chris Rodesch, Sie haben vor kurzem mit der University of Virginia erneut die amerikanische College-Meisterschaft gewonnen. Wie fühlt sich die Titelverteidigung an?
Chris Rodesch: Es war enorm. Wir hatten eigentlich während der Saison viele Schwierigkeiten, deswegen war der Titel in diesem Jahr noch spezieller. Erst am Ende ist es jedem Spieler in unserer Mannschaft gelungen, sein bestes Tennis zu spielen. Der Titel in der NCAA-Meisterschaft ist in Amerika einfach eine Riesensache. Die ganze Erfahrung ist enorm. In meiner Nachbarschaft in Charlottesville hat mir jeder zu dem Titel gratuliert. Wenn ich in ein Restaurant komme, schauen mich die Leute an. Man ist in dieser kleinen Stadt ein kleiner Star, das ist schon ein cooles Gefühl. Für den 12. Juni sind wir auch ins Weiße Haus eingeladen. Es ist einfach unglaublich.
Wird es dort auch ein Treffen mit dem US-Präsidenten geben?
Ich glaube, ja. In der Vergangenheit war es scheinbar so, dass alle NCAA-Meisterteams einem einzelnen Zimmer zugeteilt wurden. Der Präsident ging dann von Raum zu Raum und schüttelte jedem die Hand. Ich habe gehört, dass es dieses Jahr ein bisschen anders laufen wird. Wie genau, weiß ich noch nicht. Letztes Jahr fiel diese Tradition aus. Warum, kann ich ebenfalls nicht sagen.
Sie haben Schwierigkeiten im Laufe der Saison erwähnt. Um was ging es genau?
Es waren Kleinigkeiten, die uns daran gehindert haben, unser bestes Tennis zu spielen. Ein Teamkollege verletzte sich zudem und fiel fast die ganze Saison über aus, ein anderer hatte familiäre Schwierigkeiten. Das Momentum war einfach nicht auf unserer Seite. In den letzten Matches kehrte es dann aber zurück.
War der Druck dieses Jahr größer, da Sie mit Ihrer Mannschaft in der Rolle des Titelverteidigers waren?
Ja, absolut. Unsere Gegner wollten uns unbedingt schlagen, weil wir die amtierenden „National Champions“ waren. Das hat man gemerkt. Jedes Team hat gegen uns sein bestes Tennis gespielt. Gerade am Anfang war es schwer, gegen diesen Druck anzukommen. Wir sind aber immer besser damit zurechtgekommen. Wir haben uns gesagt: „Wir haben Druck, weil wir Champions sind, aber das heißt auch, dass wir wissen, wie man den Titel gewinnt. Wir waren das einzige Team, das im Jahr davor in den entscheidenden Momenten gewonnen hat.“ Das haben wir uns immer wieder gesagt – und das hat uns auch die Last von den Schultern genommen.
Wenn ich in ein Restaurant komme, schauen mich die Leute an. Man ist in dieser kleinen Stadt ein kleiner Star, das ist schon ein cooles Gefühl.College Champion
Am Ende der Saison wurden Sie mit dem MVP-Titel ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen dieser persönliche Erfolg?
Es ist eine Ehre, MVP zu sein – es ist aber nicht das, was für mich im Vordergrund stand. Der Erfolg mit dem Team macht mich glücklicher. Ich habe die ganze Saison einfach versucht, mein Bestes für die Mannschaft zu geben und meine Arbeit zu machen.
Aufgrund Ihrer Einzelleistung in der NCAA-Meisterschaft wurden Sie auch in das „ATP Accelerator Programme“ aufgenommen. Was bedeutet das?
Die ATP und ITA (Intercollegiate Tennis Association) haben dieses Programm im Januar gegründet. Die Top 20 des College bekommen dadurch am Ende der Saison jeweils sechs Wildcards, um an ATP-Challenger-Turnieren teilzunehmen. Das ist das Level unter der ATP-Tour, auf der die großen Spieler aufschlagen. Als Fünfter der College-Rangliste bekomme ich sogar Wildcards direkt für das Hauptfeld. Im Sommer werde ich von diesen Gebrauch machen. Das ist eine große Möglichkeit für mich.
Ist das der nächste Schritt in Richtung Profikarriere?
Ich habe jetzt noch ein Jahr am College vor mir. Aber ja. Ich will danach unbedingt Profi werden. Ich will bei den größten Turnieren spielen. Ich will alles versuchen, um das zu erreichen.
Wäre es eine Option, sofort Profi zu werden, sollte es im Sommer bei diesen ATP-Challenger-Turnieren gut laufen?
Ich müsste wirklich schon sehr gute Resultate erzielen, um das letzte Jahr am College nicht mehr zu machen. Wenn ich die sechs Challenger gewinnen würde, würde ich vielleicht darüber nachdenken. (lacht) In meinem Kopf ist es aber klar, dass ich noch ein Jahr in Amerika bleiben will. Das College ist eine mega „student-athlete experience“. Ich würde das letzte Jahr nicht aufgeben wollen.
In der Weltrangliste stehen Sie aktuell auf Position 749. Am College gibt es dafür keine Punkte. Wo würden Sie sich sehen, wenn Sie regelmäßig Turniere spielen würden?
Das ist schwer zu sagen. Wenn ich mit den Spielern vergleiche, gegen die ich letztes Jahr gespielt habe und die danach Profi wurden, ist vieles möglich. Ben Shelton ist zum Beispiel heute in den Top 40 der Welt. Gegen ihn bin ich letztes Jahr in den dritten Satz gegangen. Beim Stand von 7:6, 5:7 wurde unser Spiel abgebrochen, weil unsere Mannschaft schon gewonnen hatte. Aber ich konnte mit ihm mithalten. Es gibt auch noch einen anderen Spieler, der ungefähr auf Position 150 steht. Die Nummer drei unserer Mannschaft hat ihn letztes Jahr noch geschlagen. Es sind Indikatoren dafür, dass ich die Top 100 in den nächsten zwei Jahren erreichen kann, wenn ich Profi werde. Es gibt aber auch andere Leute, gegen die ich gespielt habe, die jetzt bei 300 oder 400 stehen. Deswegen ist es schwer einzuschätzen.
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