Tokyo 2020 / COSL-Präsident André Hoffmann: „Die große Angst vor Olympia ist unbegründet“
Am Freitag werden die Olympischen Spiele von Tokio eröffnet. Aufgrund der Corona-Pandemie steht die Austragung in der Kritik. Für den Präsidenten des luxemburgischen Olympischen Komitees, André Hoffmann, ist die Angst unbegründet. Er glaubt an sichere Spiele und den Wunsch der Menschen nach Normalität.
Tageblatt: Herr Hoffmann, in wenigen Tagen findet die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele statt. Wie groß ist die Vorfreude?
André Hoffmann: Jeder weiß, dass die Spiele unter ganz speziellen Umständen ausgetragen werden. Die Vorfreude hält sich daher etwas in Grenzen, auch wenn ich froh bin, dass überhaupt Olympische Spiele stattfinden können. Natürlich ist es schade, dass das große Zusammentreffen mit Athleten aus aller Welt nicht stattfinden kann und die Spiele somit etwas von ihrem besonderen Flair verlieren werden.
Ist die Austragung von Olympischen Spielen während einer Pandemie denn überhaupt vertretbar?
Ich denke, dass in den vergangenen Monaten etwas zu viel Panik verbreitet wurde, die unter anderem mit der Handhabung der Pandemie in Japan zusammenhängt (die japanische Regierung war aufgrund ihres Krisenmanagements stark in die Kritik geraten, Anm. d. Red.). Meiner Meinung nach ist die große Angst um die Spiele unbegründet. Im Großraum Tokio liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei sieben Infektionen auf 100.000 Einwohner und dennoch herrscht der Ausnahmezustand. Bei uns liegt die Inzidenz wesentlich höher und wir sind dabei, zur Normalität zurückzukehren.
Events wie die Fußball-Europameisterschaft haben aber sicherlich nicht dazu beigetragen, dass die Akzeptanz für Olympia größer geworden ist.
Man kann die Olympischen Spiele nicht mit einer Fußball-EM oder der Tour de France vergleichen. Olympia wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und die Sicherheitsmaßnahmen sind extrem streng. Das IOC hat zum Beispiel auch keinen Druck auf die japanische Regierung ausgeübt, dass sie Zuschauer zulassen soll, im Gegensatz zur UEFA. Es sind nur akkreditierte Leute zugelassen, die regelmäßig getestet werden und sich auch nur eingeschränkt bewegen dürfen. Meiner Meinung nach sind die Einschränkungen sogar etwas übertrieben, aber ich kann verstehen, dass die Organisatoren unter großem Druck stehen und deshalb sehr restriktiv vorgehen.
Sportminister Dan Kersch hat seine Teilnahme an Olympia abgesagt. Auf Facebook hat er seine Entscheidung unter anderem mit der EM und der Tour de France begründet. Solche großen Sportereignisse seien ein falsches Signal, so der Minister. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Der Sportminister hat mich angerufen und mir seine Entscheidung mitgeteilt. Als ich seinen Facebook-Post gesehen habe, war ich etwas erstaunt, denn in unserem Gespräch hatte er mir seine Entscheidung anders begründet. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass er als Vizepremier während einer Pandemie in Luxemburg bleiben will und nicht zwei Wochen zu Olympischen Spielen fliegt. Aber wie bereits gesagt, kann ich den Vergleich zwischen Olympia und einer Fußball-EM nicht nachvollziehen.
London hat 2012 bewiesen, dass man Olympische Spiele durchaus in einem vernünftigen Rahmen organisieren kannCOSL-Präsident
Dennoch ist die Kritik an der Austragung der Spiele groß. Trägt der Sport somit nicht zur Spaltung bei?
Das sehe ich ganz anders. Natürlich hört man vor allem die Kritiker, aber man darf die Sportler auf keinen Fall vergessen, die jahrelang auf dieses Highlight hingearbeitet haben. Eine weitere Verlegung wäre sowohl aus organisatorischer wie auch aus finanzieller Sicht unmöglich gewesen. Eine komplette Absage wäre sowohl für die Athleten als auch für die Organisatoren ganz bitter gewesen. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Japaner nach Olympia weltweit große Anerkennung für die Austragung der Spiele bekommen werden. Immerhin sehnen sich die Menschen nach etwas Normalität, die hierdurch ermöglicht wird.
Olympia steht aber nicht erst seit Corona in der Kritik. Ausufernde Kosten, Gigantismus und immer weniger Bewerber für die Austragung der Spiele sind ein paar der größten Probleme.
Olympia ist eine Veranstaltung, an der die ganze Welt teilnimmt. Wir als Luxemburger wollen ja auch mit möglichst vielen Athleten teilnehmen und so geht es jedem Land. Dadurch wird man für Olympia immer eine gewisse Infrastruktur brauchen. Aber in den vergangenen Jahren wurde einiges unternommen, um den Gigantismus zu bremsen. London hat 2012 bewiesen, dass man Olympische Spiele durchaus in einem vernünftigen Rahmen organisieren kann. Es wurden nicht nur ganze Stadtteile saniert, die Organisatoren haben es zudem geschafft, einen Gewinn zu erzielen. Die Organisatoren tragen also auch einen Teil der Verantwortung.
Luxemburg wird in Tokio durch zwölf Athleten vertreten sein, mehr als in Rio (zehn) und London (neun). Wie sehen Sie die Entwicklung des Spitzensports in Luxemburg?
Wir werden nie 50 Top-Athleten in einer Sportart haben, dessen müssen wir uns immer bewusst sein. Aber zwölf Athleten bei Olympischen Spielen, und das auch noch unter den erschwerten Bedingungen durch Corona, ist schon eine beachtliche Leistung, die uns in unserer Arbeit bestätigt. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel investiert, um den Athleten optimale Trainingsbedingungen zu ermöglichen. Da denke ich unter anderem an das LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports), aber auch an unseren Einsatz dafür, dass unsere Kader-Athleten trotz Pandemie weitertrainieren konnten. Spitzensportler sind Zugpferde für die gesamte Sportbewegung. Nur mit einer breiten Basis kann man im Sport etwas erreichen.
Apropos Basis. Die Präsidentin der Lasep hatte vor kurzem im Tageblatt bedauert, dass die Schulsport-Kommission des COSL während der Pandemie nicht zusammenkam. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Wir kennen diese Kritik vonseiten der Lasep. Wenn wir der Lasep dann vorschlagen, uns konkrete Projekte zu unterbreiten, bei denen wir helfen können, bekommen wir keine Rückmeldung mehr. Es ist aber nicht so, dass wir wegen der Pandemie aufgehört hätten, zu arbeiten. Wir haben in sämtlichen Bereichen weiter funktioniert. Was den Schulsport betrifft, wissen wir, dass der Minister zusätzliche Unterrichtsstunden ablehnt. Also muss man andere Wege einschlagen und da tut sich auch etwas. Zum Beispiel die Einführung der Sportkoordinatoren in den Gemeinden, die ja bereits in unserem integrierten Sportkonzept vorgeschlagen wurden.
Das Sportkonzept gibt es seit 2014. Haben Sie noch damit gerechnet, dass einige Sachen daraus überhaupt umgesetzt werden würden?
Unser Sportkonzept ist ja sehr umfangreich und es war klar, dass man nicht von heute auf morgen alles ändern kann. Für uns diente das Konzept aber immer als roter Faden für unsere gesamte Arbeit. Mittlerweile sind wir sogar mit der Weiterentwicklung des Sportkonzeptes beschäftigt und versuchen noch konkretere Maßnahmen auszuarbeiten. Diese Arbeit werden wir wohl im kommenden Jahr präsentieren können.
Verkürzter Aufenthalt
Sportminister Dan Kersch hat seinen Besuch bei den Olympischen Spielen in Tokio komplett abgesagt. Großherzog Henri hat seinen Aufenthalt unterdessen verkürzt. Das IOC-Mitglied wird am Kongress des Internationalen Olympischen Komitees teilnehmen sowie am Auftaktwochenende der Spiele, wo bereits einige Luxemburger Athleten im Einsatz sein werden. Anschließend wird der Staatschef die Heimreise antreten. COSL-Präsident André Hoffmann wird die erste Woche der Spiele vor Ort verfolgen, die Leichtathleten Bob Bertemes und Charel Grethen wird er dann in der zweiten Woche zu Hause vor dem Fernseher anfeuern.
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Nach den Spielen dann alle zur Erholung nach Fukushima, bereits 20% der näheren Umgebung bereits dekontaminiert, nach wievielen Jahren!? Ich begreif das alles nicht mehr.