Gegenpressing – die EM-Kolumne / Denker und Lenker
Giorgio Chiellini wirkte fast so, als hätte er gerade in einer Bar ein paar Bier zu sich genommen. Er scherzte, gestikulierte und kniff sein Gegenüber, man hatte den Eindruck, der Italiener würde mit einem guten Freund auf der Straße diskutieren. Das Verhalten des Innenverteidigers wirkte fast surreal, denn die Situation war eigentlich ernst: Chiellini und Jordi Alba standen sich kurz vor dem Elfmeterschießen im Halbfinale der Europameisterschaft gegenüber.
Chiellini wirkte allerdings alles andere als angespannt und auch nachdem der Münzwurf zur Seitenwahl für Unklarheit sorgte, blieb er locker. Auslöser für die Unklarheiten war der Versuch Albas, den Schiedsrichter davon zu überzeugen, auf das Tor vor den spanischen Fans zu schießen. Chiellini hatte dem Schiedsrichter allerdings zuvor besser zugehört und war sich sofort sicher, dass man auf das italienische Tor schießen würde. Ob der Spanier bewusst versucht hat, sein Gegenüber zu täuschen, oder ob es sich um ein Irrtum handelte, ist nicht klar. Während Alba noch gestikulierte und auf den spanischen Kasten zeigte, nahm Chiellini die Situation mit Humor und rief freundschaftlich: „Lügner, Lügner!“ Auch die Wahl, welches Team anfangen darf, entschied der Kapitän der Squadra Azzurra für sich und wünschte seinem irritierten Gegenspieler anschließend mit einem Handschlag und einer herzlichen Umarmung alles Gute. Dies nützte nichts, denn die Italiener qualifizierten sich für das Finale.
So sehr Italien zurzeit mit attraktivem Offensiv-Fußball begeistert, so sehr benötigt das Team auch die defensive Stabilität, die Chiellini im Abwehrzentrum garantiert. Auf den eisenharten Abwehrspieler ist Verlass, Chiellini ist die Säule in der italienischen Verteidigung, er räumt alles ab, nimmt jeden Zweikampf an und wirft sich in jeden Schuss. Der 36-Jährige, der zu den besten Innenverteidigern der Welt zählt, ist aber eigentlich alles andere als das, was man sich unter einem gewöhnlichen Fußballer vorstellt. Denn Chiellini ist ein Mann mit vielen Talenten.
Sein Privatleben kontrastiert stark mit dem, was er auf dem Feld zeigt. Chiellini ist laut eigenen Aussagen ein Familienmensch, sie steht über dem Fußball. 2017 schloss er zudem ein BWL-Masterstudium mit Bestnote an der Universität Turin ab. Der Ausnahmekönner beweist Köpfchen und ebnet bereits jetzt den Weg für die Karriere nach dem Fußball. Der 36-Jährige ist nicht nur ein Lenker auf dem Platz, sondern auch ein Denker daneben.
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Giorgio Chiellini: einfach ein herzerfrischender Spieler.