Satellitenkonto / Der zählbare Ertrag des Sports für Luxemburg
Der Staat investiert jedes Jahr Millionen in den Sport. Welchen wirtschaftlichen Einfluss der Sport für Luxemburg hat, ist bislang nicht bekannt. Das will man im Sportministerium in Zukunft ändern. Ein Blick auf die Erstellung eines Satellitenkontos, die sich teilweise als wahre Sisyphus-Arbeit entpuppt.
Der Sport steht quasi weltweit still und das bereits seit mehreren Wochen. Nicht nur Profi-Klubs und -Ligen fürchten um ihre Existenz, auch andere Bereiche der Sportindustrie haben mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Schwimmbäder und Sportzentren bleiben geschlossen, genau wie Fitness-Studios oder Sportgeschäfte. Verkäufer, Trainer und viele andere Menschen, die ihr Geld direkt oder indirekt mit dem Sport verdienen, können entweder überhaupt nicht oder nur bedingt arbeiten. Die Corona-Krise wird den Sport, so wie viele andere Wirtschaftszweige, teuer zu stehen kommen. Doch was bringt der Sport in normalen Zeiten überhaupt der Wirtschaft? Diese Frage soll unter anderem Christophe Bestgen beantworten.
Der 31-jährige ehemalige Leichtathlet arbeitet seit dem vergangenen Jahr als Ökonom im Sportministerium. Er soll das Projekt eines Satellitenkontos für den Sport umsetzen, das im Koalitionsvertrag festgehalten wurde. Hierbei geht es darum, die wirtschaftliche Bedeutung des Sports in Luxemburg zu messen. „Eine sehr spannende Aufgabe“, sagt Bestgen. Das Satellitenkonto soll zwei Hauptfragen beantworten: Wie viel Geld bringt der Sport ein und wie viele Menschen arbeiten im Sport.
Idee von 2006
Dabei geht es nicht nur um Leistungssport, sondern um den Sport im Großen und Ganzen. So kann man zum Beispiel an den Bau von Sportstätten denken. Diese werden zwar vom Staat subventioniert, doch gleichzeitig nimmt er 17 Prozent Mehrwertsteuer ein. Außerdem verdienen Baufirmen an diesen Projekten, es werden Hausmeister eingestellt, die ihren Lebensunterhalt somit durch den Sport verdienen. Anschließend kommen noch die Handwerksbetriebe, die Wartungsarbeiten in den Sportstätten durchführen und somit ebenfalls zum wirtschaftlichen Einfluss des Sports beitragen. „Die großen Infrastruktur-Projekte sind sicherlich einer der größten wirtschaftlichen Faktoren für Luxemburg“, so Bestgen.
Die Idee ist bereits etwas älter und geht auf die EU-Ratspräsidentschaft von Österreich im Jahr 2006 zurück. 2014 hat das Nationale Olympische Komitee (COSL) die Idee des Satellitenkontos in ihr integriertes Sportkonzept aufgenommen. Das Projekt wurde Ende des vergangenen Jahres begonnen und befindet sich noch in der Anfangsphase. Doch die erste Herausforderung wartet genau dort. Denn was ist Sport überhaupt?
Eine Querschnittsbranche
Mit der Definition von Sport fangen die Probleme bereits an. „Der Sport ist kein gewöhnlicher Wirtschaftszweig, wie zum Beispiel die Landwirtschaft oder der Finanzplatz, wo die Definition relativ klar ist“, so Bestgen. Der Sport ist vielmehr eine Querschnittsbranche (daher auch die Bezeichnung Satellitenkonto), die sich aus den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen zusammensetzt. Die eine Definition von Sport gibt es nicht. „Da gibt es viele verschiedene Auffassungen und Interpretationen“, weiß Bestgen. Als Basis gilt die „Vilnius Definition of Sport“, eine wirtschaftliche Definition des Sports, die 2007 von der EU angenommen wurde. Auf 137 Seiten wird dort aufgelistet, was aus einer wirtschaftlichen Betrachtung in den Bereich Sport fällt.
Die „Vilnius Definition of Sport“ soll garantieren, dass die Satellitenkonten der EU-Länder vergleichbar sind. Allerdings ist diese eher eine Richtlinie als eine Regel, die eins zu eins umsetzbar ist. „Je nach Land gibt es unterschiedliche Auffassungen. Sport ist immer auch kulturell geprägt“, erklärt der Ökonom des Sportministeriums. So wird das Fahrrad in den Niederlanden zum Beispiel eher als Transportmittel gesehen, als dass es als Sportgerät gilt. So tauchen in der niederländischen Studie zum wirtschaftlichen Einfluss des Sports lediglich neun Prozent der verkauften Fahrräder auf. „Und was ist mit den Menschen, die sich ein Fahrrad zulegen, um damit zur Arbeit zu fahren, weil sie dann auch gleich eine halbe Stunde Sport getrieben haben?“, fragt Bestgen, der damit verdeutlicht, wie schwierig es ist, einen konkreten Rahmen für das Satellitenkonto auszuarbeiten. „Aber genau das ist das A und O bei dem Projekt. Bevor wir Daten sammeln, müssen wir erst ganz klar definieren. Es geht ja auch darum, die wirtschaftliche Bedeutung des Sports über die Jahre miteinander zu vergleichen. Das geht aber nur mit präzisen Rahmenbedingungen.“
Das Erstellen einer Schablone
Viele der zu sammelnden Daten ergeben sich von selbst, wie zum Beispiel Mitgliedsbeiträge für Sportvereine oder Fitnessstudios, der Kauf von Fan-Artikeln einer Sportmannschaft usw. Das Gleiche gilt für Arbeitnehmer, die ganz klar ihr Geld mit dem Sport verdienen, wie Trainer, Angestellte von Vereinen oder Sportverbänden. Schwieriger wird es im Gesundheitssektor. Wie geht man mit Ärzten oder Physiotherapeuten um, die ihren Lebensunterhalt teilweise mit Sportverletzungen verdienen? Oder wie mit jemandem, der sich ein Sport-Shirt kauft, um damit zum Beispiel im Garten zu arbeiten? „Es ist schon teilweise eine Sisyphus-Arbeit“, gibt Bestgen mit einem Lachen zu. Für Antworten auf all diese Fragen ist es momentan noch zu früh. Bis Ende dieses Jahres soll der Rahmen stehen. „Hierfür inspirieren wir uns an den niederländischen und litauischen Satellitenkonten. Ihre Experten stehen uns auch beratend zur Seite.“
Einfach ein Modell zu übernehmen sei schwierig, so Bestgen. „Dafür sind die Länder zu unterschiedlich. Wir müssen schon unsere eigene Methodologie ausarbeiten.“ Unterstützt wird das Sportministerium von Experten des Statec. Wenn die „Schablone“, wie Bestgen es nennt, erst mal steht, muss sie mit Daten gefüllt werden. Wo bereits die nächste Herausforderung lauert. „Sobald wir wissen, was wir wollen, müssen wir noch sicherstellen, dass es das auch gibt.“ Das ist die nächste Herausforderung bei dem Projekt. Zum Beispiel muss ermittelt werden, wie viel Geld ein Haushalt pro Jahr in den Sport investiert. Beim Statec laufen diese Daten unter „Loisir“, was zum Beispiel aber auch kulturelle Beschäftigungen beinhaltet. „Größere Länder haben sicherlich wesentlich mehr Daten zur Verfügung. Genaue Daten für Luxemburg zu erhalten, ist eine der Herausforderungen.“
Rund 2 Prozent des PIB
Wer sich nun fragt, wieso dieser ganze Aufwand betrieben wird, kann sich die Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung des Sports in anderen Ländern anschauen. „In den Niederlanden macht der Sport rund zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus“, so Bestgen. In der Schweiz, wo in diesem Jahr eine neue Studie erschienen ist, macht der Sport 1,7 Prozent des BIP aus. Damit bewegt er sich in der gleichen Größenordnung wie der Maschinenbau (1,8 Prozent) oder die Metallindustrie (1,4 Prozent). Der Sport generierte in der Schweiz im Jahr 2017 einen Umsatz von über 22 Milliarden Franken (zum Wechselkurs von Dezember 2017 waren das knapp 19 Milliarden Euro) und verzeichnete 97.900 vollzeitäquivalente Arbeitsplätze.
In Luxemburg investiert der Staat in diesem Jahr 64 Millionen Euro in den Sport. Das Satellitenkonto soll dazu beitragen, die Investitionen in Zukunft noch effektiver gestalten zu können. Wenngleich der Sport viele positive Auswirkungen hat, die sich nicht konkret beziffern lassen.
Erfahrungen aus der Schweiz
In der Schweiz wird die wirtschaftliche Bedeutung des Sports seit 2005 regelmäßig untersucht. Es ist kein Satellitenkonto, sondern eine Studie, die alle paar Jahre durchgeführt wird. Ein richtiges Satellitenkonto wäre zu aufwendig und zu teuer geworden, so Hippolyt Kempf vom Schweizer Bundesamt für Sport (Baspo). Die Studie erfüllt allerdings den gleichen Zweck wie das geplante Satellitenkonto in Luxemburg. Dabei wird immer auf der Methodologie von 2005 aufgebaut. Laut Ökonom Kempf waren die größten Herausforderungen, den Bereich Sport zu definieren und die benötigten Daten zu erfassen. Die Studie sei aus der Schweizer Sportpolitik nicht mehr wegzudenken. „Es ist ein unscheinbares Instrument, hat aber eine große Wirkung.“ Dadurch, dass der wirtschaftliche Einfluss des Sports vergleichbar ist mit anderen Wirtschaftszweigen und immerhin 1,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmacht, würde die Studie den Sportverbänden und Sportbehörden ein ganz anderes Auftreten ermöglichen. „Sport besteht halt nicht nur aus Begeisterung, Emotionen und Gesundheit, er hat auch einen realen wirtschaftlichen Einfluss, den man konkret messen kann“, so Kempf, Olympiasieger 1988 in der Nordischen Kombination. Die Datenerhebung kostet das Baspo jährlich rund 20.000 Schweizer Franken. Die Kosten für die Studie, die alle fünf Jahre erscheint, belaufen sich auf rund 100.000 Franken. Für Kempf eine durchaus sinnvolle Investition. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt allemal.“ Die Schweizer Entscheidungsträger für den Sport wollen nicht mehr auf diese Studie verzichten.
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