Fußballnationalmannschaft / Ein Fehlstart und ein Warnschuss
FLF-Präsident Paul Philipp hatte im Tageblatt-Interview auf die Gefahren hingewiesen. „Wir können jedes Spiel gewinnen, aber auch jedes verlieren.“ In den zwei ersten Nations-League-Spielen gegen Nordirland (0:2) und Weißrussland (0:1) hat sich diese Aussage in bittere Realität umgewandelt. Die Schwächen der FLF-Auswahl wurden in beiden Partien brutal offenbart. Eine Analyse.
Keine Stürmer – keine Durchschlagskraft
Luxemburg hat eine Gerson-Rodrigues-Abhängigkeit. Der Angreifer erzielte in den vergangenen Jahren 21 Tore und avancierte zum FLF-Rekordtorschützen. Momentan durchläuft der 29-Jährige aber eine selbst verschuldete Krise. Rodrigues ist nicht fit, hat sich durch unprofessionelles Verhalten bis in die zweite chinesische Liga manövriert und wurde am Samstag gar aus dem FLF-Kader geschmissen. Das Problem ist jedoch, dass die FLF-Auswahl keinen Angreifer seines Formats besitzt. Nach Rodrigues ist Danel Sinani der beste Stürmer. Der Profi des FC St. Pauli ist jedoch eher eine hängende Spitze und lässt sich teilweise ins Mittelfeld zurückfallen, um das Spiel aufzubauen. Sinani braucht einen Angreifer neben sich, damit seine komplette Stärke zum Vorschein kommt. Edvin Muratovic hat die physischen Voraussetzungen, um gegen bullige Verteidiger bestehen zu können, ist aber im Gegensatz zu Rodrigues kein Stürmer, der mit Wucht in den Strafraum zieht, sondern auf internationalem Level eher mit dem Rücken zum Tor agiert. Die Lösung wäre Dany Mota – doch der Stürmer vom AC Monza hofft weiter darauf, irgendwann für Portugal spielen zu können.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Luxemburg auch ohne Rodrigues bestehen kann, dies hängt jedoch stark vom Gegner ab. Auf lange Dauer braucht die FLF-Auswahl einen Spielertypen, der auf den letzten 30 Metern den Unterschied machen kann und für mehr Durchschlagskraft sorgt.
Chanot und danach?
Maxime Chanot ist und bleibt der beste Innenverteidiger, den Luxemburg zu bieten hat. Das wurde auch diesmal noch einmal deutlich. Gegen Nordirland wurde es ersichtlich, dass seine Präsenz der Mannschaft fehlte. Enes Mahmutovic hat in den vergangenen Jahren einen Schritt nach vorne gemacht, kam aber mit wenig Spielpraxis zur Nationalmannschaft und konnte in beiden Duellen nicht überzeugen. Seid Korac wurde wegen Differenzen mit Nationaltrainer Luc Holtz nicht für die Nations League nominiert. Dabei hat der 22-Jährige wohl aktuell das größte Potenzial, um Nachfolger von Chanot (34 Jahre alt) zu werden. Lars Gerson ist in der zweiten norwegischen Liga nicht mehr erste Wahl und Dirk Carlson hat in der zweiten österreichischen Liga auch nicht die nötige Konkurrenz, um einen Schritt nach vorne machen zu können.
Sonderbare Entscheidungen
Nationaltrainer Luc Holtz ist bekannt dafür, Wagnisse einzugehen. In der Vergangenheit wurde sein Riecher für Situationen und Spieler oftmals belohnt. Gegen Nordirland und Belarus waren seine Entscheidungen jedoch kritikwürdig. Mit Lars Gerson entschied er sich in Belfast in der Innenverteidigung für einen Spieler, der seit Mitte Juni kein einziges Mal 90 Minuten auf dem Platz gestanden hatte. Als Luxemburg 0:2 in Rückstand geriet, wurde Christophe Andrade eingewechselt. Eine undankbare Aufgabe für den 17-Jährigen. Der Flügelspieler hat bis dahin noch kein einziges Erwachsenen-Fußballspiel bestritten. Es ist gut, dass Holtz an die Fähigkeiten des FLF-Nachwuchses glaubt, allerdings sah es bei dieser Einwechslung so aus, als würde er die Entscheidung, ihn zu nominieren, gerne rechtfertigen.
Gegen Belarus zählten Mathias Olesen und Laurent Jans in der ersten Hälfte zu den besten Luxemburgern. Jans machte zusammen mit Bohnert viel Druck über die rechte Seite und Olesen war offensiv erstaunlich oft präsent. Holtz wollte jedoch noch mehr Durchschlagskraft, ersetzte beide und bewirkte genau das Gegenteil. Ihre Ersatzleute Sébastien Thill und Mica Pinto konnten den Unterschied nicht machen. Dieser Spielertausch hätte wahrscheinlich in der 70. Minute seinen Zweck erfüllt. Zur Halbzeit kam dieser Wechsel jedoch definitiv zu früh.
Die Konsequenz
Luxemburg ist nach der 17-Punkte-Qualifikation auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Vor dem Start der Nations-League-Kampagne war das Ziel, um Platz eins mitzuspielen. Dieser Rang ist nach den beiden Auftaktniederlagen in weite Ferne gerückt. „Die Ambitionen müssen angepasst werden“, stellte Holtz richtig fest. Die FLF-Auswahl hat nach diesem Fehlstart bereits vier Punkte Rückstand auf Leader Bulgarien. Wird die aktuelle Tendenz in den nächsten zwei Auswärtsspielen nicht gedreht, beginnt für Luxemburg der Abstiegskampf. Bei einem Abstieg würden die Gegner in der kommenden Nations League wieder Liechtenstein, San Marino oder Andorra heißen. Diese Aussicht sollte Warnung genug sein.
Amateurhafte Kommunikation
Außersportlich sorgte wie bereits erwähnt der Ausschluss von Gerson Rodrigues für Schlagzeilen. Dabei gab die Kommunikationsabteilung des nationalen Fußballverbandes FLF – wenn es denn eine solche gibt – eine sehr schlechte Figur ab. In sämtlichen anderen europäischen Verbänden wäre eine solche Maßnahme offiziell kommuniziert worden. Nicht so in Luxemburg. Das Thema wurde von der FLF lange stillgeschwiegen. Und auch nach dem Spiel wurde keinerlei Einsicht gezeigt, es in Zukunft besser zu machen. Etwas Gutes hat diese Entscheidung jedoch: Das Tageblatt konnte den Rodrigues-Rauswurf am Samstagabend exklusiv vermelden.
So geht es weiter
Die beiden nächsten Nations-League-Spiele werden auswärts ausgetragen. Am 12. Oktober trifft Luxemburg in Plowdiw auf Bulgarien und drei Tage später kommt es in Zalaegerszeg zum Duell mit Weißrussland. Wegen der Sanktionen aufgrund der Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg darf der FLF-Gegner seine Heimspiele nicht zu Hause austragen. Auch Zuschauer sind nicht zugelassen. Christopher Martins ist aufgrund seiner zweiten Gelben Karte im laufenden Wettbewerb für das Duell gegen Bulgarien gesperrt.
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