Corona und Sportrecht / Der Sportjurist Marc Theisen fordert Schulungen für Vereins-Funktionäre
Die luxemburgischen Sportklubs und Verbände hatten in Corona-Zeiten einige nie gekannte Hürden zu überwinden. Sportjurist Marc Theisen sieht die Zeit gekommen, die Funktionäre juristisch nachhaltig zu schulen, und hofft darauf, dass der Sportminister bis Ende Juni für Klarheit sorgt.
Herr Theisen, wie ist der Luxemburger Sport Ihrer Meinung nach mit der Corona-Krise umgegangen?
Die erste Feststellung liegt auf der Hand. Keiner ahnte, was auf uns zukommen würde, und keiner wusste im Vorfeld, wie man hätte handeln können. Deshalb sollte man auf diese Thematik nicht zu kritisch zugehen. Auf der anderen Seite stelle ich jedoch fest, dass durch diese Krise viele juristische Lücken aufgedeckt wurden. Statuten und Verträge waren teilweise mangelhaft und haben zu schwierigen Situationen geführt. Daraus schlussfolgere ich, dass in manchen Bereichen Nachholbedarf besteht. Funktionäre müssen in Zukunft die Möglichkeit erhalten, sich besser auf ihre administrativen Aufgaben in den Verbänden und Vereinen vorzubereiten. Das Problem liegt nicht darin, dass es solche Krisen gibt. Es ist jedoch wichtig, zu wissen, wie man in solchen Situation handeln kann. Die Funktionäre müssen wissen, welche Entscheidungen getroffen werden können und welches Organ das tun kann. Das Olympische Komitee COSL oder das Sportministerium müssen diesen Menschen die Möglichkeit geben, sich in dieser Thematik fortzubilden. Dadurch könnte viel Zeit, Geld und Energie gespart werden.
In welchem Bereich haben Sie die größten Lücken entdeckt?
Bei Verbänden und Vereinen wird oft sehr schnell gehandelt. Es fehlt der Reflex, einen Blick in die Statuten zu werfen, in denen man oft die Lösung findet. Wenn man den Führerschein macht, muss man auch den Reflex entwickeln, mal in den Rückspiegel oder nach rechts oder links zu blicken. Man kann nicht einfach drauflos fahren. Wenn diese Reflexe erst mal bestehen, lösen sich viele Probleme von alleine. Allerdings leben viele Funktionäre nach einem bestimmten Schema und bei der geringsten Veränderung kommt es zum Problem. Wenn ich mir verschiedene Verträge mit Spielern oder Sponsoren ansehe, stehen mir die Haare zu Berge. Es ist verwunderlich, dass es nicht noch zu mehr Problemen kommt. Oft fehlt es an der nötigen Präzision oder es gibt zu viel Interpretationsspielraum. Das COSL hat mit Sicherheit einige Musterverträge bereitliegen, aber das weiß halt nicht jeder Verein.
Wäre es schlau, in Zukunft in jedem Vertrag eine Pandemie-Klausel vorzusehen?
Die erste Hausaufgabe ist es, zu schauen, wo die Lücken bestehen, und nachzubessern. Die Verträge und Statuten müssen einmal generalüberholt werden. Danach ist es wichtig, zu wissen, dass man abgesichert ist im Fall einer höheren Gewalt.
Man kann sich nicht immer hinter der zweiten Corona-Welle verstecken. Wir bereiten uns ja auch nicht ständig darauf vor, dass der Reaktor in Cattenom explodiert.Sportjurist
Der Basketballverband stand zuletzt in den Schlagzeilen. Verschiedene Vereine drohen bei Abstieg oder verpasstem Aufstieg mit Klagen. Wie aussichtsreich sind solche Vorhaben?
Das Wichtigste ist immer, dass die Statuten es vorsehen, dass ein Verband in außergewöhnlichen Situationen außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen kann. Die FLBB ist einer der wenigen luxemburgischen Verbände, die über solche Bestimmungen verfügen und in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, die nicht anfechtbar sind. Voraussetzung ist, dass kein Formfehler besteht. Wenn etwas nicht vorgesehen ist, verweisen die Statuten meistens auf den Verwaltungsrat. Wenn dieser eine fundamentale Entscheidung treffen muss, welche die Meisterschaft beeinflusst, muss er sich die Frage stellen, ob das noch in den Geschäftsbereich des Verwaltungsrats fällt. Ist das nicht der Fall, kann er auf eine Generalversammlung zurückgreifen. In diesem Fall wurde dies getan. Wenn die Form eingehalten wurde, tendieren die Chancen gegen null, mit einem Einspruch durchzukommen. Ein Gericht kontrolliert nicht, ob eine Entscheidung gut oder schlecht war. Die Regeln müssen eingehalten werden. Werden diese gebrochen, kommt es allerhöchstens zu Neuwahlen.
In Frankreich wollen die Fußballvereine Olympique Lyon, Toulouse und Amiens juristisch gegen den vorzeitigen Saisonabbruch vorgehen. Wie stehen ihre Chancen?
Frankreich ist gerichtlich anders organisiert als Luxemburg. Bei uns bleibt alles im sportrechtlichen Bereich. Die Verbandsinstanzen entscheiden. Wenn diese ausgeschöpft sind, geht es zur CLAS oder zur TAS. In Frankreich sind Entscheidungen der Verbände administrativen Entscheidungen gleichgestellt und deshalb sind Verwaltungsgerichte oft zuständig. Das Grundprinzip bleibt aber das gleiche. Es ist eine Frage der Form. Wenn der Französische Fußballverband etwas in den Statuten vorgesehen hat, wenn etwas nicht Vorhersehbares passiert, dann ist auch in diesem Fall ein Einspruch quasi aussichtslos. Das beste Beispiel sind Sportler, bei denen man davon ausgehen könnte, dass sie gedopt sind. Da der juristische Dschungel in dieser Thematik sehr kompliziert ist, kommen viele Sünder davon. Es kommt sehr oft zum Formfehler. Deshalb ist es umso wichtiger, einfache Statuten und Regeln aufzustellen.
Kritiker sagen, dass die Spieler der Fußball-Bundesliga sich seit Wochen einem gesundheitlichen Risiko aussetzen. Könnte ein Profi erfolgreich klagen, wenn er sieht, dass er infiziert wurde?
Dein eigenes Gefühl, was ein Risiko ist, ist ein subjektives Gefühl und nicht maßgebend. Keiner kann selbst entscheiden, dass das Risiko zu groß ist und er deshalb nicht zur Arbeit antritt. Es gibt Instanzen, welche dies klären. In diesem Fall der Staat. Wenn ein Sportler nicht antreten will, weil er sich subjektiv gefährdet fühlt, dann kann der Arbeitgeber sich von ihm trennen, weil er die Leistung nicht bringt, die in seinem Vertrag vorgesehen ist.
Flavio Becca klagt mit Virton gegen den Nicht-Erhalt der Lizenz und fordert zudem rund 15 Millionen Euro Schadenersatz vom belgischen Verband. Wie sind seine Aussichten auf Erfolg?
Vom Prinzip her kann er Schadenersatz fordern, er wird die 15 Millionen aber wohl nicht erhalten. Man kann nur das bekommen, was man tatsächlich verloren hat. Es scheint aussichtslos, die Lizenz noch zu bekommen, deshalb ist Flavio Becca nun vor ein Zivilgericht gezogen. Aber das Übel ist nun mal passiert. Es ist wie bei einem tödlichen Unfall unter Alkoholeinfluss. Die Familie des Verstorbenen bekommt Schadenersatz, aber der Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Die Klage von Becca riskiert für die Galerie zu sein. Ich habe jedoch den Eindruck, dass in Belgien mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Vorwürfe sind unverhältnismäßig, weil es eigentlich nur um ein paar Unterlagen geht. Es ist schade, dass in diesem Fall keine Lösung gefunden werden konnte. Die Leidtragenden sind schlussendlich die Sportler, die Gemeinde Virton, Flavio Becca und die Zuschauer.
Welche Lehren haben Sie aus der Corona-Krise gezogen?
Aus beruflicher Sicht hat mich das Thema fasziniert. Es war wie ein Tsunami. Auch ich habe den Ernst der Lage erst realisiert, als das Wasser bereits vor der Tür stand. Es ist erstaunlich, wie einfach man sich überrumpeln lassen kann. Alex Bodry hat einmal gesagt, dass man so sein soll wie ein Elefant oder eine Schildkröte. Wenn man gestochen wird, sollte man nicht sofort umfallen, aber man sollte es spüren. Viele Probleme, die jetzt aufgetaucht sind, hätten bereits früher gelöst werden können. Jetzt mussten sie korrigiert werden. Teilweise, weil zu viel mit Gefühl und zu wenig mit rationalem Denken gehandelt wurde. Die Folgen sind Milliardenausgaben. Politik und Sport müssen sich stärker damit auseinandersetzen, was die Zukunft bringen könnte. Das gilt eben auch für die Entscheider. Man kann nicht mehr einfach so sagen, ich bin jetzt Sportfunktionär, frei nach dem Motto: „Jempy, mär hunn nach eng Plaz am Comité“. Man hat eine große Verantwortung und muss sich selbst informieren und Wissen aneignen. Das ist eine der ganz großen Lehren.
Man kann nicht mehr einfach so sagen, ich bin jetzt Sportfunktionär. Frei nach dem Motto: „Jempy, mär hunn nach eng Plaz am Comité“.Sportjurist
Was wünschen Sie sich in den kommenden Wochen und Tagen von der Politik und speziell von Sportminister Dan Kersch?
Verschiedene Entscheidungen müssen endlich getroffen werden. Bisher wurde immer darauf gewartet, was das Ausland macht. Ich bin der Meinung, dass der Sportminister spätestens Mitte Juni mitteilen muss, wie es in puncto Meisterschaften weitergeht und wie der Plan aussieht. Mit den Parametern, die uns zur Verfügung stehen, ist dies durchaus möglich. Man kann sich nicht immer hinter der zweiten Corona-Welle verstecken. Wir bereiten uns ja auch nicht ständig darauf vor, dass ein Reaktor in Cattenom explodiert. In Luxemburg haben wir nicht das Problem, dass es Woche für Woche Massenveranstaltungen gibt. Deshalb ist es wichtig, dass die Menschen wieder wie früher zum Sport dürfen und ihre Freude zurückbekommen.
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Schulungen? Die Verbände kriegen nicht mal Freiwillige dazu 2 Mal im Monat eine Sitzung zu besuchen.