Anthony Moris und Virton / „Es ist eine bizarre Situation“
Anthony Moris und Virton erfahren heute, ob sie die Lizenz für die zweite Liga bekommen. Es herrscht große Ungewissheit im Verein von Mäzen Flavio Becca. Der Torwart der „Roten Löwen“ muss sich indes keine Sorgen um seine Zukunft machen. Nach einer starken Saison scheint ein Wechsel zu einem stärkeren Klub nur noch Formsache zu sein.
Tageblatt: Morgen (heute) entscheidet das Schiedsgericht des Belgischen Verbandes, ob Virton die Lizenz für die zweite Liga bekommen wird oder in die vierte Division absteigt. Wie ist die Stimmung im Verein?
Anthony Moris: Es ist eine bizarre Situation. Seitdem das Training Mitte März wegen der Corona-Krise abgebrochen wurde, haben wir keine Neuigkeiten mehr vom Verein bekommen. Ich hoffe, dass die Entscheidung morgen (heute) positiv ausfällt. Der Verein ist davon abhängig, um weiterleben zu können. Im vergangenen Jahr waren wir in der gleichen Situation und schließlich wurde uns die Lizenz erteilt.
Können Sie die bisherigen Entscheidungen des Belgischen Verbandes nachvollziehen?
Um dies beurteilen zu können, müsste ich mich besser mit dem Dossier auskennen. Unser Job ist auf dem Platz und den haben wir in dieser Saison mehr als gut erledigt. Das Ziel war es nicht, abzusteigen, und wir haben als erster Verein der zweiten Liga den Klassenerhalt frühzeitig gesichert.
Vorwürfe kommen immer wieder auf, dass die Vereine aus Wallonien stiefmütterlich behandelt werden im Vergleich mit den Klubs aus Flandern. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?
Mit solchen Polemiken will ich mich nicht beschäftigen. Belgien braucht Flandern und Wallonien. Ich habe in beiden Regionen gespielt und glaube nicht, dass es Vor- oder Nachteile für den einen oder anderen gibt. Virton ist nicht sehr beliebt bei den Gegnern, weil die Anreise lang ist, wenn aber alles in unserem Dossier stimmt, dann werden wir diese Lizenz auch bekommen.
Der riesige Personalaufwand ist eines der Probleme beim Erlangen der Lizenz. Wurden die ausstehenden Gehälter bezahlt?
Mitterweile hat der Verein alles geregelt. Allerdings waren wir nicht sehr froh über die Art und Weise, wie wir vom Verein in die Kurzarbeit verfrachtet wurden. Wir hätten es uns gewünscht, dass man mit uns redet und wir unsere Argumente hätten vorbringen können – so wie das in den meisten Profivereinen der Fall war. Leider kam es nie dazu und wir mussten uns mit der Situation abfinden.
Die Entscheidung, die Saison in Belgien zu beenden, wurde noch einmal bis zum 15. Mai aufgeschoben. Sind Sie dafür, weiterzuspielen?
Nein. Die körperlichen Risiken sind zu groß. Derzeit ist keiner so richtig in Form. Ich trainiere zwar zwei bis dreimal am Tag zu Hause, aber um eine Saison wieder aufnehmen zu können, braucht es eine Vorbereitungsphase von vier bis sechs Wochen. In diesem Fall würden wir wieder Mitte oder Ende Juni in die Meisterschaft einsteigen. Das ergibt einfach keinen Sinn.
Zurück zu Ihnen. Sie haben während der laufenden Saison ausgezeichnete Leistungen in Virton abgeliefert. Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit 30 Jahren dort angekommen sind, wo sie bereits lange hätten sein sollen?
Meine Karriere ist nicht nach Plan verlaufen. Ich hatte zwei Kreuzbandrisse im Knie und war, nachdem mein Vertrag bei Standard Liège aufgelöst wurde, sechs Monate arbeitslos. Als ich mich vor zwei Jahren dazu entschieden hatte, vom Erstligisten Malines zum Drittligisten Virton zu wechseln, haben das nur die wenigsten Menschen verstanden. Ich bin ein Wagnis eingegangen, aber ich wusste genau, was ich tue. In den vergangenen zwei Saisons habe ich immer gespielt und habe gute Leistungen gezeigt. Der Wechsel hat sich für mich gelohnt.
Obwohl Ihr Vertrag noch bis 2023 läuft, stehen die Zeichen derzeit auf Abschied. Wie konkret sind die Gespräche mit OH Louvain und anderen Vereinen?
Louvain hat mich ja bereits im Dezember kontaktiert. Solange aber keiner weiß, wie es mit der Meisterschaft weitergehen wird, kann keine Entscheidung fallen. Ich wäre auch nicht abgeneigt, einmal ins Ausland zu wechseln – aber das wäre wegen meiner familiären Situation etwas schwieriger. Derzeit gibt es einige informelle Anfragen bei meinem Berater, aber noch kein konkretes Angebot. Ich mache aber auch kein Geheimnis draus, dass ich noch einmal das höchstmögliche Niveau erreichen will.
Wie schwer wird es werden, aus Ihrem Vertrag, der bis 2023 läuft, herauszukommen?
Ich gehe davon aus, dass sich Möglichkeiten ergeben werden. Virton sollte stolz darauf sein, dass so viele seiner Spieler von Vereinen aus der ersten belgischen Liga gejagt werden. Das zeigt, dass hier gute Arbeit geleistet wurde. Clément Couturier, Edisson Jordanov und Loïc Lapoussin sind derzeit sehr stark umworben.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie keine Zeit mehr verlieren dürfen und der nächste Schritt in Ihrer Karriere in der kommenden Saison erfolgen muss?
Ich fühle mich nicht unter Druck gesetzt. Gianluigi Buffon, mein ehemaliger Teamkollege Jean-François Gillet und andere Torhüter haben gezeigt, dass man auch mit über 40 Jahren noch leistungsfähig sein kann. Ich habe derzeit sehr viel Freude am Fußballspielen und will, dass dies in den kommenden Jahren so weitergeht.
Mit Kevin Malget und Dave Turpel stehen zwei weitere Teamkollegen und Luxemburger Nationalspieler vor einer ungewissen Zukunft. Welche Perspektiven haben die beiden?
Kevin hat ein bisschen mehr Spielzeit bekommen als Dave und dadurch auch mehr Möglichkeiten, sich zu zeigen. Beide können sich langfristig in einem Verein wie Virton durchsetzen. Wie ihre Zukunft aussieht, weiß ich jedoch nicht, weil wir in den vergangenen Wochen keinen Kontakt hatten.
Im September startet die zweite Ausgabe der Nations League. Was erhoffen Sie sich gegen Montenegro, Aserbaidschan und Zypern?
Es ist beruhigend, zu wissen, dass die Mannschaft immer mehr Klasse bekommt und die jungen Talente sich stetig weiterentwickeln und in ihren Vereinen auch zu den Stammkräften zählen. Es freut mich, dass Danel Sinani den Sprung zu Norwich City gepackt hat. Wir haben eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern, aber wir dürfen uns jetzt nicht überschätzen. In dieser Gruppe gibt es keinen richtigen Favoriten und jeder kann jeden besiegen.
Ich bin ein Wagnis eingegangen, aber ich wusste genau, was ich tue
Steckbrief
Name: Anthony Moris
Geboren am 29.4.1990
Position: Torwart
Bisherige Vereine: RCS Habay, Standard Liège, Saint-Trond, FC Malines, Excelsior Virton (alle B)
Leistungsdaten Saison 19/20: 24 Spiele für Virton in der zweiten belgischen Liga (10x zu null)
Nationalmannschaft: 28 A-Länderspiele für Luxemburg
Darum geht es
Wegen hoher Personalkosten und eines Stadions, das den Vorgaben nicht entspricht, hat Virton in erster und zweiter Instanz die Lizenz für die zweite Liga nicht vom belgischen Fußballverband RBFA erteilt bekommen. Erhält der Verein von Mäzen Flavio Becca heute vor dem Schiedsgericht die Lizenz nicht, steigt der Club in die vierte Liga ab. Becca und seine Anwälte haben in den vergangenen Wochen bereits zum Gegenschlag ausgeholt: Man möchte vor dem belgischen Schiedsgerichtsausschuss für Sport die Lizenzbedingungen für Profifußball anfechten. „Die aktuellen Regeln greifen die wirtschaftliche Freiheit der Vereine an“, steht unter anderem in einer Pressemitteilung von Excelsior Virton. del
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