Auf den Punkt mit Sébastien Grandjean (Fola) / „Ich werde wohl nie im Leben Urlaub in Ararat machen“
In unserer Rubrik „Auf den Punkt mit“ fühlen wir Akteuren aus der BGL Ligue auf etwas andere Art auf den Zahn. In der heißen Phase der Saison geht es mit Fola-Trainer Sébastien Grandjean um ein Skandalspiel in Antwerpen, belgische Fritten und ein Hesperinger Duo.
Tageblatt: Haben Sie in Ihrer Praxis bereits Spieler aus gegnerischen Mannschaften behandelt?
Sébastien Grandjean: Da muss ich überlegen … Ja, es gab wohl schon den einen oder anderen. Namen darf ich ja keine nennen. Aber wenn jemand in die Praxis kommt, dann ist es, weil er ein Problem hat. Das Verhältnis ist also beruflich und professionell, zwischen Patient und Physiotherapeut. Einmal hatte ich sogar scherzhaft gemeint, dass ich diesen Spieler nicht zu schnell wieder auf die Beine bringen würde, um etwas Zeit zu schinden. Da wird dann bei aller Seriosität auch schon mal gelacht.
Seit 23 Jahren sind Sie inzwischen in Esch als Physiotherapeut tätig. Merken Sie mittlerweile gleich, ob auf dem Rasen eine Verletzung nur simuliert wird?
Definitiv, ja. Das spürt man einfach. Es gibt zwei Aspekte. Einerseits hat man als Trainer die Erfahrung, um zu sehen, wie intensiv das Duell beispielsweise geführt wurde. Der Physiotherapeut beginnt seine Analyse ja auch immer mit einer Fragerunde zur Entstehung der Schmerzen. Wenn man da die richtigen Fragen stellt, ist man nie sehr weit von der Diagnose. Beim Spiel sehe ich die Aktion ja dann mit eigenen Augen und weiß demnach sehr schnell, wie schlimm die Verletzung tatsächlich ist.
Bei der Fola spricht man ja gerne von Folamen-Gentlemen. Wie viel „Gentleman“ steckt während eines Fußballspiels in Ihnen?
Mir wurde beigebracht, allen Menschen, mit denen ich zu tun habe, mit Respekt gegenüberzutreten. Das ist schon mal der Grundgedanke. Im Fußball geht es allerdings auch um Resultate, weshalb die Emotionen schon mal hochkochen können. Was mich stört, ist, wenn ich keinen gegenseitigen Respekt vom Gegner spüre. Wenn jemand an mir vorbeiläuft, ohne „Guten Tag“ zu sagen, dann ist es eben so. Dann grüße ich auch nicht. Da mache ich mir nichts draus. Ich war nie ein Heuchler.
Gab es ein Erlebnis in Ihrer Karriere, bei dem Sie die Nerven verloren haben?
Es gab eine extrem komplizierte Situation, damals in der zweiten belgischen Liga in Antwerpen (2009, als er Trainer des Excelsior Virton war). Es war zu einem Moment, als wieder überall über Dutroux geredet wurde (seine Verhaftung war damals gerade fünf Jahre her). Uns wurde in der Schlussphase ein Elfmeter verwehrt, es ertönten Sprechchöre mit „Wallons dehors“ oder sogar „Les Wallons sont des pédophiles“. Die Atmosphäre im Stadion war unglaublich aufgeheizt, fast nicht zu ertragen. Ich hatte meine Spieler damals aufgefordert, mit einer Sitzblockade auf dem Rasen zu reagieren. Wir haben auf friedliche Weise protestiert. Diese Geschichte schlug damals hohe Wellen. Es war in dieser Situation einfach unmöglich, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Vor wenigen Wochen haben Sie sich in einem Interview mit TV Lux als „homme de défis“ beschrieben. Was hat das für Ihre Karriere bedeutet?
Ich bin jemand, der keine Schwierigkeiten scheut. Ich suche keinen Komfort. Ich habe meine Studien mit Fußball kombiniert, bin früh von zu Hause ausgezogen, um spielen zu können. Ich habe kurz in Frankreich gearbeitet und dort auch meine Frau kennengelernt. In meinem ganzen Leben habe ich nichts Konventionelles gemacht. Ruhige Phasen, in denen ich nur meinen Beruf ausgeübt habe, dauerten nie lange an. Ich bin jemand, der die Herausforderung sucht und oft müde ist. Es ist eher selten, dass ich um 16.00 Uhr nach Hause komme und mir eine Stunde später ein Bier auf der Couch gönne … Sehr selten sogar.
Irrt sich „L’oeil de Sébastien Grandjean“, Ihre Rubrik im „Le Quotidien“, nie?
Das Auge von Sébastien Grandjean ist selbstverständlich nicht unfehlbar. Aber ich sage die Dinge, wie ich sie sehe. Ich bin direkt und ehrlich. Jeder Mann, jede Frau, jede Person analysiert eine Situation anders. Das kann mit der Erfahrung, der Tagesform oder dem Charakter zusammenhängen. Ich beurteile das, was ich sehe. Es gibt sicher immer Leute, die Dinge anders bewerten. Aber man fragt mich eben nach meiner Meinung. Zudem gefällt es mir, zu diskutieren. Ich höre mir gerne andere Sichtweisen an. Aber Personen, die nicht kompetent sind, scheuen Diskussionen.
Im Oktober 2012 haben Sie die Jeunesse in Richtung La Louvière verlassen. Würde Sie ein Abenteuer im Profi-Zirkus heute noch reizen?
Ich habe meinen Vertrag gerade verlängert und habe mich in Esch immer sehr wohl gefühlt, sowohl bei der Jeunesse als jetzt auch bei der Fola. Natürlich würde es mir gefallen, noch einmal einen belgischen Erstdivisionär zu trainieren. Damit würde sich der Kreis schließen, da ich ganz unten angefangen habe. Wenn es nicht dazu käme, würde das nicht bedeuten, dass mir irgendetwas fehlt. Ich bin sehr ruhig und zufrieden. Allerdings ist die Karriere mit 51 ja noch lange nicht vorbei und es würde mich freuen, einige alte flämische Kollegen wiederzusehen, zu denen ich einen guten Draht hatte.
Was war in dieser Saison schwerer zu verkraften: der nicht gepfiffene Elfmeter gegen Sheriff, die Niederlage gegen Ararat oder die drei letzten Pleiten in der BGL Ligue?
Jeder dieser Momente hat einen anderen Kontext, aber Ararat (2:3-Niederlage in der Europa League) war sicherlich der härteste Moment. Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele Trainer so eine Situation bereits erlebt haben, in der die Qualifikation trotz 3:1-Führung in der 90. Minute verpasst wird. Ich habe zwei Tage gebraucht, bevor ich überhaupt wieder reden konnte. Das war sehr, sehr schwer. In der Champions League habe ich mich aufgeregt, dass dieser Elfmeter nicht gepfiffen wurde, weil wir ungerecht behandelt worden sind. Ich sah Gelb. Jürgen Klopp hätte den Schiedsrichter wohl erwürgt. Für die drei Liga-Niederlagen gibt es sportliche Gründe. Die kann man erklären, während wir bei dem Quali-Spiel ganz einfach beraubt worden sind. Also eins steht fest, ich werde wohl nie im Leben Urlaub in Ararat machen!
Vor zwei Wochen haben wir an dieser Stelle Pascal Carzaniga die gleiche Frage gestellt: Ihr Verhältnis ist kompliziert. Warum?
Er war Trainer in Bleid und ich in Virton. Sie waren damals in der vierten Liga und wir in der zweiten. Die Attitüden, Worte und Taten, zu denen es damals kam, machen es für mich einfach unmöglich, noch etwas mit Pascal Carzaniga zu tun zu haben. Das ging alles zu weit. Ganz egal wie er es sagen oder formulieren mag, Virton ist nicht sein Herzensklub. Damals hat er nämlich alles getan, um den Klub zu versenken. Das werde ich nie vergessen. Ich kann ihm „Guten Tag“ sagen, aber nichts weiter. Ich weiß, dass der Respekt nur Fassade ist. Und in so einem Fall interessiert mich der Respekt nicht.
Um beim Thema Hesperingen zu bleiben: Ist das Kapitel um eine Zusammenarbeit mit Flavio Becca definitiv Geschichte?
Das Verhältnis zwischen Flavio und mir ist ganz klar: Wenn es ein Problem gibt, sagen wir uns die Dinge unter Männern. Er hat einen riesigen Einfluss, aber eben auch sehr viele Mitarbeiter, die alles dafür tun, dass sie es auch bleiben. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Während er im Immobiliengeschäft tätig ist, pflege ich Menschen … Wenn es darum gehen würde, nur mit ihm zu arbeiten, würde mir das keine Probleme bereiten. Allerdings ist es mit diesen Leuten, die sich unter ihm ständig selbst beschützen, unmöglich.
Welches belgische Bier würden Sie den Neuankömmlingen aus Portugal empfehlen? Und um die kulinarische Runde abzuschließen: Wo gibt es die besten „frites belges“?
Ganz klar: die heilige „Orval“. Da kommt man in der Region einfach nicht dran vorbei. Danach würde ich ihnen auch „Station 16“ vorschlagen. Mein Cousin wird diese Marke auf den Markt bringen, die wird exzellent. Keine Zweifel gibt es auch für die Pommes, die besten sind die „frites au fromage d’Arlon“. Die sind eine Institution. Allerdings absolut nicht sportlertauglich. „Mais purée, qu’est-ce que c’est bon …“ Es ist unglaublich, dass zwei bis drei Pommesbuden der Region in den Top 10 des Landes geführt werden. Übrigens, als Zusatzinformation – für Sportler und alle andern: Es dauert 72 Stunden, um eine Portion Pommes zu verdauen. Da muss man also genau wissen, wann man sie isst …
2 Fragen zum Wochenende
Wie angeknackst ist die Moral in der Fola-Kabine tatsächlich?
Am Montag war es für uns logischerweise nicht ganz einfach. Leider ist es uns im zweiten Teil der Saison nicht mehr gelungen, alles genauso abzurufen wie in der ersten Runde. Das haben wir uns selbst zuzuschreiben. Meine Rolle war es allerdings auch, dazu beizutragen, dass jetzt nicht jeder alles nur schwarz sieht. Um das noch einmal klarzustellen: Es war nicht vorgesehen, dass wir um den Titel spielen würden. Ziel war eine Europapokal-Quali und Nachwuchsspieler einzubauen. Das ist uns beides gelungen. Noch haben wir auch die Möglichkeit, Meister zu werden.
Dafür darf aber gar nichts mehr schiefgehen, angefangen mit dem Duell gegen Déifferdeng 03 …
Sollte es am Ende auf das Torverhältnis angekommen, haben wir mit unserem Nachholspiel einen Vorteil, da für uns eine zusätzliche Möglichkeit besteht. Klar ist unser Restprogramm eine starke Nummer, aber vielleicht ist das umso besser. Es bringt nichts, den drei Niederlagen nachzutrauern und sich zu sagen, dass wir mit drei Siegen schon Meister wären. Das sind Fan-Aussagen.
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