Jeff Saibene / Netflix, Reflexion und die Familie
Nach der Arbeitslosigkeit kam die Quarantäne. Luxemburgs erfolgreichster Trainer Jeff Saibene hat derzeit ungewöhnlich viel Zeit, sich mit seiner Frau und seinen Söhnen zu unterhalten. Im Tageblatt-Interview spricht der Wahlschweizer über neue Unterhaltungsmöglichkeiten, falsche Entscheidungen und Angebote aus Luxemburg.
Herr Saibene, wie verbringen Sie Ihre Zeit in der Quarantäne?
Es kommt schon ab und zu ein bisschen Langeweile auf, aber derzeit sehe ich mir vor allem ältere Spiele aus meiner Zeit bei Arminia Bielelfeld an. Ich analysiere, was ich hätte anders machen können – vor allem auf taktischer Ebene. Es geht um die kleinen Feinheiten, die für mich als Trainer wichtig sind. Während ich diese Spiele schaue, bekomme ich wieder einmal vor Augen geführt, wie nah Glück und Pech aneinanderliegen und dass man nicht immer Einfluss auf das Geschehen hat.
In den vergangenen Jahren waren Sie eigentlich ständig unterwegs. Jetzt sehen Sie Ihre Frau und Ihre beiden Söhne täglich. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
In der Tat sind wir es nicht gewohnt, dass alle unter einem Dach sind. Wir kommen ganz gut miteinander klar, das ist keine neue Feststellung, aber ein ungewohntes Gefühl. Mit meiner Frau sehe ich sehr viel auf Netflix. Wir haben zwar bereits seit Jahren ein Abo, ich habe es jedoch fast nie genutzt. Wir haben gerade die Serie Shtisel zu Ende geschaut, in der es um das Leben einer ultra-orthodoxen Familie in Israel geht. Es ist schon sehr spannend, einen Blick in diese Kultur zu werfen und zu sehen, wie sich diese Menschen verhalten. Am Mittwochabend haben wir die Serie Unorthodox begonnen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Schweiz gut mit der Situation umgeht?
Ich denke schon. Vergangene Woche haben die Frisöre, die Physiotherapeuten und einige Läden ihre Türen wieder geöffnet. Am kommenden Montag kann man wieder in Restaurants und Großgeschäfte gehen. Es sieht derzeit danach aus, als wäre die Schweiz anderen Ländern einen Schritt voraus. In einem halben Jahr werden wir wohl aber erst wissen, wer es richtig gemacht hat und wer nicht. Manchmal erinnert mich diese Situation an den Fußball: So viele Meinungen und so wenig Ahnung.
Manchmal erinnert mich die Corona-Krise an den Fußball: So viele Meinungen und so wenig Ahnung.Trainer
Was fehlt Ihnen derzeit besonders?
Ich vermisse es, mich auf ein Fußballspiel zu freuen, das ich mir am Abend ansehen kann. Auf dem Platz zu stehen, fehlt mir derzeit nicht so sehr.
Im März wurden Sie beim FC Ingolstadt entlassen. Wie bewerten Sie diese Erfahrung rückblickend?
Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommen würde, hätte ich den Job wohl nicht angenommen. Die 3. Bundesliga ist uninteressant. Es wird viel „gehämmert“ und wenig Fußball gespielt. Darüber kann auch die tolle Infrastruktur in Ingolstadt nicht hinwegtäuschen. Der Verein hatte Geld und wir haben zu jedem Auswärtsspiel das Flugzeug genommen. Solche Voraussetzungen sind aber nicht alles im Leben. In Bielefeld hat die ganze Stadt für den Fußball gelebt. Dort konnte ich fast nicht unerkannt auf die Straße gehen, in Ingolstadt hat mich hingegen fast keiner erkannt. Das ist auch nicht schlimm, sagt aber viel über den Stellenwert des Vereins aus.
Kam Ihre Entlassung auch für Sie überraschend?
Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga verließen 22 Spieler den Verein, 16 Neue kamen und der Kader wurde mit jungen Spielern aufgefüllt. Es wurde mir klar versprochen, dass ich zwei Jahre Zeit hätte, etwas aufzubauen. Wahrscheinlich lief es zu Beginn der Saison zu gut. Wir standen dauernd auf dem ersten und zweiten Platz. Als wir dann auf den fünften Rang zurückfielen, brach Panik aus. Die Erwartungen wurden durch den anfänglichen Erfolg zu groß und das führte schlussendlich zu meiner Beurlaubung. Das Thema Ingolstadt habe ich aber schon lange abgehakt.
Welche Lehren ziehen Sie aus Ihren zwei letzten Entlassungen? Gibt es Dinge, die Sie früher hätten erahnen können oder ändern müssen?
Man stellt sich natürlich immer die Frage, ob man zu lange an dem einen oder anderen Spieler festgehalten hat. Von der Art und Weise, wie Fußball in diesen beiden Vereinen gespielt wurde, wie trainiert wurde und taktisch gearbeitet wurde, bin ich aber überzeugt. Rückblickend hatte ich insgesamt von drei Jahren in Bielefeld und Ingolstadt fast zweieinhalb Jahre Erfolg. Vor allem im deutschen Fußball darf man sich aber keine längere Phase ohne Erfolg erlauben.
Auch in St. Gallen hatten Sie mit Durststrecken zu kämpfen, wurden aber nicht gefeuert. Haben die Schweizer mehr Geduld?
Ein Schweizer Verein kann es sich nicht mal einfach so erlauben, einen Trainer zu beurlauben und den nächsten unter Vertrag zu nehmen. Die deutschen Vereine sind finanziell deutlich stärker und können sich so etwas erlauben.
Zurück zur Corona-Krise: In Europa haben sich die wenigsten Verbände dazu entschieden, die Saison abzubrechen. Sollte noch weitergespielt werden?
Ich finde es erschreckend, dass Schalke 04 auf die vierte Rate der Fernsehgelder angewiesen ist, damit dem Verein die Insolvenz nicht droht. An diesem Beispiel sieht man, warum die Bundesligavereine nicht einfach so eine Saison absagen wollen. In der Schweiz sind die Vereine weniger von den Fernsehgeldern abhängig, welshalb ich davon ausgehe, dass hier bald die Saison abgebrochen wird. Ich bin der Meinung, dass eine Saison nicht fortgesetzt werden kann, wenn nicht alle Spieler regelmäßig getestet werden können, um auszuschließen, dass einer das Coronavirus in sich trägt. In vielen Ländern ist das einfach nicht möglich.
Obwohl der Fußball pausiert, steht der Transfermarkt nicht still. Wie sieht es im Traingergeschäft aus?
Es herrscht komplett tote Hose. Mein Vertrag beim FC Ingolstadt läuft noch und ich habe mir noch keine Gedanken über meine Zukunft gemacht. Irgendwann wird sich wieder eine Möglichkeit ergeben.
Sie werden oft gefragt, ob Sie irgendwann zurück nach Luxemburg kommen. Wie konkret waren damals die Gespräche mit Niederkorn?
Präsident Fabio Marochi hatte mich angerufen. Wir hatten ein supernettes Gespräch. Damals hatte ich noch einen Vertrag bei der Arminia in Bielefeld. Irgendwann habe ich ihm vom Inhalt des Kontrakts erzählt. Danach war das Thema sehr schnell vom Tisch. Für einen luxemburgischen Verein ist es unmöglich, Gehälter zu stemmen, die in der 2. Bundesliga geboten werden.
Irgendwann habe ich Fabio Marochi vom Inhalt meines Kontrakts erzählt. Danach war das Thema für Niederkorn sehr schnell vom Tisch.Trainer
Haben Sie noch immer den Wunsch, sich unbedingt in Deutschland durchzusetzen und die Bundesliga anzupeilen?
Ich bin nicht komplett vernarrt in die Bundesliga. Ich will zu einem Verein, der mir ein gutes Gefühl vermittelt und bei dem ich Spaß haben kann. In dem ich einen Sportdirektor habe, mit dem ich auf einer Wellenlänge bin. Das Land spielt eigentlich keine Rolle.
- Analyse zur Nations League: Direkter Abstieg vermieden, aber die Fragen bleiben - 20. November 2024.
- Die Underdogs wollen zeigen, was sie draufhaben - 9. November 2024.
- Fola-Trainer Ronny Souto: „Die Devise muss es sein, an jedem Tag unser Maximum zu geben“ - 26. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos