Der neue Sportminister Georges Engel im Interview / „Ich mache keine Politik, um auf mich aufmerksam zu machen“
Georges Engel ist seit genau 52 Tagen Sportminister. Am 5. Januar 2022 übernahm er das Amt von seinem LSAP-Kollegen Dan Kersch. Im Tageblatt-Interview sagt der ehemalige Sanemer Bürgermeister, dass ihm vor allem das „bénévolat“ und die zivile Karriere für Elitesportler am Herzen liegen. Der 53-Jährige will seine verbleibende Zeit bis zu den nächsten Nationalwahlen vor allem dazu nutzen, die begonnenen Dossiers abzuschließen und die Abläufe im Sportministerium zu verbessern. Engel will mit Arbeit und nicht mit „scoops“ auftrumpfen.
Tageblatt: Herr Engel, nach langen Jahren an der Front mussten Sie kürzlich schweren Herzens Ihr liebstes Hobby aufgeben. Wie sehr schmerzt es, in Zukunft kein Teil mehr der „Knappbléiser“ bei den Heimspielen der AS Zolver zu sein?
Georges Engel: Ich bin einer der Gründer der Musikgruppe, die die AS Zolver bei ihren Spielen musikalisch unterstützt. Damals war ich wohl 13 oder 14 Jahre alt, so lange mache ich das schon. Als ich Bürgermeister von Sanem geworden bin, haben sich bereits einige gewundert, warum ich weiter mit der Posaune auf der Tribüne stand. Als ich dann Abgeordneter wurde, habe ich mir die Frage selbst gestellt, ob ich aufhören soll, doch ich habe entschieden, weiterzumachen. Ich habe selbst 20 Jahre lang Basketball gespielt und dieser Sport liegt mir am meisten am Herzen. Nach rund 40 Jahren als Musiker auf der Zolver Tribüne habe ich jedoch entschieden, jetzt damit aufzuhören. Ich schließe jedoch nicht aus, dass ich die Posaune wieder raushole, wenn wir irgendwann Meister werden sollten.
Ich bin ein Fan, der mit Leib und Seele dabei ist und auch mal laut werden kannSportminister
Im Klartext: Haben Sie sich wegen Ihres neuen politischen Amtes zu diesem Schritt entschieden?
Ja, heutzutage ist es schwer, ein solches Hobby und den Ministerposten zu vereinen. Das liegt auch am wachsenden Einfluss der sozialen Medien. Jeder kann dich filmen und im Handumdrehen landet ein Video im Netz und kann dich in ein schlechtes Licht rücken. Ich bin außerdem ein Fan, der mit Leib und Seele dabei ist und auch mal laut werden kann. Seit ein paar Jahren habe ich meine Emotionen aber besser im Griff. Mittlerweile bekommen auch eher die Spieler zu spüren, wenn ich mal unzufrieden bin. Über die Jahre habe ich nämlich verstanden, dass die Schiedsrichter ihr Bestes geben und man sie deshalb nicht noch anschreien sollte. In dieser Hinsicht hat mir die Posaune oft geholfen. Während der Spiele war ich oft so nervös, da war es schon von Vorteil, wenn ich Musik spielen konnte und in dem Moment keine Luft hatte, um zu schreien.
Anfang Januar sind Sie zum Sportminister vereidigt worden. Welches Dossier haben Sie als erstes in Angriff genommen?
Derzeit treffe ich mich mit allen Verbänden, um herauszufinden, welche Schwachstellen und Wünsche es gibt und was ich in den 18 Monaten, die mir bleiben, noch umsetzen kann. Priorität genießt derzeit auch, dass die Dossiers wie das Velodrom oder die Reform des „congé sportif“ zum Abschluss gebracht werden.
Was bemängeln die Verbände?
Die meisten Verbände wollen, dass die Trainerausbildung weiter vorangetrieben wird, um noch professionellere Strukturen zu schaffen. Thema war auch die Infrastruktur, die für manche Sportarten ausreichend ist und für andere noch nicht.
Welche Dossiers liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die zivile Karriere für Elitesportler. Es gibt Menschen, die nicht zur Armee wollen, und dafür habe ich auch Verständnis. Diesen Athleten muss man die Möglichkeit geben, einen zivilen Dienst innerhalb der Sportgemeinschaft zu leisten. Es liegen bereits erste Entwürfe vor – in den kommenden Monaten wird mehr Klarheit in dieses Dossier kommen. Sehr wichtig ist für mich auch das Thema „Bénévolat“. Heute Morgen (Mittwoch) hatte ich ein Treffen mit dem Basketballverband. Dabei kam auch das Thema Profis zur Sprache. Ich bin der Meinung, dass es nicht gut ist, Meister mit vier oder fünf Ausländern zu werden und dann wegen mangelnder Identifikation Zuschauer und die freiwilligen Helfer zu verlieren. Je stärker die Verbindung zum Verein, desto größer ist auch der Wille, etwas für diesen zu tun. Der „bénévole“ bekommt dann das Gefühl, dass er etwas Sinnvolles für seine Gemeinschaft tut.
In den vergangenen Jahren wurden einige Anreize geschaffen, damit wieder mehr Menschen sich für ihren Klub einsetzen. Ein richtiger Durchbruch gelang nie. Im Gegenteil: Die Zahl der Freiwilligen scheint weiter rückläufig zu sein. Ist die Situation hoffnungslos?
Es ist ein Phänomen der Zeit. Das Ich wird nicht mehr hinter das Wir gestellt. Das gehört bei vielen Menschen zum aktuellen Zeitgeist. Ich habe mein Leben lang das Wir vor das Ich gestellt. Wenn es der Gemeinschaft gut geht, dann geht es auch dem Einzelnen gut. Das ist umgekehrt nicht der Fall. Der Gemeinschaftsgedanke ist nicht komplett verschwunden, aber vielleicht müssen wir uns insgesamt mehr Mühe geben, die Menschen kennenzulernen. Als Kommunalpolitiker war ich immer davon überzeugt, dass 30 Prozent der Bürger der Gemeinde sich irgendwie und irgendwann engagieren. Das passiert vor allem dadurch, dass man sich bei Konzerten oder Sportveranstaltungen trifft und miteinander redet. 70 Prozent der Bürger sieht man allerdings nie. Sie sind im gesellschaftlichen Leben nicht vertreten. Auf diese Menschen muss man vielleicht anders zugehen. Ich habe auch kein Patentrezept für dieses Problem, aber wir müssen weiter versuchen, das Ehrenamt zu fördern. Und deshalb bin ich froh, dass in Zukunft auch Vereinsverantwortliche den „congé sportif“ in Anspruch nehmen können.
Ein Freiwilliger pro Verein wird in Zukunft vier Tage „congé sportif“ in Anspruch nehmen können. Das ist besser als nichts, aber auch nicht sehr viel, wenn man ein ganzes Jahr für einen Verein arbeitet. Gibt es hier eigentlich noch Spielraum?
Es ist nicht so einfach, dies mit den beruflichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Wenn ich mir jetzt die Kappe als Arbeitsminister aufsetze, dann können wir gerne über Arbeitszeitverringerung reden. Ich bin nämlich dafür. Derzeit arbeiten wir nur, um zu leben und nicht umgekehrt. Wenn in Zukunft die Menschen wieder weniger Zeit am Arbeitsplatz verbringen müssen, dann haben sie auch wieder mehr Zeit für andere Dinge, wie zum Beispiel, sich in einem Verein zu engagieren.
Im Oktober 2023 stehen die nächsten Landeswahlen an. Sie haben weniger als zwei Jahre Zeit, um auf Ihre Arbeit aufmerksam zu machen und wiedergewählt zu werden. Wird das Sportministerium unter Georges Engel eine Revolution erleben?
Eine gute Frage, die sehr gut zu mir passt. Ich mache keine Politik, um auf mich aufmerksam zu machen. Diese Einstellung zieht sich wie ein roter Faden durch meine politische Laufbahn. Als Bürgermeister habe ich nie versucht, mit großen „scoops“ auf mich aufmerksam zu machen.
In Sanem hatten Sie aber auch mehr Zeit, um etwas zu bewegen.
Das stimmt wohl, was ich aber damit sagen will, ist, dass ich nicht dauernd in der Öffentlichkeit stehen muss. Das ist eine Art, Politik zu machen, die nicht unbedingt falsch ist, aber es ist nicht mein Weg. Ich habe mir einige Ziele gesetzt und will diese erreichen. Auch wenn es sich dabei um Projekte handelt, die von meinem Vorgänger stammen. Diese Dossiers sind mir wichtig, sonst würde ich sie nicht vorantreiben wollen. Wichtig ist für mich auch, dass die internen Abläufe im Sportministerium optimiert werden. Das habe ich damals als Bürgermeister der Gemeinde Sanem auch so gemacht. Die Abläufe sollten gut für den Bürger und die Menschen sein, die dort arbeiten. Das ist kein „scoop“, aber mittlerweile ist Sanem eine ultramoderne Gemeinde. Und in diese Richtung will ich auch hier gehen.
Ich wäre zu den Olympischen Spielen nach Peking geflogen, wenn ich länger Minister gewesen wäre und Zeit dafür gehabt hätte. Vor Ort hätte ich den Leuten meine Meinung zu ihrem Regime klar und deutlich gesagt.Sportminister
Ihr Vorgänger Dan Kersch hat den Sport fast nur in Covid-Zeiten erlebt und unter anderem zwei „plans de relance“ ausgearbeitet. Nun ist die Pandemie noch immer nicht vorbei. Wird es die weiteren angekündigten Hilfen für die Vereine und Verbände auch in diesem Frühjahr und Sommer noch geben?
Derzeit wird der letzte „plan de relance“ unter die Lupe genommen und es ist sehr wahrscheinlich, dass noch ein weiterer hinzukommen wird. Wie dieser aussehen wird, wissen wir noch nicht. Ich kann derzeit noch nicht sagen, welche Maßnahmen am besten gefruchtet haben. Fest steht, dass es das Förderprogramm „qualité+“ weiterhin geben wird, das für mehr Professionalität und bessere Betreuung steht.
Derzeit ist der Posten des für Sport zuständigen Regierungskommissars nicht besetzt. Dan Kersch wollte ein Gesetzesprojekt auf den Weg bringen, in dem die Anforderungen für diesen Posten heruntergeschraubt worden wären. In welche Richtung wollen Sie gehen?
Auch diese Frage kann ich derzeit noch nicht beantworten, da ich nicht weiß, in welche Richtung ich gehen will. Ich habe die Überlegung von Dan Kersch sehr wohl verstanden, weil wir als Sportministerium nicht die Ersten wären, die eine solche Richtung einschlagen würden. Ich weiß auch noch nicht, ob es in Zukunft noch einen Sportkommissar geben wird – ich will es aber auch nicht ausschließen. Generell sehe ich die Sache so: Für verschiedene Posten muss man auch nicht Arzt oder Jurist sein. Die berufliche Qualifikation ist wichtig, aber auch nicht alles.
Aber ein Minimum an Qualifikation muss doch vorhanden sein?
Damit bin ich einverstanden.
Laut Arbeitsrecht gibt es in Luxemburg keine Profisportler. Vor allem die Fußballer wollen, dass sich das bald ändert. Wie ist der Stand der Dinge?
Kürzlich hatte ich eine parlamentarische Anfrage zu diesem Thema. Am 31. März 2021 hatten wir laut CNS offiziell 116 Profisportler. Bei der Gesundheitskasse haben Profisportler also einen eigenen Status. Es gibt vor allem im Fußball viele Sportler, die keinen richtigen Arbeitsvertrag besitzen und trotzdem hauptberufliche Sportler sind. Das ist ein Problem, mit dem wir uns befassen und ich hatte bereits ein Gespräch mit der FLF zu diesem Thema. In den vergangenen Jahren haben sich schon einige Leute die Zähne an diesem Dossier ausgebissen. Das große Problem beim Arbeitsvertrag für Sportler ist, dass die Vereine dann auf einmal begründen müssen, warum sie ihre Spieler nicht mehr halten und bezahlen wollen. Es ist ein juristisch komplexes Dossier.
Derzeit müssen sehr viele Kinder teils monatelang warten, um einen Termin bei der sportmedizinischen Untersuchung zu bekommen und dürfen deshalb nicht an der Meisterschaft teilnehmen. Der „médico sportif“ scheint zur großen Baustelle geworden zu sein?
Ich kenne das Problem und es muss dringend etwas unternommen werden. Am INS haben wir unsere Mannschaft mit einer Sportmedizinerin verstärkt und vor ein paar Tagen habe ich Verträge mit einer Handvoll Ärzte unterschrieben, die in diesem Bereich zum Einsatz kommen werden. Generell muss man sich beim „médico“ die Frage stellen, ob nicht einige Kontrollen von Hausärzten durchgeführt werden können. Ich stelle die Sportmedizin und ihre Wichtigkeit nicht in Frage, es ist legitim, dass jeder versucht, seine „chasse gardée“ zu behalten, aber die Allgemeinärzte sind ja auch nicht auf den Kopf gefallen.
Zum Abschluss noch ein kontroverses Thema. Sie haben sich entschieden, nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Peking zu reisen. Als Grund nannten Sie, dass Sie sich in Ihre neuen Aufgaben einarbeiten müssen. War das eine willkommene Ausrede, um die Spiele nicht offiziell zu boykottieren?
Eines vorweg: Ich finde es nicht gut, dass in China die Menschenrechte nicht respektiert werden, dass es keine Pressefreiheit gibt und dass Menschen teilweise unter unmöglichen Bedingungen arbeiten müssen. Bei der Vergabe von Turnieren sollten Kriterien ausgearbeitet werden, dazu gehören dann für mich u.a. Menschenrechte und Pressefreiheit. Wenn wir das schaffen würden, dann hätten wir schon viel erreicht. Um zur Frage zurückzukommen: Ich wäre nach China geflogen, wenn ich länger Minister gewesen wäre und Zeit dafür gehabt hätte. Vor Ort hätte ich den Leuten meine Meinung zu ihrem Regime klar und deutlich gesagt. Das ist auch eine Möglichkeit, an eine Sache heranzugehen.
Steckbrief
Name: Georges Engel
Geboren am 7.9.1968 in Differdingen
Studium und Ausbildung: Hochschulstudium an der EIULB („École d’infirmière Université libre de Bruxelles“), welches er 1991 mit einem Diplom als graduierter Sozialkrankenpfleger abschloss. Im Anschluss an Ergänzungskurse erwarb er ein Diplom als Sozialhygieneassistent.
Beruflicher Werdegang: Ab 1991 war Georges Engel als Sozialarbeiter mit paramedizinischer Ausbildung im Sozialmedizinischen Zentrum in Differdingen tätig.1997 wechselte er die Stelle und wurde Leiter des sozialmedizinischen Schuldienstes der Gemeinde Petingen.
Politischer Werdegang: Seit 1993 Mitglied der LSAP, 1997 wurde er in den Sanemer Gemeinderat gewählt. Von 2005 bis 2020 Bürgermeister in Sanem. Seit 2012 Mitglied der Abgeordnetenkammer. Im Januar wurde er Vorsitzender der sozialistischen Parlamentsfraktion. Seit dem 5. Januar 2022 Sport- und Arbeitsminister.
Sportlicher Werdegang: Während 20 Jahren aktiver Basketballer bei der AS Zolver
- Analyse zur Nations League: Direkter Abstieg vermieden, aber die Fragen bleiben - 20. November 2024.
- Die Underdogs wollen zeigen, was sie draufhaben - 9. November 2024.
- Fola-Trainer Ronny Souto: „Die Devise muss es sein, an jedem Tag unser Maximum zu geben“ - 26. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos