Europameisterschaft / „Keine Kleinigkeit“: Frankreich glücklich im EM-Viertelfinale
Ein Eigentor erlöst die schwachen Franzosen im EM-Achtelfinale gegen Belgien.
Kylian Mbappé zog die Maske ab, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und lächelte. Unglücksrabe Jan Vertonghen stand ein paar Meter weiter – wie eingefroren und mit leerem Blick. Während die Franzosen um ihren angeschlagenen Superstar Mbappé mit ihren Fans in Düsseldorf das 1:0 (0:0) und den hart erkämpften Einzug ins EM-Viertelfinale feierten, haderten die Belgier mit ihren vergebenen Chancen. Mit den Händen in den Taschen schlich Trainer Domenico Tedesco durch die Reihen der Enttäuschten.
Einen Schuss des eingewechselten Randal Kolo Muani hatte Belgiens Abwehrroutinier Vertonghen (85.) entscheidend ins eigene Tor abgefälscht. Schon beim ersten Auftritt, ebenfalls in Düsseldorf, gegen Österreich hatte Frankreich von einem Eigentor profitiert. Die Bilanz bisher: Zwei Eigentore, ein Elfmeter, aber die französischen Minimalisten bleiben im Turnier. Trainer Didier Deschamps störte sich nicht an den Statistiken. „Man muss das genießen, das ist keine Kleinigkeit“, sagte der Weltmeistertrainer von 2018: „Wir sind einen Schritt weiter. Das darf gern so weitergehen. Wir hatten gute Chancen, aber der Gegner war auch stark.“ Die L’Equipe titelte: „Die Erlösung!“ Kolo Muani betonte, er habe im Abschluss „das Glück“ gehabt, das den Kollegen zuvor gefehlt hatte. Frankreich sorgte damit für positive sportliche Schlagzeilen inmitten der Debatte um den Rechtsruck im eigenen Land.
Für den deutschen Trainer Tedesco und Belgien endete dagegen ein enttäuschendes Turnier bereits früh. Bei den vergangenen beiden Europameisterschaften hatte Belgien, WM-Dritter von 2018, noch jeweils das Viertelfinale erreicht, nun steht der einstigen „Goldenen Generation“ wohl der endgültige Umbruch bevor.
Pechvogel Vertonghen
Beide Mannschaften hatten sich mit jeweils durchwachsenen Auftritten in die K.o.-Runde geschleppt, nun sollte es endlich besser werden. Frankreich hoffte dabei natürlich auf Mbappé, der an den Ort zurückkehrte, an dem er sich gegen Österreich seinen Nasenbeinbruch zugezogen hatte. Seine schützende Gesichtsmaske, die er selbst als „Horror“ bezeichnete, sollte dabei keinen negativen Einfluss haben – auch wenn der 25-Jährige bereits beim Aufwärmen pausenlos an ihr herumfuchtelte.
Zunächst überließen die Belgier dem Gegner viel Ballbesitz und lauerten auf schnelle Umschaltsituationen. Auch Mbappe sollte nicht zur Gefahr werden – und wurde deshalb oft von gleich zwei belgischen Spielern im letzten Drittel angegangen. Und so fehlten den Franzosen die zündenden Ideen. Stattdessen näherte sich dann Belgien erstmals dem gegnerischen Tor an. Einen abgefälschten Freistoß von Kevin De Bruyne parierte Keeper Mike Maignan unorthodox mit dem Fuß (24.). Kurz darauf blockte Theo Hernandez im letzten Moment einen Versuch von Yannick Carrasco (27.).
Belgien war nun besser im Spiel – und Mbappé weiterhin fast kein Faktor. Sinnbildlich rutschte dieser in der 29. Minute in aussichtsreicher Position aus, der Frust war ihm deutlich anzumerken. Für eine der wenigen Torchancen sorgte dann quasi aus dem Nichts Teamkollege Thuram, sein Kopfball ging aber knapp am Pfosten vorbei (34.). Unmittelbar vor der Pause löste sich dann Mbappé einmal von seinen zwei Bewachern und fand Aurélien Tchouaméni, dessen Versuch aber über das Tor flog (45.+1). Mit dem Gang in die Kabine nahm Mbappé seine Maske direkt ab, schüttelte den Kopf – es musste besser werden.
Und Frankreich kam offensiv aus der Kabine. Tchouaménis abgefälschten Ball parierte Koen Casteels stark (49.), sieben Minuten später traf Kapitän Mbappé aus guter Position das Tor nicht. Die Franzosen drückten nun mehr, Belgien wehrte sich mit aller Macht. Entlastung gab es durch die gefährlichen Versuche von Lukaku (71.) und De Bruyne (83.). Dann aber schlug Frankreich glücklich zu.
De Bruyne lässt Zukunft offen
Kevin De Bruyne hat nach dem EM-Aus seine Zukunft in der belgischen Fußball-Nationalmannschaft offengelassen. War das 0:1 im Achtelfinale gegen Frankreich in Düsseldorf sein letztes Spiel für sein Land? „Es ist noch zu früh, das zu sagen“, antwortete De Bruyne. „Lass mich das zuerst verarbeiten. Ich werde ruhig bleiben und sorgfältig nachdenken“, sagte der Star von Manchester City.
Der 33-Jährige zählt seit Jahren zu den besten Mittelfeldspielern der Welt, mit dem ewigen Geheimfavoriten Belgien fehlte ihm aber stets das gewisse Etwas für einen großen Titel. In der vergangenen Saison war De Bruyne häufiger verletzt, im Interview mit Het Laatste Nieuws warnte er bereits: „Nächstes Jahr wird mit City ein ganz besonderes Jahr mit etwa 85 Spielen. Das ist sehr viel.“
De Bruyne hatte im August 2010 sein Debüt für die Nationalmannschaft gegeben. Bei der WM 2014 absolvierte er sein erstes großes Turnier, damals hatte er eine starke Saison bei Werder Bremen hinter sich und stand vor dem Wechsel zum VfL Wolfsburg. 2018 in Russland spielte er mit Belgien das erfolgreichste Turnier, kam aber nach einer Niederlage im Halbfinale gegen Frankreich nur auf Platz drei. (SID)
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