Tour de France / Kolumne von Petz Lahure: „In dubio pro reo“*: Wer zweifelt am „Überflieger“ Tadej Pogacar?
Wie erwartet gewann Tadej Pogacar gestern seine dritte Tour de France. Die Art und Weise, wie dies geschah, aber ruft die Zweifler auf den Plan.
Tadej Pogacar ist am Ziel seiner Träume. Genau 56 Tage nach seinem Gesamterfolg beim Giro d’Italia gewann er nach 2020 und 2021 bereits zum dritten Mal die Tour de France. Der slowenische Ausnahmefahrer zog damit gleich mit dem Italiener Fausto Coppi (1949, 1952), dem Franzosen Jacques Anquetil (1964), dem Belgier Eddy Merckx (1970, 1972), dem Franzosen Bernard Hinault (1982, 1985), dem Iren Stephen Roche (1987), dem Spanier Miguel Indurain (1992, 1993) und dem Italiener Marco Pantani (1998), die ebenfalls im selben Jahr sowohl bei der Italien- als auch der Frankreich-Rundfahrt erfolgreich waren.
Noch weit von Merckx
Mit 25 Jahren bleibt Tadej Pogacar seinem Vorbild Eddy Merckx zumindest in einer Hinsicht ein kleines Stück voraus. Der Slowene ist ein Jahr jünger als der Belgier (26) bei seinem dritten Toursieg. 16 Etappenerfolge hat Pogacar bisher auf seinem Konto (Merckx 34), 42 Tage fuhr er in Gelb (Merckx 97), 6 Etappen gewann er in ein und derselben Tour (Merckx 8).
Den einen oder andern „Rekord“ kann der Slowene dem Belgier in den kommenden Jahren vielleicht abjagen. Ein Riesenstück Weg aber bleibt Pogacar noch, um die Gesamtbilanz von Merckx auch nur annähernd zu erreichen. Im Laufe seiner Karriere fuhr Eddy 525-mal als Sieger in Ziel. Tadej brachte es bisher auf 83 Erfolge.
Über Pogacar, insbesondere aber über seinen Sieg in dieser Tour, gehen die Ansichten der Fachleute weit auseinander. Die einen reden vom neuen Kannibalen, wobei das ältere Exemplar dieser Gattung ja Eddy Merckx himself ist, die andern reiben sich verwundert die Augen und fragen in die Runde, ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Verrückt
Obwohl es im Radsport, wie in allen Sparten des Lebens, Ausnahmen gibt und es in der Natur der Dinge liegt, dass der eine größer, schöner oder stärker ist als der andere, muss man sich jedoch angesichts des Bergsprints von Pogacar zum „Plateau de Beille“ in den Pyrenäen Fragen stellen.
Der Slowene war auf der 15,8 km langen und durchschnittlich 7,9-prozentigen Steigung nicht eine, auch nicht zwei, sondern gleich drei Minuten und 49 Sekunden schneller als Marco Pantani beim bisherigen Rekordanstieg aus dem Jahre 1998, der Zeit des fast universellen Blutdopings. Einen Tag zuvor, im Anstieg zum Pla d’Adet, hatte Pogacar auch die Bestleistung von Lance Armstrong, dem ungekrönten König in Sachen Doping, um zwei Minuten verbessert.
Spätestens seit der unglückseligen Ära des Amerikaners mit den sieben aberkannten Toursiegen sollte man vorsichtig sein. Was damals alles an Lobhudeleien über Armstrong abgedruckt und auch von den Rundfunk- und Fernsehreportern in alle Welt hinausposaunt wurde, geht nicht auf die berühmte Kuhhaut. Der warnende Finger wurde von den meisten erst erhoben, als es längst zu spät war.
Die Schnüffler
Die neueste Masche bei verschiedenen Mannschaften im Peloton (darunter auch Pogacars UAE-Truppe und Vingegaards Visma-Lease-a-Bike-Team) soll eine Kohlenmonoxid-Methode sein, die nicht verboten ist und Effekte wie nach einem Höhentrainingslager erzielt. Über einen sogenannten „Rebreather“ atmet der Sportler unter ärztlicher Kontrolle Kohlenmonoxid ein, wodurch die Sauerstoffzufuhr gesteigert wird, was ipso facto zu einer Leistungsverbesserung führen muss.
Wie lange diese Methode erlaubt bleibt, wird die Zukunft zeigen. Sollte sie verboten werden, wird irgendjemand mit Sicherheit wieder was Neues erfinden, um sich Vorteile zu verschaffen. Alles läuft ab wie im normalen Leben. Zuerst kommt der Dieb, und dann der Polizist.
Pogacar als einen Überflieger von Apothekers Gnaden abzustempeln, würde dann doch zu weit führen. Erstens liegen keine Beweise von Manipulation vor, und zweitens hat kein anderer für ihn die 3.492 km von Florenz durch Italien, San Marino und Frankreich bis nach Nice heruntergestrampelt.
„Unico“
Reihen wir ihn deshalb in die Galerie der Ausnahmefahrer ein, die sich bisher als Doublé-Sieger Giro d’Italia-Tour de France in die Radsportgeschichte einschrieben. Alles begann 1949 im Giro mit Fausto Coppi, der genau wie Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain gleich zweimal das Kunststück eines Doppelerfolges in den beiden größten Rundfahrten schaffte.
Coppi war „unico“ (einzigartig). Als der „Campionissimo“ am 10. Juni 1949 auf der 17. Giro-Etappe zwischen Cuneo und Pinerolo seine Show abzog (er lag 192 km allein in Front und gewann die Etappe über fünf Bergriesen mit 11’52“ Vorsprung auf Bartali), meldete sich der italienische Radioreporter Mario Ferretti mit folgendem Satz, den noch heute ganz Italien auswendig kennt: „Un uomo solo al comando, la sua maglia è biancoceleste, il suo nome è Fausto Coppi“ („Ein Mann allein in Führung, sein Trikot ist weiß-himmelblau, sein Name ist Fausto Coppi“). Weiß und Himmelblau waren damals die Farben des legendären Bianchi-Leibchens, des wohl schönsten aller Rennfahrer-Trikots bis heute.
In Luxemburg …
Ins Großherzogtum zog es Coppi, den Piemonteser, mehrere Male, so zum Petinger Kriterium oder 1949 zur internationalen Bahnveranstaltung im damaligen Niederkorner Velodrom. Nostalgie pur kommt auch auf, wenn man an Eddy Merckx oder an Bernard Hinault denkt. Merckx holte sich seine Doublés 1970 und 1972, Bernard Hinault 1982 und 1985.
In Luxemburg feierte Eddy Merckx mehrere schöne Erfolge. 1967 gewann er die letzte Etappe der Fernfahrt Paris-Luxembourg, die in Nancy startete. Zwei Jahre später trug er das Schlussklassement dieses Rennens davon, nachdem er in Luxemburg die zweite Etappe mit Start in Rethel für sich entschieden hatte. Am 17. September 1974 gewann Merckx zudem ein Omnium mit dem zu früh verstorbenen Roger Gilson.
Hinault siegte fünfmal bei der Frankreich-Rundfahrt, und viermal hatte dabei mit Lucien Didier ein Luxemburger die Gelegenheit, an der Seite des Toursiegers zu fahren. Im Hochgebirge diente Didier dem Franzosen oft als Lokomotive, er beendete die Tours an der Seite seines Leaders auf den Plätzen 52 (1978), 29 (1979), 22 (1981) und 25 (1982).
… und Niederkorn
Hinault behauptete sich auch bei der Tour de Luxembourg 1982. In den Jahren 1979 und 1983 verhalf er als Dankeschön seinem Domestiken Lucien Didier zum Erfolg in unserer Landesrundfahrt.
Jacques Anquetil, der fünffache Toursieger, der über Jahre einer der Hauptrivalen von Charly Gaul war, kam am 11. August 1965 neben Raymond Poulidor, Gianni Motta, Julio Jimenez, Rik Van Steenbergen und Jean Stablinski zu einer Gala-Veranstaltung ins Niederkorner Velodrom. Ich erinnere mich, damals als junger Journalist ein Interview mit ihm und Charly Gaul geführt zu haben. Gaul bestritt in Niederkorn eines seiner letzten, wenn nicht gar sein letztes Rennen.
Und da wären auch noch Miguel Indurain, Stephen Roche und Marco Pantani. Der Spanier und der Ire bleiben den Luxemburgern aus der Tour 1992 in Erinnerung. Die Etappe bestand aus einem Einzelzeitfahren über 65 km vom Glacis-Feld Richtung Mosel (Grevenmacher, Ehnen) und zurück in die Hauptstadt.
R.I.P.
Auf der selektiven Strecke legte Indurain den Grundstein zu seinem zweiten Tour-Erfolg. Nach dem Abstecher an die Mosel fegte er über die erst halb fertiggestellte Autobahn und gewann die Etappe mit genau drei Minuten Vorsprung auf seinen Banesto-Mannschaftskollegen Armand De Las Cuevas. Stephen Roche belegte in der Hauptstadt den 7. Rang auf 4‘10“.
Marco Pantani kam nach seinem Doublé Giro-Tour im Juli 1998 zur „Gala Tour de France“, die jahrelang in Meistermanier von unserm Kollegen Marcel Gilles organisiert wurde. Der „Pirat“ gewann das Einladungsrennen vor Tausenden von begeisterten Zuschauern in der Avenue de la Liberté vor Jan Ullrich und Giovanni Lombardi.
Marco Pantani verließ uns mit 34 Jahren am 14. Februar 2004, Marcel Gilles starb zehn Jahre später, am 9. April 2014. Er war 69 Jahre alt.
*) „Im Zweifel für den Angeklagten“
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