Radsport / Lange Reden, manchmal mit Sinn: FSCL-Präsident über den UCI-Kongress in Zürich
Fast neun Stunden dauerte am vergangenen Donnerstag der 193. Kongress der UCI. Mit dabei war in Zürich auch FSCL-Präsident Camille Dahm. Im Gespräch mit dem Tageblatt blickt er auf die wichtigsten Punkte in der Agenda zurück, gibt aber auch tiefere Einblicke in den luxemburgischen Radsportverband.
Ein langer Termin
Fast neun Stunden mussten die Teilnehmer des 193. UCI-Kongresses im Züricher Kongresshaus ausharren. Anwesend waren Vertreter von 119 nationalen UCI-Mitgliedsverbänden aus allen fünf Kontinenten. Die „Fédération du sport cycliste luxembourgeois“ (FSCL) vertraten Camille Dahm und Ed Buchette. „Es dauert einfach alles immer zu lange“, sagt Dahm. „Das Ganze könnte man in drei bis vier Stunden abwickeln und wir könnten raus zu unseren Fahrern.“ Der Kongress fand am Donnerstag statt: an dem Tag, als die Espoirs ihr WM-Rennen bestritten. Den 14. Platz von Arno Wallenborn konnten Dahm und Buchette also nur über einen Stream verfolgen. „Ich habe mich schon immer dafür eingesetzt, dass wir den Kongress an einem Tag machen, an dem keine unserer Sportler draußen Rennen fahren. Es kann nicht sein, dass wir da drinnen stundenlang über Dinge sprechen, aber unsere Sportler im Regen draußen WM-Rennen fahren. Scheinbar gab es in diesem Jahr aber keinen passenden Termin.“
Die neue Espoirs-Regel
Beim UCI-Kongress wurde eine wichtige Regel hinsichtlich der Espoirs getroffen: Ab der kommenden Weltmeisterschaft dürfen Espoirs, die mit einem Profivertrag ausgestattet sind, nur noch bei der Elite starten. Mehr als 15 Fahrer waren am Donnerstag bei den Espoirs am Start, die bereits Profirennen über die gesamte Saison bestreiten. Sieben von ihnen haben sogar schon eine Grand Tour in den Beinen.
Die duale Karriere als richtiger Weg
Ein Problem, das Dahm wirklich nachdenklich macht, ist, dass die Profiteams immer früher zu den Nachwuchssportlern kommen, um sie zu rekrutieren. „Wenn die Radsportler Glück haben, bekommen sie einen Vertrag. Wenn nicht, dann werden sie wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Dann haben die Jungs weder eine sportliche Karriere noch eine schulische Ausbildung. Das Problem ist, dass die Teams immer früher den nächsten Evenepoel haben wollen. Aber diesen Punkt spricht die UCI nicht direkt an, vielleicht intern.“
Dahm, ehemaliger Direktor der „Ecole nationale de l‘éducation physique et des sports“ (Eneps), will seinen Weg aber weitergehen: „Für uns ist ganz klar, dass die duale Karriere, die wir seit zwei Jahrzehnten mit dem Sportlycée aufbauen, der richtige Weg ist. Im Radsport kann es schnell gehen: Ein Sturz und die Karriere ist beendet. Deswegen legen wir das Abitur nahe, dann hat man wenigstens was in der Hand. Aber das wird von den Profiteams durchtrennt. Die holen die Jungs, versprechen ihnen das Blaue vom Himmel und von hundert Jungs kommt einer durch. Wir versuchen sie bis 20 noch dual zu begleiten, aber das wird uns immer mehr genommen. Wenn morgen Patrick Lefevere zu einem Jungen kommt, dann drehen sie durch und auch die Eltern haben dann Tomaten auf den Augen.“
Dahm will den Trend, dass man immer früher Profi werden muss, stoppen. „Ich habe mit Tom Van Damme (Präsident des belgischen Radsportverbands, Anm. d. Red.) gesprochen. Auch er nimmt das Ganze so wahr. Seit vier bis fünf Jahren läuft das schon so. Es werden viel zu früh Talente geholt, manche brennen aus und bringen mit 20 oder 21 keine Leistung mehr. Dann werden sie fallen gelassen.“ Erst kürzlich berichtete das Tageblatt über die luxemburgischen Espoirs: Viele von ihnen geben sich Zeit bis zum letzten Espoirs-Jahr, um Verträge zu bekommen. Wenn sie dann keinen haben, liegt die Überlegung nahe, die Karriere zu beenden. „Frank (Schleck, Anm. d. Red.) wurde mit 23 Profi, auch Jempy war spät dran (mit 24 in die zweite Liga, mit 28 in die WorldTour, Anm. d. Red.). Heute haben wir Jungs, die sich sagen: Wenn ich mit 23 kein Profi bin, dann ist Schluss. Das ist nicht der richtige Weg.“
Eine neue Teamdynamik in Luxemburg
Immer wieder tauchte die luxemburgische Flagge bei der WM auf. Sei es in Form von einem Ergebnis wie von Marie Schreiber (Vierte beim Espoirs-Zeitfahren) oder in Form von Radsportlern in Ausreißergruppen (Christine Majerus, Nina Berton oder Luc Wirtgen). „Seit Jempy (Drucker) und Frank (Schleck) die Mannschaften übernommen haben, bewegt sich was. Die Radsportler spüren, dass die beiden für den Sport brennen und sie nehmen das deswegen voll an. Es fühlt sich sehr gut an. In Zürich hat sich bestätigt, dass wir ein gutes Team sind. Immerhin ist hier die ganze Welt dabei. Und unsere Sportler fahren nicht einfach nur hinterher, sondern vorne mit. Wir haben eine Dynamik im Team, darüber können wir froh sein. Jetzt ist es an uns, von unten herauf neue Talente hervorzubringen. Wir wollen den Youth Cup noch besser umsetzen. Wir werden in naher Zukunft keine riesige Qualität mehr bringen. Aber die Qualität passt für ein kleines Land, wie Luxemburg es ist.“
Dass der nächste Evenepoel aus Luxemburg kommen könnte, ist dabei erst mal nicht in Aussicht. Doch Dahm weiß auch, dass das Großherzogtum in den vergangenen Jahren sehr erfolgsverwöhnt war. „Wir hatten Evenepoels mit Andy (Schleck), Frank (Schleck) und Kim (Kirchen). Das hat auch lange gedauert, vor ihnen Charly Gaul, wir mussten also 50 Jahre warten. Wir hatten dazwischen aber auch gute Radsportler, das dürfen wir nicht vergessen.“ Die Schwierigkeiten, die nächsten Talente zu finden, fangen dabei im eigenen Land an. „Wir haben viel Konkurrenz in Luxemburg. Es gibt Sportarten, die im Trockenen und Warmen sitzen. Es ist an uns, die Kinder für den Sport zu begeistern. Dann kommt noch die Sicherheit im Sport dazu. Aktuell sind wir mit dem Automobilclub in Gesprächen, um auf der Kart-Strecke in Monnerich etwas zu machen. Da wollen wir etwas organisieren, auch in Bezug auf die Sicherheit. Solche Plätze müssen wir im Land finden, damit Eltern sehen, dass da nichts passieren kann und uns ihre Kinder anvertrauen. Wir haben noch einiges zu tun.“
Ein vielversprechender Neuzugang bei der FSCL
Seit etwas mehr als einem Monat hat Brian Nugent den Posten des „Chargé de développement“ inne. Der Ire war 15 Jahre lang beim irischen Verband aktiv, entwickelte sich in dieser Zeit zum Cheftrainer und dann zum Technischen Direktor. Während seiner Amtszeit gewannen irische Radsportler Medaillen bei Paralympics, Welt- und Europameisterschaften in verschiedenen Disziplinen. „Aus bescheidenen Anfängen hat sich das Hochleistungsprogramm zu einem der erfolgreichsten auf der gesamten irischen Insel entwickelt. Nugent war maßgeblich daran beteiligt, dass unser Land in dieser Zeit die Mittel für den Hochleistungsradsport erheblich aufgestockt hat“, schrieb der irische Verband bei seiner Verabschiedung.
Bei der FSCL gehe es laut Dahm aktuell für Nugent darum, den Kontakt zu den Vereinen sowie die Ausbildungen zu verbessern. „Er soll aber der Mann fürs Velodrome werden. Ich werde ihn damit jetzt schon in Verbindung setzen. Das Sportministerium weiß darüber Bescheid. Die Arbeit im Velodrom darf nicht erst losgehen, wenn es eingeweiht ist, sondern viel früher. Er wird dort unser Mann sein: Organisation, Management, Training. Einen besseren für diesen Posten findest du in Europa nicht. Danach schauen wir, wie wir uns intern aufstellen. Sein Posten wird dann frei.“
Der Tod von Muriel Furrer
UCI-Präsident David Lappartient eröffnete den UCI-Kongress am Donnerstagmorgen mit den Worten: „Die Schweizerin Muriel Furrer hat nach ihrem Sturz seriöse Verletzungen erlitten. Sie wurde in einem kritischen Zustand mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen. Sie ist in guten Händen und bekommt die bestmögliche Hilfe. Sie ist im umgeben von ihren Liebsten.“ Nur ein paar Stunden später musste der Franzose während des Kongresses den Tod der Schweizerin mitteilen. Es folgte eine Rede, eine Schweigeminute, ehe der Kongress weiterging. „Wir haben eine Schweigeminute während des Kongresses eingelegt. Mir war es nach viel mehr als nur nach einer Schweigeminute.“ Seit einigen Jahren arbeitet die FSCL eng mit dem Schweizer Radsportverband zusammen. „Wir kennen uns sehr gut. Als sie noch unter uns war, hieß es, dass die Schweizer sich zurückziehen wollten. Aber die Familie bat darum, alles normal weiterzumachen. Deswegen ist die Entscheidung, die WM fortzuführen, die richtige gewesen.“
Strecke von Ruanda vorgestellt
Während des UCI-Kongresses wurde auch die Strecke von der WM im nächsten Jahr in Ruanda vorgestellt. Die Wettbewerbe werden vom 21. bis zum 28. September 2025 ausgetragen. Die Rennen werden den Kletterern entgegenkommen: Allein beim Straßenrennen der Männer müssen bei 267,5 Kilometern insgesamt 5.475 Höhenmeter bewältigt werden. Dabei geht es beim Männerrennen auch den Mount Kigali hinauf – einem Kopfsteinpflasteranstieg mit elf Prozent Steigung. Es wird die erste Rad-WM auf afrikanischem Boden sein. Die UCI will immer globaler werden, das wurde auch beim Kongress spürbar. Insgesamt wurden 16 weitere Austragungsorte für UCI-Weltmeisterschaften bekannt gegeben. Zehn Länder auf vier Kontinenten haben Zuschläge bekommen. So findet beispielsweise die Para-WM auf der Straße 2028 in Queensland (Australien) statt, die Urban-Cycling-WM 2028 und 2029 in Jakarta (Indonesien) und die Junioren-Bahnrad-WM 2028 in Asuncion (Paraguay). Doch auch die europäischen Fans kommen noch auf ihre Kosten, vor allem dürfen sich die Luxemburger über eine nahegelegene WM freuen. 2030 findet die Cyclcross-WM in Namur statt. „Ich bin froh, dass die WM nach Afrika kommt“, sagt Dahm. „Wenn wir über Globalisierung sprechen, dann darf dieser Kontinent nicht vergessen werden. Logistisch gesehen wird das für uns natürlich wieder eine Herausforderung.“
Neuer Präsident 2028
Seit 2016 ist der Diekircher im Amt des Präsidenten der FSCL. In diesem Jahr wurde er beim Kongress ohne Gegenkandidaten wiedergewählt. 24 Klubs sprachen ihm ihr Vertrauen aus, vier enthielten sich und fünf stimmten gegen ihn. Vier Jahre geht sein Mandat nun, aber dann soll Schluss sein. „Ich möchte nicht so auftreten wie Joe Biden“, zwinkert Dahm. „Ich werde sicher nicht mehr kandidieren. Aber bis dahin möchte ich noch einiges bewegen.“
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