Doping / Matthias Kamber: „Der Kampf ist nicht mit Administration zu gewinnen“
30 Jahre seines Berufslebens hat der Schweizer Matthias Kamber dem Kampf gegen Doping gewidmet. Seine Erfahrungen hat er nun, gemeinsam mit dem NZZ-Journalisten Benjamin Steffen, in einem Buch festgehalten. „Der vergiftete Sport. Siege und Niederlagen im Kampf gegen Doping“ hilft einem zu verstehen, wie komplex die Doping-Problematik eigentlich ist und dass einfaches Schwarz-Weiß-Denken viel zu kurz greift. Im Gespräch mit dem Tageblatt erklärt der promovierte Chemiker und langjährige Direktor von Antidoping Schweiz, was ihn über die 30 Jahre angetrieben hat, wieso er die Welt-Antidoping-Agentur kritisch betrachtet und wie es dazu kam, dass er vom Großherzog den „Mérite sportif en argent“ überreicht bekommen hat.
30 Jahre Ihres Berufslebens haben Sie dem Kampf gegen Doping gewidmet. 30 Jahre, in denen Sie mit den negativen Seiten des Sports zu tun gehabt haben. Woher kam die Motivation?
Ich bin mit Sport aufgewachsen und weiß daher, wie viel er einem bedeuten kann. Ich habe den Sport stets in seiner ganzen Vielfalt betrachtet, über Schulsport zum Vereinssport, hin zum Leistungssport und später zum Seniorensport. Wenn man das Ganze betrachtet, sieht man schon, dass es wichtig ist, sich für einen sauberen Sport einzusetzen. Nach dem großen Skandal bei der Tour de France wurde ich oft eingeladen, um über Doping zu referieren. Da waren dann auch Eltern dabei, die sagten, macht bitte etwas, damit unsere Kinder nicht in diesen Sog hineinkommen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass die Bevölkerung einen trägt. In einer Befragung, die wir vor einigen Jahren durchführten, haben 99 Prozent der Befragten gesagt, dass der Sport sich positiv auf die Entwicklung der Jugendlichen auswirke. Und wenn ein Staat zu Recht viel Geld in den Sport investiert, dann hat dieser auch die Verantwortung dafür zu tragen, sauber zu bleiben. Das war meine Motivation.
Ihr Buch trägt den Titel „Der vergiftete Sport“. Wie vergiftet ist der Sport denn?
In jedem Kapitel des Buches wird deutlich, dass der Sport immer nur reagiert und nie agiert hat. Es benötigte immer einen mehr oder weniger großen Skandal, damit sich etwas verbessert hat. In dem Sinne war jeder Skandal auch eine Entgiftungskur. Ich bin aber nicht so blauäugig, dass ich sagen würde, der Sport sei heute komplett sauber. Dennoch denke ich, dass vor allem in den demokratischen, westeuropäischen Ländern sehr viele Fortschritte gemacht wurden. Wir sind aber noch lange nicht überall da, wo wir sein sollten.
Heute wollen Athleten zeigen, dass sie sauber sindehemaliger Direktor von Antidoping Schweiz
Sie denken an den Skandal um das russische Staatsdoping?
Das war für mich eine sehr große Enttäuschung, vor allem weil der Sport nicht energisch genug eingegriffen hat. Das Russland-Problem ist immer noch nicht gelöst, obwohl es bereits 2014 durch den Journalisten Hajo Seppelt aufgedeckt wurde. Der Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten des Welt-Leichtathletikverbands (Lamine Diack wird unter anderem vorgeworfen, Geld für die Vertuschung von positiven Proben bei russischen Athleten angenommen zu haben, d.Red.) hat gerade erst begonnen und das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes gegen die russische Anti-Doping-Agentur wegen der manipulierten Labordaten wurde auf November verschoben. Da haben wir eigentlich wieder versagt und dadurch die Athleten sehr enttäuscht. Vor allem das Internationale Olympische Komitee und die Welt-Antdoping-Agentur haben zu wenig gemacht und es verpasst, ein klares Zeichen zu setzen. Der Russland-Skandal war für mich persönlich ein Grund, etwas früher in Rente zu gehen.
Wieso?
Ich bin einer, der vorangehen will und etwas bewegen möchte. Durch den Russland-Skandal kam so viel administrative Arbeit auf uns zu, die in meinen Augen nicht dabei half, das Problem zu lösen. Da war für mich klar, dass meine Zeit vorbei ist.
Ist Russland der Beweis, dass der Sport nicht in der Lage ist, sich selbst zu kontrollieren?
Eine Kooperation zwischen sportlichen Instanzen und staatlichen Behörden ist der Idealfall. Es gibt einige Länder, wie zum Beispiel Österreich oder Deutschland, in denen es ein Gesetz gegen Sportbetrug gibt. Sobald ein Athlet Geld mit seinem Sport verdient, kann er im Falle eines Dopingvergehens angeklagt werden. Dadurch entstehen sicherlich größere Hemmungen, als wenn man nur sportrechtliche Konsequenzen zu befürchten hat. Solche Gesetze sind ein riesiger Fortschritt für die Dopingbekämpfung.
Sie haben 30 Jahre in der Dopingbekämpfung gearbeitet und in Ihrem Buch erklärt, dass Sie in den Jahren gelernt haben, den Sportlern zu vertrauen.
In den 30 Jahren, in denen ich aktiv war, hat sich sehr vieles geändert. Als ich 1988 in der Dopingbekämpfung anfing, wurde Doping noch als Kavaliersdelikt angesehen. Es wurde vieles genommen, was verboten und nicht nachweisbar war. Die Sportler empfanden die Kontrollen vor allem als störend. Wenn wir irgendwo auftauchten, waren wir nicht willkommen. Über die Jahre habe ich Veränderungen bei den Generationen von Sportlern, Betreuern, Sportmedizinern feststellen können. Zu unseren Aufgaben damals beim Bundesamt für Sport gehörten auch Präventionsarbeit und Ausbildung dazu. Heute wollen Athleten zeigen, dass sie sauber sind, und auch wenn die Kontrollen immer noch als störend empfunden werden, so sind sich die Sportler bewusst, dass sie eben dazugehören. Ich denke, dass wir in den 30 Jahren sehr viel für die Athleten gemacht haben und sie uns deswegen auch vertrauen.
Welchen Stellenwert hat Präventionsarbeit für Sie?
Ich bin ausgebildeter Gymnasiallehrer, von daher war bei mir Prävention und Erziehung immer groß auf die Fahne geschrieben. Wir haben in der Schweiz als eines der ersten Länder eine Medikamentendatenbank online gestellt, auf die Sportler zurückgreifen konnten. Die Medikamente sind in Grün, Orange und Rot unterteilt. Grün für unbedenklich, bei Orange gilt es aufzupassen, zum Beispiel auf die Dosierung, und Rot ist für verbotene Medikamente. Wir wollen den Sportlern immer auch helfen, sich zurechtzufinden. Die Anti-Doping-Regeln sind mittlerweile so komplex geworden, dass es sehr schwer ist, sich zurechtzufinden.
Prävention ist stark kulturell geprägt und von Land zu Land unterschiedlichehemaliger Direktor von Antidoping Schweiz
Der Welt-Antidoping-Agentur scheint die Erziehung und Prävention zuletzt auch wichtiger geworden zu sein. Jedenfalls ist sie in dem Bereich aktiver geworden.
Die WADA hat dann immer das Gefühl, alles harmonisieren zu müssen, und dann wird ein „One size fits all“-Konzept daraus gemacht, wie eben jetzt mit der Prävention. Aber Prävention ist stark kulturell geprägt und von Land zu Land unterschiedlich. Wir merken das bereits in den deutschsprachigen Ländern. Österreich, Deutschland und die Schweiz haben teilweise ganz verschiedene Ansätze. Für mich wäre es viel sinnvoller, wenn man die Präventionsarbeit in den Ländern einzeln unterstütze würde, anstatt globale Werke wie das E-Learning-Programm der WADA zu entwickeln. Am Ende ist es zu unpräzise und wird der Sache nicht gerecht.
Die WADA ist Ihnen also zu bürokratisch?
In den vergangenen Jahren konnte man beobachten, dass immer, wenn ein Problem aufgetaucht ist, die WADA ein Reglement erstellt hat. Der erste Welt-Antidoping-Code war noch übersichtlich, aber in den letzten 14 Jahren hat sich das Regelwerk verdoppelt. Der neue Welt-Antidoping-Code besteht aus 48.000 Wörtern, bei der Schweizer Bundesverfassung sind es 28.000. Der Anti-Doping-Code ist also wesentlich umfangreicher als eine Verfassung, die als Grundpfeiler für ein ganzes Land dient. Da sieht man schon ein Missverhältnis. Man kann den Kampf gegen Doping nicht mit Administration gewinnen, sondern mit klaren einheitlichen Regeln und größerem Vertrauen in die Leute, die in den verschiedenen Ländern im Kampf gegen Doping arbeiten, und nicht einfach alles zentralisieren, wie es die WADA tut. Dadurch lehnen sich die Leute, die auf nationaler Ebene gegen Doping vorgehen, zurück und sagen sich, dass die WADA die Arbeit schon erledigen wird. Dadurch geht sehr viel Know-how und sehr viel Dynamik verloren.
Sie nehmen die Sportler in Ihrem Buch zugleich in die Pflicht und sagen, dass sie mehr Verantwortung übernehmen müssen. Was meinen Sie damit?
Ich bin immer überzeugt gewesen, dass wenn ein Athlet nicht dopen will und das auch sagt, er viel mehr Gewicht hat, als wenn er sich nicht äußert. Nehmen wir den Radsport früher. Die Fahrer, die dopten, wurden schließlich Sportliche Leiter, Team-Manager oder Betreuer. Man musste quasi dopen, um hineinzukommen. Mein Ansatz ist, dass Athleten, die sich gegen Doping aussprechen, sich ebenfalls zusammenschließen und eine Art Gewerkschaft bilden. So wie es mittlerweile ja schon passiert, zum Beispiel durch die Vereinigung „Global Athletes“ oder die Stiftung „Athleten Deutschland“. In solchen Gebilden können Sportler meiner Meinung nach viel erreichen. Diese Vereinigungen müssen dann auch Gesprächspartner für Sportverbände sein.
Ihre Verdienste im Kampf gegen Doping gehen über die Schweiz hinaus. So wurden Sie zum Beispiel in Luxemburg mit dem „Mérite sportif en argent“ ausgezeichnet. Wie kam es dazu?
Ich habe in den 90ern dabei geholfen, die Kontrolleure in Luxemburg auszubilden. 1990 habe ich Georges Lanners (damaliger Kommissar im Sportministerium, der das „Comité national de lutte contre le dopage dans le sport“ mitgegründet hat, d.Red.) im Europarat kennengelernt und es entwickelte sich eine gute Freundschaft. Er fragte beim Schweizer Bundesamt für Sport nach, ob eine Zusammenarbeit möglich wäre, und so kam es dann, dass ich beim Aufbau des „Comité national de lutte contre le dopage dans le sport“ helfen konnte. In dem Zusammenhang bekam ich 1997 vom Grand-Duc den „Mérite sportif en argent“ überreicht. Ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit.
Besteht die Zusammenarbeit immer noch?
Nein, als dann die WADA gegründet wurde, um den Kampf gegen Doping zu vereinheitlichen, wurde die Zusammenarbeit nicht mehr weitergeführt. Georges Lanners war außerdem ein guter Freund von mir und nach seinem Tod ging der Austausch etwas verloren.
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