Olympische Spiele / Menschen, Métro, Medaillen: Ein Rückblick auf zwei Wochen Ausnahmezustand in Paris
10.500 Sportler, 206 Nationen, 20.000 Journalisten und 36 unterschiedliche Sportstätten: Die XXXIII. Olympischen Spiele in Paris neigen sich dem Ende zu. Eine Zusammenfassung der besonderen Geschichten, Personen und Emotionen der letzten Tage.
Der Grenzenlose
Bei den Olympischen Spielen schrieb der Schwede Armand Duplantis ein weiteres Stück Stabhochsprunggeschichte. Dabei ist der alte und neue Olympiasieger erst 24 Jahre alt. Der Leichtathlet knackte im Stade der France zuerst den Olympia-Rekord mit 6,10 Metern. Dann ließ „Mondo“ die Latte auf 6,25 Meter legen, einen Zentimeter höher als seine Bestmarke vom April. 70.000 Menschen hielten an diesem 5. August in Paris den Atem an, als Duplantis beim dritten Versuch seinen Anlauf nahm. Im alleinigen Scheinwerferlicht gelang ihm Historisches. Es folgte eine Explosion der Gefühle: Das Stadion bebte, die Stimmung im Stade de France war bombastisch und der Schwede wurde minutenlang gefeiert. Er verbesserte den Weltrekord seit 2020 bereits neunmal und scheint nicht aufzuhalten zu sein. Dass Duplantis übrigens immer nur einen Zentimeter höher springt, hat gute Gründe – nämlich finanzielle. Jeder neue Weltrekord bringt ihm 100.000 US-Dollar vom Leichtathletik-Weltverband World Athletics.
Der verflixte Drahtesel
Erst Jeanne Lehair, dann Alex Kirsch und Christine Majerus: Wenn es um das Rennrad geht, dann kann man definitiv schlussfolgern, dass die COSL-Delegation in Paris nicht von Glück umgeben war. Am härtesten traf es die 28-jährige Triathletin: Auf den Champs-Elysées platzten alle olympischen Träume um eine mögliche Topplatzierung. Das Gummiband von ihrem Radschuh hatte sich in der Gangschaltung verfangen, weshalb sich ein Teil loslöste. Später fand ihr Betreuerstab das Stück auf den Pavés, doch für die in Tränen aufgelöste Sportlerin stand fest, dass diese Erinnerungen in die Mülltonne gehörten. Keine technischen Probleme, sondern Stürze vereitelten derweil die Chancen von Alex Kirsch und Christine Majerus bei den Straßenrennen. Beide Male waren Konkurrenten wegen Unachtsamkeit ins Schwanken geraten – und brachten daraufhin die FSCL-Fahrer zu Fall. Besonders die Wahlpariserin Majerus, die mit den Tücken und Passagen der Strecke vertraut war, ärgerte der ungewollte Zeitverlust, da die Form an ihrem Renntag ausgezeichnet war.
Das Fisch-Gate
Die Kantine im Olympischen Dorf, in der täglich 40.000 Menschen beköstigt wurden, war vom ersten bis zum letzten Tag ein Thema. Schon bei der Ankunft der Luxemburger Delegation berichtete Missionschef Raymond Conzemius über zunehmende Warteschlangen. Immer wieder meldeten sich internationale Topathleten zu Wort und bemängelten die Qualität des Angebots. „Ich mag meinen Fisch und Leute haben Würmer im Fisch gefunden“, hatte beispielsweise der 29-jährige Schwimmstar Adam Peaty der britischen Zeitung „i“ berichtet. Eine Kirsche auf dem Kuchen lieferte allerdings der Chefkoch höchstpersönlich: Akrame Benallal zeigte sich gegenüber Figaro TV regelrecht überrascht von den Quantitäten, die Topsportler in der Mensa zu sich nehmen würden. „Sie speisen nicht wie wir. Von morgens bis abends essen sie.“ Täglich benötigen sie große Mengen an Protein. „Wir wurden überrascht und mussten das Angebot anpassen, aber jetzt läuft es“, sagte der Chef. Einer, der sich übrigens nie über die „Cuisine française“ beschwert hat, war der „Muffinmann“: Während es sportlich für den Norweger Henrik Christiansen nicht gerade berauschend lief, erlangte er durch seine TikTok-Videos mit den Schokoladenmuffins aus der Kantine internationale Berühmtheit.
Métro, boulot, dodo
Es gab tatsächlich Tage, an denen Journalisten nicht viel anderes als Métro-Gänge und Sportstätten gesehen haben. Das Gute aber war, dass der befürchtete Verkehrskollaps in der Millionenstadt ausgeblieben ist. Die zusätzlichen Züge fuhren bis spät in den Abend hinein im Minutentakt und freundliche Volunteers und das RATP-Personal halfen bei Fragen zur Orientierung gerne aus. Zudem waren die Sport-Touristen aus aller Welt meist mit guter Laune unterwegs zu ihren nächsten Zielen. Dabei waren die Ticket-Preise während der Spiele verdoppelt worden: Eine klassische Métro-Fahrt kostet noch bis zum 8. September (also bis nach den Paralympics) vier Euro. Damit soll zumindest ein Teil der getätigten Investitionen wieder eingenommen werden: Wie die Präsidentin von „Mobilité Île-de-France“, die Politikerin Valérie Pécresse, immer wieder betont hatte, haben Zusatzfahrten, mehr Personal, Beschilderung und eine neue Internetpräsenz 250 Millionen Euro gekostet.
Die Finanzdebatte
Binnen der vergangenen zwei Wochen haben 10.500 Athleten in 45 unterschiedlichen Sportarten und 329 Wettbewerben um Medaillen gekämpft. 5.084 Stück wurden verteilt – mit einer Besonderheit: Der französischen Edeljuwelier Chaumet hatte in jede Medaille ein paar Gramm Eiffelturm-Teile verarbeitet. Aus purem Gold bestanden die Medaillen nur 1912 in Stockholm. Heute enthält die Goldmedaille, die mehr als ein halbes Kilo wiegt, nur noch sechs Gramm des Edelmetalls. Wichtiger als die Zusammenstellung war allerdings die Finanzdebatte, die entfacht ist: Die Diskrepanzen unter den jeweiligen Teilnehmernationen sind enorm. Wie der Kicker berichtete, stellt die Stiftung Deutsche Sporthilfe insgesamt rund 2,1 Millionen Euro an Prämien zur Verfügung. Deutsche Medaillengewinner erhalten jeweils 20.000 Euro, für Silber gibt es 15.000 Euro und für Bronze 10.000 Euro. Am lukrativsten ist ein Sieg übrigens für die Athleten aus Hongkong: Jedes Gold bringt ihnen 768.000 US-Dollar ein. Einer kommt in diesem Ranking allerdings sehr schlecht weg: Armand Duplantis und das schwedische Aufgebot werden von ihren nationalen Verbänden nicht für Medaillen entschädigt.
Ein neuer Einblick
Videos aus den Zimmern oder von der Anprobe der offiziellen Teamkleidung, Fotos vom Buffet aus der „Main Dining Hall“ oder private Einblicke ins Geschehen des Olympischen Dorfes – und zwar wie noch nie zuvor: Besonders die kurzen Schnipsel auf TikTok und Instagram ermöglichten es diesmal, den Alltag der besten Sportler der Welt hautnah und authentisch mitzuerleben. „Das Olympische Dorf ist eine Erinnerung daran, wo wir wirklich herkommen und woher der wahre Geist des Sports kommt, ohne den Luxus“, sagte beispielsweise Tennisstar Nadal über die ungewohnt vielen Nachbarn auf der Etage. Er teilte sich das Zimmer mit seinem Landsmann und Doppel-Partner Carlos Alcaraz. Der Deutsche Alexander Zverev wohnte derweil über der COSL-Delegation. Übrigens verfasste das IOC ein 15-seitiges Manuskript mit sämtlichen Verhaltensregeln, die während des Aufenthalts in Paris zu befolgen waren. So war es untersagt, Video- oder Audiomaterial der Sport-Events zu posten. Das dürfte nicht immer der Fall gewesen sein …
Starke Frauen
Die XXXIII. Olympischen Spiele werden als die ersten mit Geschlechterparität in die Geschichte eingehen – bedeutet also, dass 5.250 Frauen und 5.250 Männer im Einsatz waren (oder noch sind). Übrigens: Als die Spiele 100 Jahre zuvor in der französischen Hauptstadt stattgefunden haben, waren von den 3.089 Teilnehmern 2.954 Männer. Auffällig ist aber diesmal auch gewesen, dass viele der Athletinnen die Popularität für wichtige Themen nutzten – angefangen mit der wohl mutigsten Frau. Kimia Yousofi, die vor drei Jahren nach Australien zog, trat unter afghanischer Flagge an und lief für alle Frauen ihres Herkunftslandes. Die Zeit auf den 100 Metern war nebensächlich, denn im Ziel drehte sie ihre Startnummer um. Zu erkennen waren die Worte „Bildung“, „Sport“ und „unsere Rechte“. Und es gab noch andere Frauen, die Stärke zeigten. Die ägyptische Fechterin Nada Hafez und die aserbaidschanische Bogenschützin Yaylagul Ramazanova sind beide im sechsten und siebten Monat der Schwangerschaft in Paris angetreten. Aufgrund des unermüdlichen Einsatzes der ehemaligen Weltklasse-Läuferin Allyson Felix ist diesmal ein Kinder- und Spielzimmer im Dorf eingerichtet worden, das es Müttern erlaubt, Zeit mit dem Nachwuchs zu genießen. Die französische Judoka Clarisse Agbegnenou gehörte dabei zu denjenigen, die planten, während Olympia zu stillen.
Großherzogliche Begeisterung
Dass sich Großherzog Henri seit Jahren intensiv für die internationale Sportaktualität interessiert, ist kein Geheimnis. Seit 25 Jahren ist er Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). In Paris bekam er in diesem Jahr die Möglichkeit, seine Leidenschaft mit seinen Kindern und Enkelkindern zu genießen. Das großherzogliche Paar konnte am Tag der Eröffnung bei anhaltender Regenschauer Sympathiepunkte unter dem Plastikponcho sammeln: Wie er Tage später verriet, stand ihm das Wasser an diesem Abend sogar in den Schuhen. Doch die Sonne kehrte nach Paris zurück – und das straffe Programm hielt den Großherzog auf Trab. Am vergangenen Mittwoch war es der Luxemburger Grand-Duc, der die Medaillen im Damen-Triathlon überreichte. Das Staatsoberhaupt schwenkte die Fahne unermüdlich für jeden COSL-Athleten – doch besonders groß ist nach wie vor die (gegenseitige) Wertschätzung für Tischtennis-Rekordfrau Ni Xia Lian.
Marchand, Marchand
Judoka Teddy Riner könnte bald als Held der Grande Nation abgelöst werden, denn die Franzosen haben gleich drei neue Shootingstars bei den Heim-Spielen entdeckt. Allen voran natürlich den vierfachen Olympia-Sieger Léon Marchand. Wenn er ein Finale gewann, ertönten in anderen Stadien gleichzeitig die „Marchand, Marchand“-Rufe. Selbst die Leichtathleten wirkten für ein paar Sekunden verdutzt, ehe ihnen (fernab der Schwimmer, die in der La-Défense-Arena antraten) klar wurde, was vor sich ging. In der Tischtennis-Halle riefen derweil zwei Brüder französische Ekstase hervor. Die blonden Brillenträger Felix und Alexis Lebrun sind erst 17 und 20 Jahre alt – und gehören beide bereits zur europäischen Elite in dem Sport. Der jüngere Felix holte im Einzel Bronze und stand an der Seite seines Bruders ebenfalls im kleinen Finale des Doppels. Am Ende sprang ein zweites Mal Bronze heraus.
Das Phänomen Ni Xia Lian
Spätestens als die Nummer eins der Welt, Sun Yingsha (China), Ni Xia Lian als ihre „Tante Ni“ bezeichnet hatte, dürfte jedem deutlich geworden sein, welchen Stellenwert die Luxemburgerin nach wie vor in ihrem Geburtsland genießt. Millionen Follower drückten ihr in China die Daumen. Mit 61 Jahren hatte die Grande Dame des Tischtennis in Paris schon zuvor einen besonderen Rekord aufgestellt: Sie ist inzwischen die älteste Spielerin, die ein Duell bei Olympischen Spielen für sich entscheiden konnte. So ganz ausschließen wollte die Ausnahmekönnerin eine siebte Teilnahme in Los Angeles zwar nicht, doch Ni Xia Lian sprach mehrmals darüber, wie schwer die Qualifikationsnormen inzwischen geworden sind. Doch überrascht hat sie uns alle schon mehr als einmal. Und auch ihr Lebensmotto lässt darauf hoffen, dass das Karriereende noch nicht bevorsteht: „Ich weiß, dass ich nicht mehr die Jüngste bin. Aber ich sage mir jeden Tag: ‚Heute bin ich jünger als morgen.‘“
Fernsehtauglich von A bis Z
An dieser Stelle wird es nicht wieder um die Sorgen der katholischen Kirche gehen, die sich über einige Szenen der Eröffnungszeremonie des künstlerischen Direktors Thomas Jolly echauffierte. Vielmehr geht es um das Gesamtbild von Paris 2024: Die Organisatoren haben es geschafft, die Wahrzeichen der Stadt und historische Paläste wie etwa Versailles beim Pferdesport in das Programm einzubinden. Auch die Fotografen kamen voll auf ihre Kosten und schossen Millionen magischer Bilder mit perfekter Kulisse: Diese Olympischen Spiele werden von ihrer Optik her auf ewig bleibenden Eindruck hinterlassen. Beachvolleyball unter dem Eiffelturm, Radsport vor Zuschauermassen auf den Stufen Richtung Sacré-Coeur oder Fechten im Grand Palais – so etwas wird es wohl nicht mehr allzu oft zu sehen geben.
Van der Weken für 2028
Noch klappte es nicht für das Finale, doch auf den 100 Metern hat Luxemburg mit Patrizia van der Weken ein enormes Sprinttalent in den eigenen Reihen. 11,13 Sekunden reichten diesmal nicht für den großen Coup – doch mit ihrer Leistungssteigerung der vergangenen Monate darf zu Recht für Los Angeles 2028 gehofft werden. Wie sie dieser Auftritt motiviert hat, davon konnte man sich schon am Donnerstag überzeugen: Während die letzten Wettbewerbe in Paris noch liefen, war die Sportlerin des Jahres bereits wieder auf dem Trainingsgelände des INS auf Fetschenhof unterwegs. Immer an ihrer Seite: Trainer Arnaud Starck.
Bombastische Atmosphäre
Fans aus aller Welt hatten sich für diese Olympischen Spiele angekündigt – und enttäuschten nicht. Lautstarke Kulissen und Gänsehaut bei den Sportlern: Davon berichteten sämtliche Luxemburger nach dem Ende ihrer Wettkämpfe. Die Ränge waren von morgens bis abends gefüllt, ob in Vorrunden, Vorläufen oder bei entscheidenden Finals. Es wurde im Vorfeld geschätzt, dass über 15 Millionen Zuschauern in den Straßen der Stadt unterwegs sein würden. Erwähnt werden müssen an dieser Stelle allerdings auch die hohen Sicherheitsvorkehrungen: Polizei und Sicherheitsbeamte aus aller Welt waren während der Spiele rund um die Event-Zonen platziert, fuhren mit der Metro durch die Stadt und zeigten enorme Präsenz. Während Einheimische am Ende teils bereuten, vor diesem einmaligen Sport-Trubel geflüchtet zu sein, zeigte sich Paris wochenlang von seiner freundlichen und stressfreien Seite. Auch der Souvenir-Markt boomte: Ein Paar aus Washington D.C. hätte nicht glücklicher über den COSL-Pin sein können, denen das Tageblatt ihm in der Merchandise-Warteschlange überreichte.
Sehen und gesehen werden
Für die Luxemburger Delegation begann der Auftritt in Paris mit einem Flop: Ein Volunteer hatte der Mannschaft von Raymond Conzemius während der Eröffnungszeremonie auf der Seine falsche Informationen mit auf den Weg gegeben. Die besagte Person hatte sich bezüglich der Kamerapositionen geirrt – und das Team Lëtzebuerg drehte der gesamten Welt beim Vorbeifahren den Rücken. Näher dran an die Athleten, Trainer und COSL-Beauftragte kam man dann allerdings in der Maison du Luxembourg. Im Pariser Stade Bouin traf sich in den vergangenen zehn Tagen die Sportprominenz des Landes. Auf der dritten Etage des besagten Stadions nahe Roland Garros gab es an einigen Abenden Autogrammstunden oder Rundtischgespräche mit Vertretern aus anderen Ministerien und Bereichen, die eine direkte Verbindung zum Thema Sport hatten. Für das Gesamtbudget der Maison du Luxembourg hatte das Sportministerium 1.200.000 Euro vorgesehen. Anders als im „Deutschen Haus“, wo sich auf den restlichen Etagen des Stade Bouin die Fans und Sportler des „Team D“ bei „Hofbräuhaus-Flair“ die Klinke in die Hand gaben, schien die Maison du Luxembourg eher ein Ort für Sportpolitik und Netzwerk-Ambiente zu sein. Übrigens schloss das Luxemburger Haus am Samstag seine Türen – zwei Wochen vor dem Start der Paralympics.
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