Leichtathletik / Patrizia van der Weken über den schwierigen Weg an die europäische Spitze
Am Freitagmorgen startet das Olympia-Abenteuer von Patrizia van der Weken mit den Vorläufen über 100 Meter. Dabei dürfte auch das internationale Interesse an der Luxemburgerin in Paris groß sein, denn die 24-Jährige ist in den letzten Wochen in der europäischen Spitze angekommen.
11,50 Sekunden: Die Olympischen Spiele in Tokio standen im Sommer 2021 gerade vor der Tür, als Patrizia van der Weken bei der U23-EM einen ersten großen Meilenstein in ihrer Karriere schaffte. Damals liebäugelte die Sprinterin jedoch schon mit den Olympischen Spielen in Paris und einer Zeit von 11,00. „Wenn zum Höhepunkt der Form auch bei einem Wettbewerb die Bedingungen stimmen, könnte von der Entwicklung her eine 11,00 möglich sein. Aber bis dahin ist es noch ein sehr hartes Stück Arbeit“; erklärte sie damals im Tageblatt-Interview. Darauf angesprochen und dass es im Olympia-Jahr 2024 nun exakt so gekommen ist, darüber muss die inzwischen 24-Jährige dann doch leicht schmunzeln. „Hätte jemand gesagt, dass ich in diesem Jahr 11,00 laufen würde, hätte ich das wohl eher nicht geglaubt, auch wenn ich mir sicher war, dass es in diese Richtung gehen könnte“, erklärt die immer noch sehr bodenständige Luxemburgerin und fügt lachend hinzu: „Für mich ist das immer noch ein wenig überraschend, für Arnaud (Trainer Starck, Anm. d. Red) glaube ich schon weniger.“
Körperliche Veränderung
Fakt ist, dass Patrizia van der Weken es spätestens mit ihrem Landesrekord von 11,00 Sekunden und ihrem vierten Platz bei der EM in Rom in diesem Jahr bis in die europäische Spitze geschafft hat. Dass die FLA-Sprinterin auch über die Grenzen des Kontinents hinaus mithalten kann, stellte sie dann kurz vor Olympia beim Diamond League Meeting in Paris unter Beweis. Erstmals durfte sie an einem Wettkampf dieser höchsten Kategorie teilnehmen, den sie dann auf Anhieb gewann. Es war ein weiterer vorläufiger Höhepunkt in der Karriere der Patrizia van der Weken, die in den letzten drei Jahren einen Entwicklungssprung nach dem anderen hingelegt hat.
Fortschritte, die jedoch nicht von ungefähr kommen, wie die 24-Jährige betont. „Bei mir hängt es einfach viel mit der Technik zusammen. Ich habe natürlich schon Talent, schnell zu laufen, aber das alleine reicht nicht. Deshalb haben wir in den letzten Jahren sehr viel an technischen Sachen gefeilt.“ Hinzu kommt, dass die Luxemburgerin in den letzten Jahren mehr und mehr Zeit im Kraftraum verbracht hat. „Ich war enorm dünn, hatte nicht so viele Muskeln, weniger Kraft. Ich denke, das ist inzwischen ganz anders und das kommt nicht von ungefähr.“ Der Alltag von Patrizia van der Weken ist inzwischen komplett auf den Sport ausgerichtet, im Alltag dreht sich alles um ihr Training. Ein Opfer, das nicht jeder bereit ist zu bringen, die FLA-Sprinterin jedoch gerne in Kauf nimmt. „Es ist etwas, das sich am Ende auszahlt und für mich persönlich der richtige Weg.“
Ich war enorm dünn, hatte nicht so viele Muskeln, weniger Kraft. Ich denke, das ist inzwischen ganz anders und das kommt nicht von ungefähr.
Dass man aber auch geduldig sein muss und Rückschläge einen weiterbringen, das musste die 24-Jährige auch erst einmal lernen. Eine Erfahrung, die Patrizia van der Weken vor ihrem ersten richtig großen Meilenstein im Jahr 2021 machte. Denn Ende 2019 verletzte sie sich schwerer am Knöchel, als es dann langsam bergauf ging, kam die Corona-Pandemie. Es waren Jahre, in denen die Sprinterin stagnierte, fast sogar ihren Platz im COSL-Kader verloren hätte. „Es war eine Zeit, in der ich viel dazugelernt und mich im Hintergrund verbessert habe. Man wird dadurch stärker und das zeigt sich nun.“ Viel arbeitete die schnellste Frau Luxemburgs in diesen Jahren an technischen Feinheiten, veränderte sich durch den Muskelaufbau auch körperlich stark. Etwas, mit dem man sich auch erst einmal abfinden muss, wie sie erklärt: „Das ist auch nicht immer so einfach. Man hat ein Bild von sich, wie man aussieht, und dann schaut man in den Spiegel und das stimmt plötzlich nicht mehr übereinander.“
Opfer bringen
In einer Sportart, in der es am Ende auf jede Hundertstel-Sekunde ankommt, ist der Weg an die Spitze kein einfacher. Auf diese wird es nun immer mehr ankommen, denn die Zeiten der Riesen-Sprünge sind auf dem Level, auf dem sie nun angekommen ist, vorbei. Dessen ist sich auch die FLA-Athletin bewusst. „Es geht jetzt wirklich um Mini-Details, die am Tag des Wettbewerbs stimmen müssen.“ Auch wenn Sprinter am liebsten genügend Rückwind haben, kommt Patrizia van der Weken inzwischen auch immer besser mit Bedingungen zurecht, die nicht optimal sind. Dies zeigt nicht zuletzt das konstante Niveau, auf dem sie sich in den letzten Monaten bewegte, mit regelmäßigen Zeiten unter 11,10 Sekunden. „Ich hatte wirklich eine Reihe guter Läufe, auch in einem starken Feld mit nicht unbedingt den besten Bedingungen. Mit Wind, der aus der falschen Richtung kommt, oder Läufen spätabends, die ich nicht so mag.“ Bei den wichtigen Terminen präsent sein, das war die Sprinterin in dieser Saison jedes Mal und das möchte sie nun auch ab Freitag in Paris sein.
Zuvor war sie für die Eröffnungsfeier angereist, entschied sich dann aber noch einmal dazu nach Luxemburg zurückzukehren, um ihre Vorbereitung in Ruhe in gewohnter Umgebung abschließen zu können: „Vor Ort ist alles viel stressiger und komplizierter. Man weiß nicht genau, wann man trainieren kann, somit war es einfacher, noch einmal zu Hause, an den gewohnten Stellen, sein zu können.“ Ein Plus, wenn Olympia quasi vor der Haustür stattfindet. Die Zielsetzung ist bei der Sprinterin nach den letzten Auftritten dann auch gestiegen, wie sie erzählt, denn ein Halbfinale ist für sie persönlich inzwischen das Minimum, was sie erreichen möchte: „Vor ein paar Wochen war das noch mein großes Ziel, jetzt sage ich mir aber, dass es schon klappen muss.“ Anschließend möchte sie so nah wie möglich ans Finale herankommen. „Um das wirklich zu schaffen, muss man fast schon die beste Europäerin sein. Man weiß aber nie, wie die anderen in Form sind, und man muss auch etwas Glück mit den Bedingungen haben.“
Erwartungsdruck macht sie sich aber nicht: „Ich versuche die Sache gelassener zu sehen und sage mir, wenn ich selbst Spaß habe, kommt die Leistung. Wenn ich zu verbissen an die Sachen herangehe, dann bringt das nicht viel. Ich habe gelernt, das in den Griff zu kriegen.“
Man darf die Konkurrenz nicht unterschätzen, aber mich sollten sie auch nicht unterschätzen
Die Enttäuschung über die so knapp verpasste Bronzemedaille bei der EM ist vergessen. „Diese Saison ist bisher ein großer Erfolg“, meint auch die 24-Jährige. „Ich hatte mit der EM ein großes Highlight. Natürlich war es schon mega blöd, dass ich das Podium so knapp verpasst habe. Im Nachhinein muss man aber auch sagen, dass ich 2022 bei der EM in München noch weit vom Finale weg war und jetzt ist es Platz vier. Ein richtig gutes Resultat.“ Patrizia van der Weken ist in diesem Jahr in der Spitze Europas angekommen, kann mit den besten Sprinterinnen des Kontinents mithalten, sie an einem guten Tag sogar hinter sich lassen. Eingeschüchtert sein, das muss sie nicht, das weiß die 24-Jährige selbst am besten: „Man darf die Konkurrenz nicht unterschätzen, aber mich sollten sie auch nicht unterschätzen.“
Kein toxisches Klima
Anfang Juli, also pünktlich für die Olympischen Spiele in Paris, startete beim Streamingdienst Netflix die Dokumentation „Sprint“. Die Macher dieser sechs Episoden umfassenden Serie begleiten hier die Stars der Sprint-Szene, wie Sha’Carri Richardson, Noah Lyles, Marcell Jacobs oder Shericka Jackson, auf ihrem Weg zur Weltmeisterschaft 2023 in Budapest und gewähren Einblicke in den Trainings- und Wettbewerbsalltag, aber auch in das Privatleben der schnellsten Sprinter der Welt. Eine Serie, die sich auch Patrizia van der Weken nicht entgehen ließ: „Ich fand, dass das Klima da schon sehr toxisch, nicht wirklich sehr schön dargestellt wird.“ Eine Erfahrung, die die Luxemburgerin bisher so nicht gemacht hat. „In Europa ist das auf keinen Fall so, wir gehen da doch ganz anders miteinander um, als vielleicht die Amerikaner und Jamaikaner. Bei uns will wirklich niemand irgendjemandem etwas Schlechtes“, so ihr Fazit über den Umgang der besten Sprinterinnen des Kontinentes miteinander. Van der Weken betont dann auch, dass sie, seit sie den Weg in die europäische Spitze geschafft hat, nur noch mehr Freundschaften überall in Europa geschlossen hat und sich vor allem mit zwei belgischen Sprinterinnen sehr gut versteht.
Die optimalen Bedingungen
Wann jemand am besten läuft, hängt auch häufig von den persönlichen Vorlieben ab. Für Patrizia van der Weken heißt das eigentlich früher Nachmittag, auch wenn sie sich inzwischen an die Läufe abends gewöhnt hat: „Sonst mochte ich abends spät eigentlich überhaupt nicht, doch das ist inzwischen kein Problem mehr. Vor allem das mit dem Schlaf danach ist aber kompliziert, wenn man am nächsten Tag noch einmal laufen muss oder weiterfliegt, dann kumuliert sich einfach die Müdigkeit.“ Dass vor allem die Sprinter auf Rückenwind und trockene Pisten hoffen, ist keine Überraschung. Regen macht der Luxemburgerin aber eigentlich auch nichts aus: „Ich bin in Rom im Regen gelaufen, in der gesamten Saison eigentlich viel“, erklärt sie lachend. Eine Lieblingspiste hat Van der Weken nicht, wie sie weiter erklärt: „Ich habe immer gesagt La Chaux-de-Fonds, dieses Jahr lief es dort aber nicht so gut. Es gibt eine Reihe an Pisten, auf denen ich gerne laufe, ich versuche, mich dadurch nicht mehr einzuschränken. Am Ende ist es eigentlich egal, es sind nur 100 Meter geradeaus, da ist es egal, ob ich in Spanien oder Italien laufe.“
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