EM / Schicksalsspiel für Southgate: Engländer unter enormem Druck
Englands Viertelfinale gegen die Schweiz ist das 100. Länderspiel von Coach Gareth Southgate. Nach wenig überzeugenden Auftritten muss das Team jetzt liefern.
55 Millionen Nationaltrainer – und alle wissen es besser als Gareth Southgate. Dabei steht der Teammanager vor seinem 100. Länderspiel mit der englischen Fußball-Nationalmannschaft und hat die Three Lions bereits ins EM-Finale 2021 und zum vierten Platz bei der WM 2018 geführt. Doch vor dem EM-Viertelfinale gegen die Schweiz am Samstag (18.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) in Düsseldorf sind die Zweifel und der Druck riesig. Reihenweise gaben Experten, Fans und Medien Southgate nicht nur Tipps, sondern exakte Arbeitsanweisungen mit auf den Weg. Sogar Jürgen Klinsmann meldete sich zu Wort.
Nur in der Mannschaft genießt Southgate Rückhalt. „Jeder, der Zeit mit ihm verbracht hat und ihn als Person kennt, weiß, wie hart er und sein Team arbeiten“, sagte Innenverteidiger John Stones: „Er weiß, was wir als Nation erreichen können. Seine großartigen Eigenschaften und Qualitäten als Manager sind, dass er den Spielern gegenüber unkompliziert und klar auftritt.“
Der Trainer selbst wischte den Gedanken an ein Aus beiseite. „Ich beschäftige mich mit den Dingen, die ich beeinflussen kann“, sagte Southgate, der die immense Erwartungshaltung der fußballverrückten Engländer, die seit dem WM-Triumph 1966 auf einen großen Titel warten, nun seit acht Jahren kennt. Doch nun lastet der Druck schwerer denn je auf seinen Schultern.
Kritiker fühlen sich durch die schwachen Auftritte der Engländer bestätigt, die Fans in den deutschen EM-Stadien bewarfen den Coach sogar schon mit Bierbechern. Über allem steht die bohrende Frage: Wie kann Southgate das riesige Potenzial seiner Mannschaft mit den Stars Harry Kane, Jude Bellingham oder Phil Foden entfesseln, die zwar schon jetzt zu den besten Acht in Europa zählt, aber beim Turnier in Deutschland bislang keinesfalls überzeugt hat?
Kane fordert mehr Zusammenhalt
Der frühere deutsche Bundestrainer Klinsmann glaubt in seiner Funktion als Sun-Kolumnist: mit einem „guten, alten 4-4-2“, damit Kane im Sturm Unterstützung bekommt. Ex-Nationalspieler Rio Ferdinand forderte lautstark einen Einsatz von Kobbie Mainoo. Wenn Southgate auf den 19-Jährigen verzichtet, würde er „zu Fuß aus Deutschland zurück nach England gehen“, schrieb Ferdinand bei X. Auch Alan Shearer meldete sich, Gary Lineker sowieso.
Inmitten dieses Getöses forderte Kapitän Kane mehr Zusammenhalt und weniger scharfe Kritik, doch sein Wunsch blieb unerfüllt. Mit jedem schwachen Auftritt wurde das Rumoren lauter. Die Mannschaft versucht derweil, nicht darauf zu achten. „Wir haben eine unglaubliche Chance, die nächste Runde zu erreichen“, sagte Stones, der überzeugt ist, dass Southgate von der ständigen Kritik „nur noch mehr motiviert“ sei. Es gehe ohnehin um viel mehr als Einzelschicksale. „Es ist an der Zeit, dass wir uns bewusst werden, wo wir stehen und wie groß die Bedeutung dieser Dinge ist“, sagte Stones.
Positiv aus Sicht der Engländer: Bellingham wurde von der UEFA wegen seines obszönen Jubels gegen die Slowakei nicht gesperrt, sondern nur mit einer Geldstrafe belegt. Der 21-Jährige, mit zwei Toren Topscorer seines Teams, kann gegen die Schweizer auflaufen. Zudem gibt es royale Unterstützung für Southgate: Prinz William fiebert in Düsseldorf im Stadion mit.
Türkei: Demiral zwei Spiele gesperrt
Der türkische Fußball-Nationalspieler Merih Demiral ist von der UEFA für das Zeigen des Wolfsgrußes für zwei Spiele gesperrt worden. Damit verpasst der Verteidiger, der im Achtelfinale gegen Österreich (2:1) die beiden türkischen Tore erzielt hatte, das Viertelfinale am Samstag (21.00 Uhr/RTL und MagentaTV) gegen die Niederlande in Berlin. Sollte sich die Türkei durchsetzen, müsste Demiral auch im Halbfinale zuschauen. Die UEFA hatte in der Folge des Eklats eine Untersuchung aufgrund eines „mutmaßlich unangemessenen Verhaltens“ eingeleitet. Die Geste hatte zu diplomatischen Verwicklungen geführt. Ankara hatte nach Kritik der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den deutschen Botschafter vorgeladen, am Donnerstag bestellte das Auswärtige Amt den türkischen Abgesandten ein. Der Wolfsgruß ist ein Handzeichen und Symbol der türkischen rechtsextremen und ultranationalistischen Organisation „Graue Wölfe“. Weder die Organisation noch der Gruß sind in Deutschland verboten. Die „Grauen Wölfe“ stehen allerdings unter der Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Demiral (26) hatte jegliche „versteckte Botschaft“ hinter seiner Geste verneint. „Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“, sagte er nach dem Spiel gegen Österreich. „Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste. Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin“, so Demiral. Er hoffe, dass es „noch mehr Gelegenheiten gibt, diese Geste zu zeigen“. Bei dieser EM wird es dazu vorerst nicht mehr kommen. (SID)
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