Jean Schiltz / Schulterklopfer, Kofferträger, Lebemann
16 Jahre lang rannte er mit seinem schwarzen Aktenkoffer von Rezeption zu Rezeption. Von 59 Auswärtsspielen der Fußball-Nationalmannschaft seit 2004 verpasste er nur eines. Vor drei Wochen wurde Jean Schiltz kein weiteres Mal in den Vorstand der FLF gewählt und ist deshalb heute beim vorentscheidenden Nations-League-Spiel gegen Zypern nicht dabei. Ein Porträt über einen Mann, der mit Fledermäusen kämpfte, Wertpapiere über die Grenze brachte, für die Liebe tanzte, Hans Krankl zurechtstutzte und am Ende enttäuscht wurde.
Seine Markenzeichen haben Wiederkennungswert. Kräftige Statur, markanter Schnauzer, O-Beine wie Pierre Littbarski und eine große Nase. Er kommt zwar nicht aus dem Süden des Landes, aber er redet „vun der Long op d’Zong“. „Vull“ und „Sau“ benutzt er fast schon inflationär. Betritt er einen Raum, werden die Menschen meist mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter und einem schallenden Lachen begrüßt. Jean Schiltz ist einer, der auffällt.
Der heute 69-Jährige ist ein Lebemann, aber auch ein Arbeiter. Als er 1951 in Niederanven zur Welt kam, florierte seine Heimatgemeinde noch nicht. Er wuchs mit seinen zwei älteren Geschwistern auf. Bereits als Jean Schiltz neun Jahre alt war, verstarb der Vater. „Ab diesem Zeitpunkt mussten wir uns zusammen mit unserer Mutter alleine durchkämpfen. Da war nicht alle Tage Sonnenschein.“
Fußball durfte er zunächst nicht spielen – wegen der Verletzungsgefahr. Er schloss sich dem BBC Gréngewald an und spielte in jungen Jahren Basketball auf den harten Pflastern der Freiplätze. Als ihn seine Mutter zum Fußball ließ, unterschrieb er seine erste Lizenz bei der US Hostert. „Ich habe sie mürbe gemacht und irgendwann hat sie ja gesagt.“ In seinem ersten Spiel als Zehnjähriger gab es gleich eine schicksalhafte Begegnung. „Wir trafen auf Beggen mit Paul Philipp, die waren damals richtig stark, aber wir haben nur 0:5 verloren.“ Das war wahrscheinlich das letzte Treffen der beiden ohne Schnurrbart. Einige Jahrzehnte später wurden Schiltz und Philipp zu einem unzertrennlichen Duo beim Luxemburger Fußballverband FLF.
Schiltz war zunächst Innenverteidiger und wurde später zum Stürmer. „Wir haben keine Tore geschossen und irgendwann habe ich dem Trainer gesagt, dass ich nach vorne gehen muss. Ich habe getroffen und danach habe ich Tore am laufenden Band geschossen.“ Mit 14 Jahren wurde er in die Jugendnationalmannschaft berufen. Sein Zimmernachbar in den Lehrgängen war der kürzlich verstorbene ehemalige FLF-Präsident Henri Roemer. Als 16-Jähriger lief Schiltz erstmals in der ersten Mannschaft der US Hostert auf.
Teuerster Transfer und ein Tanz fürs Leben
Mit 18 folgte der Wechsel von der dritten Division zum damaligen Ehrenpromotionär Red Star Merl. „Das war wahrscheinlich der teuerste Transfer der Geschichte der dritten Division. Merl musste damals 125.000 Franken (rund 3.125 Euro) an Hostert zahlen“, sagt Schiltz nicht ohne Stolz. Beim Haupstadtverein wollte man den jungen Stürmer aus Hostert zunächst in der zweiten Mannschaft parken – und das obwohl er in der Vorbereitung auf die Saison die gegnerischen Netze zum Wackeln gebracht hatte. „Ich habe jedoch bewiesen, dass ich es kann und war danach nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken.“ Fast wäre Merl in dieser Saison in die Nationaldivision aufgestiegen. Danach folgte ein Seuchenjahr. Trotz eines Angebots von der Union blieb Schiltz in Merl und stieg in seiner dritten Saison mit dem Red Star in die Nationaldivision auf. Zwei Jahre später und nach dem Abstieg in die Ehrenpromotion ging der kopfballstarke Angreifer nach Wormeldingen.
Danach ging die Reise weiter nach Bonneweg. „Ich hatte schon immer ein Faible für die Aris. Warum, weiß ich eigentlich auch nicht.“ Kurz davor hatte er seine Frau kennengelernt, die direkt gegenüber vom Stade Camille Polfer in Bonneweg aufwuchs. Kennengelernt haben sich beide aber im Café „Klein“ in Hostert. „Es war an einem Silvesterabend. Sie war die Einzige, die ich nicht kannte und deshalb habe ich sie zum Tanz aufgefordert. Sie hat in all den Jahren sehr viel Geduld mit mir gezeigt, trotz einiger Turbulenzen.“
Mit der Aris trat er 1979 im Pokal der Pokalsieger gegen den FC Barcelona an. Beide Spiele endeten mit deutlichen Niederlagen (1:4 und 1:7), aber die Erinnerungen blieben. Dabei hätten Schiltz und Co. fast das Spiel in der katalanischen Hauptstadt verpasst. „Roger Fandel war der Spaßvogel des Teams und hat im Aufzug an den Knöpfen rumgespielt. Wir sind stecken geblieben und es brach Panik aus.“ Die Aris-Akteure schafften es jedoch rechtzeitig zum Spiel und durften die Magie des Camp Nou bewundern. „Es war beeindruckend, vor dem Spiel durch die Katakomben zu laufen, vorbei an der Kapelle und den hundert brennenden Kerzen. Gebetet habe ich trotzdem nicht.“
Auf dem Platz bekam Österreichs Bomber Hans Krankl von Schiltz eine kleine Standpauke verpasst. „Beim Stand von 7:1 ist er noch in die Duelle gegangen wie ein Wilder. Ich habe ihm dann gesagt, dass er damit aufhören soll.“ Es war das Highlight seiner Fußballerkarriere, die er als 37-Jähriger im Jahr 1988 bei seinem Heimatverein US Hostert ausklingen ließ.
Ein Koffer und Kevin Keegan
Schiltz ist jedoch nicht nur in der Fußballwelt ein Begriff. Bereits 1981 schloss er sich der LSAP an. „Bei der Gründung der lokalen Sektion war ich zufälligerweise in der gleichen Kneipe. Ich habe mir die Ideen angehört. Die LSAP kam mit ihrem Programm meinen Ideen am nächsten.“ 1988 wurde er erstmals in den Gemeinderat gewählt. Drei Jahre später wurde er nach dem Rücktritt von Claude Bicheler zum Bürgermeister ernannt. Von 1994 bis 1999 saß er in der Chamber. 2000 wurde Schiltz von einer DP/CSV-Koalition gestürzt.
Heute ist er Erster Schöffe und betreibt seit rund einem Vierteljahrhundert Kommunalpolitik mit CSV-Bürgermeister Raymond Weydert. „Wann man dabei ist, kann man mehr bewirken als in der Opposition“, sagt Schiltz über diese Allianz. Der 69-Jährige ist stolz auf seine Bilanz als Bürgervertreter: „Anfang der 90er hatte Niederanven 3.000 Euro Schulden pro Kopf. Aber ich wusste, wie wir Geld machen konnten und habe die Gewerbezone neben dem Findel ausgebaut. Unser größter Kunde ist heute JPMorgan und wir haben einen Kassenfonds von 90 Millionen.“
Seine berufliche Laufbahn begann er bei der CFL. Als diese Arbeit und die damit verbundene Schichtarbeit nicht mehr mit seiner großen Liebe Fußball vereinbar waren, gab er den Job auf. „Die Leute im Dorf haben mich für verrückt gehalten und dies auch meiner Mutter so gesagt.“ Schiltz begann bei Cedel International u.a. als Einkäufer. Mindestens einmal pro Woche reiste er nach London. Mit einem Koffer voller Wertpapiere. Manchmal wurde er an der Grenze gestoppt, manchmal nicht. Etwas Illegales tat er jedoch nicht. Schiltz und seine Arbeitskollegen transportierten bis zu 100 Millionen Dollar in ihren Koffern. Beim Frühstück im „Tower“-Hotel in London begegnete er dem ehemaligen Liverpool-Star Kevin Keegan. „Über meine Erfahrungen in der englischen Hauptstadt könnte ich ein Buch schreiben. Das waren harte Zeiten.“
Aus Cedel wurde 2000 durch die Fusion mit Deutsche Börse Clearing die Firma Clearstream. Nur ein Jahr später wurden dem Unternehmen Geldwäsche und Steuerflucht vorgeworfen. „Alle Entscheider wussten Bescheid und wohl auch der luxemburgische Staat“, sagt Schiltz rückblickend. Zu diesem Zeitpunkt war er aber bereits raus aus dem Tagesgeschäft und konzentrierte sich auf seine politische Karriere.
Auch deshalb hatte Schiltz bis zu seiner Wahl in den Vorstand des nationalen Fußballverbandes keine offizielle Funktion in einem Verein. „Das ist meiner Meinung nach nicht mit den kommunalen Ämtern vereinbar.“ 2004 trat er mit dem „Team Philipp“ an und zog in das höchste Gremium des luxemburgischen Fußballs ein. Ab diesem Zeitpunkt war er Präsident der Technischen Kommission und auch zuständig für die Organisation der Auswärtsreisen der Nationalmannschaft.
Als „head of delegation“ wurde er in den offiziellen Listen der UEFA geführt. Schiltz musste in dieser Funktion einmal FLF-Präsident Paul Philipp in Weißrussland seine Unterhosen leihen, weil dessen Koffer auf dem Weg nach Minsk abhandengekommen war. In Israel wurde er in der Nacht von zwei Fledermäusen geweckt. „Luc Holtz lag im Zimmer neben mir. Die wollten wohl vor dem Spiel seine Nachtruhe stören, haben sich aber geirrt.“ Viele Nächte wurden während dieser Zeit zum Tag gemacht. Der Lebemann erinnert sich gerne an ein feuchtfröhliches Treffen mit dem ehemaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder. Besonders beliebt war er bei den Anhängern der Nationalmannschaft, weil er aus seinem schwarzen Koffer immer ein paar Freikarten für Länderspiele zauberte.
„Ich musste einiges mitmachen“
Nur ein einziges Auswärtsspiel verpasste er in den vergangenen 16 Jahren. Beim historischen 1:0-Erfolg gegen Weißrussland in Gomel am 13. Oktober 2007 war er in Warschau. Zusammen mit der Veteranenmannschaft der US Hostert, die er Ende der 80er-Jahre ins Leben gerufen hatte. Ein Verein, der ihm auch am Herzen liegt, ist die Asbl. „D’Liewen ass kee Kichelchen“, mit der er Spenden für wohltätige Zwecke sammelt. „Leider hat uns die Corona-Krise in diesem Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht.“
In den 16 Jahren im FLF-Vorstand wurde er zum engsten Verbündeten von Paul Philipp. Eine Beziehung, die nicht immer einfach war. „Es ist nicht immer leicht mit ihm. Wenn man Paul Philipp Gegenargumente vorbringt, wird er auf einmal etwas schüchtern. Aber er ist nicht beratungsresistent.“
Der aktuelle FLF-Vorstandsvorsitzende gehört nicht zu den Leuten, die Schiltz im Leben enttäuscht haben. „Manchmal wird man verrückt, wenn man daran denkt, dass man Leuten traut und sie einen dann ins offene Messer laufen lassen. Ich musste so einiges im Leben mitmachen.“ Enttäuscht war Schiltz auch, dass er vor drei Wochen nicht wieder in den Vorstand der FLF gewählt wurde. Es ging ihm nahe, dass er von seinem Heimatverein US Hostert keine Stimme bekam. „Ich rechnete damit, nicht wiedergewählt zu werden, aber die Art und Weise, wie es passierte, hat mich dann doch überrascht.“
Heute Abend um 18.00 Uhr wird sich Jean Schiltz das Nations-League-Spiel gegen Zypern am Fernseher ansehen. Am Dienstag bei der entscheidenden Partie gegen Aserbaidschan ist er dann wieder im Stadion. Seine Liebe zum Luxemburger Fußball wird auch eine verlorene Wahl nicht zerstören.
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Top Artikel iwert eisen gudde Kolleg an Frënd de Jang dee Foul 🙈
Schued datt hièn net méi op der Säit vun sengem gudde Frënd Paul Phillipe FLF derbéi kann sin.
De Lex
Elo huet de Jang Zäit de Lebemann auszeliewen a brauch keng Valise méi ze droen. Wéi wäit ee mat Schëllerklappe kënt, krut hien jo spéitestens elo bewisen. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“. Sou ass leider haut d’Réalitéit.