Raymond Conzemius / „Sport ist immer noch ein Begriff, der die Gesellschaft spaltet, und das finde ich extrem bedauernswert“
Ab dem 1. November wird Raymond Conzemius nicht mehr Direktor des Sportlycée sein, sondern zum COSL wechseln. Wie sein genauer Arbeitsalltag aussehen wird, weiß er noch nicht, klare Vorstellungen, wie sich der Sport in Luxemburg entwickeln soll, hat er allemal und wie gewohnt scheut er nicht davor zurück, den Finger in die Wunde zu legen. Dabei geht es ihm nicht nur um den Hochleistungssport. Vor allem geht es ihm darum, dass der Sport die Gesellschaft nicht mehr spaltet.
Mit seiner Nominierung hat das Luxemburgische Olympische Komitee (COSL) für eine Überraschung gesorgt. Man habe ein Profil mit Erfahrung gesucht, jemanden, der die Luxemburger Sportwelt kennt, betont COSL-Präsident André Hoffmann. Dabei war der Name Raymond Conzemius scheinbar untrennbar mit dem „Sportlycée“ verbunden. Nun wird der langjährige Direktor des „Sportlycée“ beim COSL erst dem langjährigen Technischen Direktor Heinz Thews zur Seite stehen, bevor er ihn im April 2022 beerben wird. Für Conzemius ist es die Möglichkeit, wieder näher am Sport und den Sportlern zu sein. Dabei hat er aber nicht bloß den Hochleistungsbereich im Blick, sondern den Sport in seiner Gesamtheit.
Tageblatt: Wie fühlen sich die letzten Tage im Büro des Schuldirektors an?
Raymond Conzemius: Komisch. Beim Aufräumen habe ich festgestellt, dass sich hier in meinem Büro meine ganze berufliche Laufbahn ab 2001 wiederfindet, also ab dem Moment, als ich ins Sportministerium gewechselt bin. Etwas Trauer ist natürlich dabei, aber ich blicke mit großer Zufriedenheit auf meine Zeit hier zurück.
Sie geben Ihren Job als Staatsbeamter jetzt auf, um in einer Asbl zu arbeiten. Ist das nicht doch ein eher ungewöhnlicher Schritt?
Im April wurde der Posten des Technischen Direktors beim COSL auf einmal ein Thema. Bis dahin habe ich mich nicht damit befasst. Wenn ich dann aber so eine Idee habe, dann festigt die sich eher schnell, so wie es eigentlich meistens bei mir der Fall ist. Ich habe sehr viel Positives mit diesem Job in Verbindung gebracht: Wieder näher am Sportgeschehen zu sein und die Herausforderung, im Sport etwas zu bewirken, haben mich letztlich überzeugt. Was den Wechsel vom Staat zu einer Asbl betrifft, so bin ich schon durch ein Elternhaus geprägt, in dem der Staatsbeamtenstatus und ein sicherer Arbeitsplatz als etwas ganz Wichtiges angesehen wurden. Aber das gebe ich ja jetzt nicht auf. Da ich schon so lange beim Staat arbeite, bin ich rententechnisch abgesichert. Es war halt ein notwendiger Schritt, um die Chance zu bekommen, etwas im Sport zu bewirken.
Zur Person
Raymond Conzemius ist eng mit dem Luxemburger Sport verbunden. Der frühere Leichtathlet, dessen Landesrekord im Hochsprung mit 2,22 Metern aus dem Jahr 1995 immer noch Bestand hat, hat im belgischen Louvain-la Neuve Sport studiert. 2001 zog es den heute 54-Jährigen ins Sportministerium, wo er von Beginn an in das Projekt „Sports-Etudes“ eingebunden war. Seit 2007 war er Direktor des „Sportlycée“.
War das am Ende das Hauptargument, um den Posten anzunehmen?
Der Hauptgrund war, dass mir über die vergangenen Jahre bewusst wurde, dass man auf vielen Stellen Verfechter der – sagen wir – guten Sache, wie der Talentförderung und so weiter, haben muss. Und der „directeur technique“ beim COSL ist eine Schlüsselstelle. Wenn Heinz Thews in Rente ist, muss jemand die Nachfolge übernehmen und ich denke, dass ich mit meinen Kompetenzen dort etwas bewirken kann.
Ich wünsche mir eher, auch mal auf politischer Ebene gehört zu werden
Zur Arbeit eines DTN gehört unter anderem auch die Organisation im Rahmen Olympischer Spiele oder anderer großer Veranstaltungen. Haben Sie keine Angst, dass es am Ende doch eher ein administrativer Job ist?
Ich hoffe nicht. Beim Aufbau einer Schule habe ich gemerkt, wie schnell man sich hinter dem Bürotisch wiederfindet und in administrative Prozeduren hineinrutscht. Wie meine Arbeit im Alltag aussehen wird, muss noch genau definiert werden. Ein wesentlicher Teil ist sicherlich, dafür zu sorgen, dass die besten Spitzensportler die besten Bedingungen vorfinden, und das in allen Bereichen. Da sind wir aber mit einem LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports, d.Red.), einer Sportsektion der Armee oder der geplanten zivilen Parallelstruktur gut aufgestellt, wenn man seinen Leistungssport auf professioneller Ebene ausüben will. Da gibt es sicherlich noch Sachen zu optimieren und dann natürlich die Betreuung eines jeden Athleten nach dessen individuellen Bedürfnissen anzupassen. Hier sehe ich meine Rolle eher als Koordinator, wo es unter anderem auch darum geht, das Binom Athlet/Trainer zu stärken, damit diese optimal arbeiten können.
Die Qualität der Betreuung bei den ganz jungen Kindern ist desaströs
Um etwas zu bewirken, müssen Sie mit vielen unterschiedlichen Parteien zusammenarbeiten. Wie viel Überzeugungskraft braucht man dafür?
Meine Erfahrungen aus den vergangenen 20 Jahren waren eher, dass ich nicht einmal gehört wurde. Vielleicht habe ich jetzt die Chance, an entscheidenden Stellen meine Argumente vorzubringen. Dabei mache ich mir keine großen Gedanken um die Zusammenarbeit mit den Verbänden. Meine Erfahrung hier ist durchaus positiv. Wir hatten im „Sportlycée“ viele gute, konstruktive Gespräche, mit Trainern und Technischen Direktoren. Wenn man engagierte, kluge Menschen an einen Tisch setzt, kommt man auch weiter. Ich wünsche mir eher, auch mal auf politischer Ebene gehört zu werden, damit die Dinge umgesetzt werden, die für die Sportler auch sinnvoll sind.
Der Sport in Luxemburg hat sich über die vergangenen Jahre aber professionalisiert, zum Beispiel durch das LIHPS. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Das stimmt, es hat sich auf mehreren Ebenen einiges getan. Ich will jetzt nicht all die Leute kritisieren, die in den vergangenen Jahren sehr viel Arbeit verrichtet haben, aber in meinen Augen geht es einfach zu langsam voran. Ich bin von meinem Wesen her vielleicht eher ein ungeduldiger Typ, aber sogar der geduldigste Mensch, der mit der nötigen Distanz die Entwicklung des Sports als Ganzes betrachtet, wird zum Schluss kommen, dass es sehr langsam vorangeht. Gegenüber dem Ausland hinken wir in vielen Bereichen noch meilenweit hinterher.
Welche Bereiche meinen Sie?
Wir freuen uns zum Beispiel über ein „Sportlycée“, doch solche Strukturen existieren im Ausland bereits seit 30 Jahren. Wenn wir beim Bau des neuen Sportlyzeums in Mamer jetzt nicht 20 Jahre im Voraus denken, hinken wir nachher wieder zehn Jahre hinterher. Vielleicht hat sich auch auf den entscheidenden Ebenen noch zu wenig getan, sprich bei der Jugend. Die Qualität der Betreuung bei den ganz jungen Kindern ist desaströs. Da muss sich dringendst etwas ändern.
Wie kann man diese Qualität sicherstellen?
Durch Fachleute. Experten, die wissen, wie man mit jungen Kindern arbeitet und die die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten in den Vordergrund stellen, und das vor den sportartenspezifischen Fähigkeiten. Wenn wir das nicht tun, können wir kurzfristig mit Hilfe des LIHPS zwar das eine oder andere verbessern, langfristig ändern wir aber nur etwas, wenn wir bei den ganz Jungen ansetzen. Das kostet vermutlich viel Geld, aber das tut unser Schul- und Bildungswesen auch.
Soll der gesamte Sport professionell organisiert werden?
Nein, das „Bénévolat“ darf unter keinen Umständen vernachlässigt werden, im Gegenteil. Ehrenamtliche Vereinstrainer, die vielleicht nicht die gleiche hohe Qualifikation haben wie professionelle Trainer, spielen eine elementare Rolle. Das habe ich in meiner Karriere selbst erlebt. Mit Mett Kayser und Raymond Mores haben mich zwei Trainer geprägt, die diese Tätigkeit ehrenamtlich ausgeübt haben und sie haben für ihren Sport, ihren Verein gelebt. Ehrenamtliche Helfer halten die Vereine am Leben und geben eine Leidenschaft weiter, die hauptamtliche Trainer oft nicht für den Verein aufbringen, da sie in einem rein professionellen Verhältnis stehen. Man braucht also beides. Wobei eine konsequente Förderung des Ehrenamts durch „congé sportif“ oder ähnliches auch Geld kostet.
Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Akteur im Sportbereich sich bewusst ist, was es konkret bedeutet, wenn wir den Sport in Luxemburg auf eine neue Ebene heben wollen
Wieso wird nicht konsequent bei der Bewegungserziehung der Kinder angesetzt?
Vielleicht weil man die positiven Effekte dieser Bestrebungen erst nach zehn oder 20 Jahren sieht. Die motorische Ausbildung von Kindern ab null Jahren müsste grundlegend verändert werden. Es fängt bei den Eltern an. Wie bekommen wir es hin, dass die Eltern mit ihren Kindern nach draußen gehen, ihren Bewegungsdrang fördern, wie bekommen wir die Kinder in die Vereine und so weiter? Dafür müssten dann die Talentförderstrukturen in den Vereinen und Verbänden gestärkt werden. Es ist ein Ganzes. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Akteur im Sportbereich sich bewusst ist, was es konkret bedeutet, wenn wir den Sport in Luxemburg auf eine neue Ebene heben wollen.
Es geht also darum, im Pyramidensystem die breite Basis zu stärken, um dann an der Spitze einige gute Hochleistungssportler zu haben?
Meiner Meinung nach steht die Pyramide in Luxemburg auf dem Kopf. Um die Basis zu fördern, braucht es ein Konzept, das alle Akteure einschließt: Eltern, „Maisons relais“, Schule, Vereine, Verbände … Momentan habe ich das Gefühl, dass jeder seine eigene Struktur aufbaut. Man sollte das System aus Sicht des Kindes betrachten. Funktioniert es oder ist es vielmehr so, dass unterschiedliche Akteure versuchen, das Kind in unterschiedliche Richtungen zu lenken, was wiederum kontraproduktiv ist? Hier im „Sportlycée“ sehe ich ja, wie Vereine und Verbände teilweise Druck auf die Jugendlichen aufbauen und sie in verschiedene Richtungen ziehen. In jüngeren Jahren sind es vielleicht die Schule und die „Crèche“ oder die „Maison relais“ und der Verein. Hoffnung habe ich aber durch das LTAD-Konzept.
Das Long Term Athlete Development, das ein Modell für sportliche Aktivität von Kindes- bis zum Seniorenalter garantieren soll. Was erwarten Sie sich denn davon?
Dass wir uns darüber einig werden, welche Form von Sport wir in Luxemburg wollen. Das fängt damit an, dass wir definieren, was in welchem Alter trainiert werden soll. Wir müssen im Sport eine gemeinsame Sprache sprechen. Denn LTAD bezieht sich ja nicht nur auf den Leistungssport. Es betrifft die gesamte Gesellschaft und bietet jedem die Möglichkeit, in jedem Lebensabschnitt körperlich aktiv zu sein.
Wird es denn möglich sein, der Gesellschaft das Konzept des LTAD zu vermitteln?
Sport ist immer noch ein Begriff, der die Gesellschaft spaltet, und das finde ich extrem bedauernswert. Wir sollen unter Sport nicht bloß Spitzensport, Wettkampf, Leistungsdruck und Geld verstehen. Unter Sport soll man alle Formen von Bewegung verstehen. Ich hoffe, dass wir das etwas entschärft bekommen. In Deutschland reden sie aus dem Grund ja schon oft von Sport und Bewegung. Aus dem Grund finde ich den Slogan des LTAD, „Lëtzebuerg lieft Sport“, sehr passend.
Wir müssen ein anderes Bild des Sports vermitteln, und das schon bei den Kindern
Wie kann man diese Spaltung entschärfen, beziehungsweise wieso spaltet der Begriff Sport so sehr?
Sport ist etwas Natürliches. Jeder bewegt sich, um von A nach B zu kommen. Leider fördert unser Wettkampfsystem, das sehr früh beginnt, vor allem diejenigen, die gewinnen. Dabei geht es nicht ums Gewinnen, was übrigens auch im LTAD festgehalten ist. Kinder von vier, fünf Jahren bewegen sich nicht, um zu gewinnen oder weil es gesund. Sie sehen ein Hindernis und wollen das irgendwie überwinden, es geht einzig um den Spaß an der Herausforderung. Wenn sie auf einmal keine Herausforderung auf ihrem Niveau finden, oder aber ständig deklassiert werden, weil vielleicht andere größere Fähigkeiten auf einem Gebiet haben, dann entsteht Frust. So kommt es dann zur Spaltung zwischen denen, die Wettkampfsport betreiben und denen, die sich einfach bewegen. Wir müssen ein anderes Bild des Sports vermitteln, und das schon bei den Kindern. Das erreichen wir aber nur mit kompetentem Fachpersonal, das die sportliche Betreuung der Kinder gewährleistet. Wenn wir einen solchen Weg gehen, sind wir auch sehr schnell bei einem Prozent des Staatshaushaltes für den Sport.
Es fehlt also immer noch am Stellenwert?
Wenn ein Prozent des Staatshaushaltes in den Sport fließen würde, würde der Stellenwert rapide ansteigen. Der Sport sorgt ja nicht nur für körperliche Gesundheit, sondern fördert auch das allgemeine „well-being“ einer ganzen Gesellschaft. Vor allem in Corona-Zeiten sollte man das nicht vergessen. Ich denke, dass es einer Gesellschaft guttut, wenn der Staat in Sachen wie Sport und Kultur investiert.
- Wie der Ochse vorm Weinberg: Die Tageblatt-Redaktion versucht sich als Winzer - 20. November 2024.
- Auf der Suche nach besseren Zeiten - 9. November 2024.
- Wie die Lokaljournalisten Kayla und Micah gegen die Polarisierung ankämpfen - 3. November 2024.
War mein Leben lang sportlich aktiv und habe nie feststellen können, dass der Sport die Gesellschaft spaltet.
Et soll net falsch verstaane ginn. Sport kann eng ganz Gesellschaft vereenen (cf legendäre Sproch vum N. Mandela) De Begrëff ´Sport’ get awer oft just mat Leeschtung verbonnen versus ´Beweegung a Gesondheet’ Dei Spaltung ass awer net néideg wei et och de Konzept LTAD beschreift. All Forme vu Motorik sin am Begrëff ´Sport’ vu ´Letzebuerg lieft Sport’ enthaalen.